Debatte Sexuelle Belästigung: Die Kommunikationsverweigerer
In der #MeToo-Debatte wird gerne geklagt: Sollen Männer jetzt auch noch Gedanken lesen? Ja, das sollten sie – untereinander tun sie es längst.
„Ja, sollen Männer denn nun Gedanken lesen können?“, fragt seit Beginn der #MeToo-Kampagne ein millionenstimmiger Klagechor, insbesondere im Netz. Letzter Auslöser dafür war ein Artikel im Onlinemagazin Babe. Darin berichtet eine Frau von ihrem Date mit dem Comedian Aziz Anzari und wie dieser nonverbale Nein-Signale ignoriert habe. Immer wieder küsste er sie, drängte zu sexuellen Handlungen. Als sie Widerwillen äußerte, bedrängte er sie erneut, allerdings ohne sie zu zwingen.
Es gibt mehrere gute Gründe dafür, dieses Öffentlichmachen von Aziz’Verhalten falsch zu finden. Zum einen ist es wichtig, zwischen sexualisierten Übergriffen und dem Ignorieren von Signalen zu unterscheiden. Und da das öffentliche Beschämen per Online-Artikel ein brutales Mittel ist, sollte es wohl auch nur bei sexualisierter Gewalt genutzt werden. Auch wird der so wichtigen #MeToo-Bewegung möglicherweise mit dieser Vermischung eher geschadet als genützt.
Das ist wahrscheinlich wahr. Aber eindeutig ist es nicht, weil es derzeit sehr wohl um die Tatsache geht, dass zum Sex verbales oder nonverbales Einverständnis gehört. Und wer behauptet, dazu müsse jemand Gedanken lesen können, der stellt sich dumm.
Ich schreibe das hier als Mann, gerichtet an andere Männer: Selbstverständlich können wir Gedanken lesen. Das kann nämlich jeder gesunde Mensch. Wir tun es dauernd. Wir achten auf die Spannung der Lippen, ob das Gegenüber misstrauisch oder freundlich schaut, wir interpretieren die Neigung des Kopfes, registrieren die Körperspannung des Gegenübers und wie viel Abstand sie oder er zu uns einhält.
Körpersprache entschlüsseln
Ein Großteil unserer Kommunikation ist nonverbal. Das zu leugnen, ist ignorant bis böswillig. Unter Männern ist es völlig normal, auf diese Signale zu achten. Jemandem in der Kneipe zu nahe zu kommen und dessen Unwillen zu ignorieren, gilt als unverschämt. Man überfällt sich nicht gegenseitig wie ein Räumpanzer, der einen dauernd anfasst und mit der eigenen Lebensgeschichte volllabert. Wer den anderen zu einem expliziten „Geh mir mal vom Leib“ nötigt, ist oft kurz davor, eins auf die Nase zu kriegen.
So weit kommt es allerdings nur selten, weil wir untereinander unsere natürliche Gabe nutzen, Körpersprache zu entschlüsseln. Ob ein intensiveres Gespräch möglich ist, signalisieren wir uns gegenseitig hauptsächlich darüber. Das Gegenüber lächelt, öffnet sich (körperlich) und steigt in das Gespräch aktiv mit ein. Es gilt unter Männern als angemessen, auf ungebetene Zudringlichkeiten ruppig zu reagieren. Frauen wird diese Ruppigkeit dagegen oft als „zickig“ ausgelegt.
Dabei tut es nichts zur Sache, dass manche Frauen gemischte Signale senden oder selbst Signale ignorieren. Ein solches Verhalten ist ätzend, aber nicht die Regel. Ich kenne keinen Mann, dessen Grenzen ständig von allen möglichen Frauen missachtet werden. Unter dieser Missachtung leiden dagegen viele Frauen. Es sind nicht die sogenannten „Zicken“, die freundliches Flirten sabotieren, sondern es sind die Gedankenlese-Verweigerer, die uns alle unfreier machen. Eine Sorte Männer, die sich weigert zu verstehen, dass Begehren nicht unbedingt ein Kompliment ist.
Eine bestimmte Art des Begehrens sieht den Körper einer Frau als etwas, das man haben und nehmen will, wie etwas Köstliches zu essen oder Geld. In diesem Fall wird das „Nachgeben“ einer Frau schnell zur Unterwerfung. Er hat dann „erobert“, also in Besitz genommen. Auf der Straße heißt „ich ficke dich“ nicht umsonst „ich mach dich fertig“. Es sind diese Verweigerer, die das fördern und es damit auch für andere Männer, die auf ihr Gegenüber achten, schwerer machen.
Die kleinen Schritte
Solche Männer sind es auch, die aus der Erfahrung, dass manche Frauen das Spiel mit Unterwerfung und Dominanz lieben, schließen, Frauen hätten einen angeborenen Wunsch, „genommen“, also unterworfen zu werden. Von diesem Mythos lebt ein Großteil der immer noch wachsenden „Pick-up“-Szene. Ignorante Männer, die nicht verstehen wollen, dass es beim Spiel mit Unterwerfung im Kern um Vertrauen, Freiwilligkeit und Hingabe geht, also das Gegenteil von Unterwerfung.
Mit ihrer Haltung machen sich diese Männer in jedem Sexclub Berlins, vom Insomnia bis zum Kitkat, lächerlich. Sie pressen ohne jede vorherige (nonverbale) Kommunikation Frauen, deren Körper sie wollen, ihre Hüfte an den Hintern und nennen das „Antanzen“. Sie walzen durch die Klubs wie Panzer, bedrängen Frauen und vergiften die Stimmung.
Dabei ist das gar nicht nötig. Ich habe in vielen Jahren Berliner Nachtlebens nie erlebt, dass ein respektvolles Ansprechen gleich zu einem sexuellen Übergriff verzerrt wurde. Schlimmstenfalls ertönt ein unfreundliches „Verpiss dich!“, und das war es. Eigentlich ist es einfach: Wenn dich jemand interessiert, mache kleine Schritte, achte auf die Reaktion des Gegenübers – und respektiere sie. Ich erlebe an jedem einzelnen Klubabend Männer, die den alten Satz, den jeder Mann kennt, für bare Münze nehmen: „Wenn du eine abbekommen willst, sprich einfach alle Frauen im Raum an. Und wenn das nicht klappt, frag noch mal. Irgendeine sagt dann schon ja.“
Angeblich funktioniert das. Aber damit machen diese Leute allen anderen das Leben schwer. Es stimmt auch: Manche Frauen haben kein großes Problem mit diesem Verhalten. Ihnen fällt es leicht, sich abzugrenzen. Die meisten leiden aber darunter. Und daran sind eben die umherschweifenden Flirtpanzer schuld. Und hier sprechen wir noch nicht einmal über so grenzwertig-übergriffige Fälle wie den Anzaris. Männer müssten es besser wissen, denn auch unter Männern bringt das Ignorieren von Signalen schnell Ärger ein.
Sexuelle Freizügigkeit ist eine gute Sache. Aber die funktioniert nur auf der Grundlage von Achtsamkeit und Respekt, also auch darauf, dass wir unsere Fähigkeit nutzen, Gedanken zu lesen.
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