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Debatte Putschversuch in der TürkeiDer Machtkampf ist nicht entschieden

Kommentar von Ömer Erzeren

Es mag paradox erscheinen, aber durch den vereitelten Putsch hat der türkische Staat seine wichtigsten Repressionsorgane verloren.

Polizisten auf einem Gebäude während einer Demonstration in Istanbul Foto: ap

W er die Berichterstattung über die Türkei in den letzten Tagen verfolgt, kommt leicht in die Versuchung, sich folgende Lesart zu eigen zu machen: Dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğankam der Putschversuch gelegen. Er ist politisch erstarkt. Mit der Niederschlagung des Putsches nutze er die Chance, der türkischen Demokratie den Todesstoß zu versetzen, um die Türkei in eine Einmanndiktatur mit islamischem Antlitz zu verwandeln.

Erdoğan selbst hat diese Lesart befördert, als er im Zusammenhang mit dem Putsch vom „Geschenk Gottes“ sprach. Ganz Volksverführer, der zum Bürgerkrieg aufruft, sprach er in einer Kundgebung nur zwei Tage nach dem blutigen Putschversuch: „Ob sie es wollen oder nicht. Wir werden die Kaserne auf dem Taksim-Platz errichten. Und auch eine Moschee.“

Es war eine Kriegserklärung an die säkularen Mittelschichten, die die Symbolkraft des Taksim-Platzes und der Gezi-Proteste kennen: Nach dem Putsch seid ihr dran.

„Bella Ciao“ auf dem Taksim-Platz

Doch nach der Hitze des Gefechtes muss die Mainstream-Lesart einer Kritik und Revision unterzogen werden. Da stimmt irgendetwas nicht, wenn im Ausnahmezustand in Begleitung lächelnder Polizisten „Bella Ciao“ auf dem Taksim-Platz ertönt, der Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu unter dem Jubel Hunderttausender des friedfertigen Gezi-Protests gedenkt und das „Widerstandsrecht zum legitimen Mittel zum Schutz der Demokratie erklärt“.

Noch sonderbarer als die Kundgebung auf dem Taksim-Platz ist der Umstand, dass die geballte Medienmacht regierungstreuer Fernsehsender die Kundgebung live überträgt.

Und es gibt einen Werbespot, den Fernsehsender immer wieder zirkulieren lassen. Eine wehende, türkische Flagge mit einem Text, der die Worte des Republikgründers Atatürkm „Wie glücklich, wer von sich sagen kann, er ist Türke“, abwandelt: „Wie glücklich, wer von sich sagen kann, er ist Türke, Lase, Bosnier, Kurde, Zaza, Georgier, Tscherkesse, Tscheschene, Pomacke, Rom, Araber, Assyrer, Armenier, Römer [d. h. Grieche; d. A.], Albaner, Jude, Christ, Muslim, Alevit, Sunnit.“

Es folgen Fotos vom Nationalkampf Mustafa Kemal Atatürks und eindrückliche Aufnahmen des zivilen Widerstands gegen den Putsch. Text: „Wir haben den Befreiungskampf gemeinsam, Hand in Hand gewonnen und wir werden den Kampf für Demokratie ­gemeinsam, Hand in Hand gewinnen.“

Als ich diesen Spot erstmals sah, dachte ich an ein Fake von sur­realen Kreativen, die es irgendwie geschafft hatten, illegales Sendematerial zu veröffentlichen. Wer weiß, wie niederträchtig und ausgrenzend der türkische Staat im Umgang mit Minderheiten ist, kann nur mit dem Kopf schütteln.

Zögerliche Regierungstreue

Doch die Antwort liegt auf dem Tisch: Durch den Putsch hat der türkische Staat von heute auf morgen seine wichtigsten Repressionsinstrumente verloren: das Militär, Teile der Polizei und der politischen Justiz. 40 Prozent der Generalität sind als Putschisten hinter Gittern. Und auch der Rest ist kaum vertrauenswürdig. Zu zögerlich schlugen sie sich auf die Seite der Regierung. Zwar gibt es Sondereinheiten der Polizei, die regierungstreu den Putsch bekämpften, doch die Zahl suspendierter Polizisten von über 8.000 spricht für sich.

Staatspräsident Erdoğanhat über seinen Schwager mitbekommen, dass das Militär putscht. Ministerpräsident Yıldırım hat es von einem Freund erfahren und konnte dann weder den Generalstab noch seinen Innenminister erreichen – und das, obwohl der Geheimdienst schon Stunden vorab den Generalstabschef informierte. Der türkische Staat als Papiertiger.

All das erklärt, warum die Regierung bemüht ist, den Rückwärtsgang einzulegen. Erdoğandankt Opposi­tionsführer Kılıçdaroğlu für „seine entschlossene Haltung gegen den Putschversuch“. Immer wieder redet der türkische Ministerpräsident Yıldırım von Dialog. Der Ausnahmezustand sei nicht über das Volk, sondern über den Staat verhängt worden. Das ist natürlich Unsinn. Nichtsdestotrotz steckt ein wahrer Kern in dieser Aussage. Die Hauptgewicht der Maßnahmen liegt auf „Säuberung“ des Staatsapparats durch Zehntausende Suspendierungen.

Die kurdisch-linke HDP mit ihrem brillanten Vorsitzenden Selahettin Demirtaş, der wie kein anderer immer wieder vor einem Putsch des Gülen-Geheimbundes in der Armee gewarnt hat, ist noch vom Dialog ausgeschlossen. Erst vor wenigen Monaten hat auf Geheiß Erdoğans das Parlament, die Immunität von Abgeordneten aufgehoben, um die HDP-Abgeordneten der politischen Justiz zum Fraß vorzuwerfen – den Staatsanwälten, die heute als Putschisten hinter Gittern sind.

Wie soll diese türkische Armee nun den Krieg gegen die kurdische Guerilla PKK führen?

Wer von einem allmächtigen Erdoğanausgeht, übersieht die wichtigste Frage: Wie soll diese türkische Armee nun den Krieg gegen die kurdische Guerilla PKK führen? Einen Krieg, den sie seit über drei Jahrzehnten führt und der letztlich nur zum Erstarken der PKK geführt hat.

Bündnis mit dem Militär

Über Jahre hinweg verhandelte Erdoğans Regierung mit dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan. Im Februar 2015 war es so weit. Im Dolmabahçe-Palast verlasen Kabinettsmitglieder und die Vermittler der HDP eine Deklaration, die den Friedensprozess einleiten sollte. PKK-Führer Öcalan merkte damals an, die Zukunft der Türkei hänge von der Politik der Regierungspartei ab. Sie könne zu einem Putsch oder zu Demokratisierung führen.

Es war Staatspräsident Erdoğan, der den Vertrag brach und stattdessen mit nationalistischer Rhetorik auf das Bündnis mit dem türkischen Militär setzte, um einen Vernichtungsfeldzug gegen die PKK zu führen. Sein wichtigster Bündnispartner hat nun gegen ihn geputscht.

Die Niederschlagung des Putsches und die Aushebelung des extrem gefährlichen Gülen-Bundes ist – ohne Wenn und Aber – ein historischer Fortschritt. Auch wenn Erdoğan nun meint, sich den Wunschtraum eines totalitären Führerstaates besser erfüllen zu können.

Doch der finale Machtkampf ist längst nicht entschieden.

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12 Kommentare

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  • "... durch den vereitelten Putsch hat der türkische Staat seine wichtigsten Repressionsorgane verloren."

     

    Schön wär's. Die Wahrheit ist doch, dass jetzt nicht nur die Militärs willkürlich ausgetauscht werden, sondern sämtliche gesellschaftliche Bereiche unter Umgehung aller rechtsstaatlicher Grundsätze allein nach Erdogans Geschmack besetzt werden. Da hilft es gar nichts, sich das noch irgendwie schönreden zu wollen. Dem muss man sich jetzt stellen, auch wenn das so gruselig ist, dass man es am liebsten umdeuten möchte.

    • @Rainer B.:

      ...und wie wollen Sie sich dem stellen?

      • @Justin Teim:

        Ich werde sicher nicht mehr davon ausgehen, dass sich in der Türkei unter Erdogan noch jemals eine positive Entwicklung hin zu Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat vollziehen könnte.

        • @Rainer B.:

          ... also resignieren?

          • @Justin Teim:

            Nein, umdenken und opponieren.

  • Dass er die staatlichen Institutionen schwächt, hat Erdogan noch nie davon abgehalten, Säuberungen durchzuführen. Der Rest ist durch eine einfache "Zuckerbrot und Peitsche" Taktik zu erklären. Ein genehmer Teil der Opposition wird eingelullt und nach aussen hin vorgezeigt, der Rest wird in Folterkeller verschleppt. Das geht solange, bis niemand mehr übrig ist, der Widerworte wagt. Das hat er ja auch schon die letzten ~15 Jahre durchgezogen. Bitte nicht naiv sein.

  • Der Bericht klingt irgendwie so als sei er "nicht von dieser Welt".

     

    Das kann allerdings auch damit zusammen hängen, dass deutsche Medien "mainstream"-Berichterstattung machen, also über das, was ausserdem noch interessant wäre, nicht berichten.

     

    Klar, wenn ich lese, dass viele der Verhafteten wahrscheinlich zu den Guten im Job gehören, dass die Justiz gerade nicht mehr richtig arbeiten kann, weil viele Polizisten und Staatsanwälte verhaftet wurden usw. usw., dann ist da natürlich auch etwas dran.

     

    Ich bin gespannt, wie es sich in der Türkei weiter entwickeln wird, und hoffe darauf, dass die Diskriminierungen und Folterungen, von denen bspw. Amnesty international berichtet, und auch die Verhaftungen sofort aufhören.

  • 3G
    34970 (Profil gelöscht)

    Was die Türkei betrifft fühl ich mich nicht ausreichend informiert. Bei weitem nicht. Zuviele Geschehnisse kommen einfach aus dem Nichts und die Welt ist angesichts der angeblich so "besorgniserregenden Demontierung der Demokratie und des Rechtstaates" dort irritierend gelassen. Nimmt man in Kauf das dort alles drunter und drüber geht? Spätestens nach Erdogan? Ist uns das Schicksal der Menschen in der Türkei egal? Oder wurd ich von unseren Medien nur Paranoid gemacht und in der Türkei siehts garnicht so schlimm aus? Alles nur "Erdo bashing"? In Wahrheit alles dufte da nur ein bischen anders weil nicht Europa? Doch nur son Kulturding am Ende? Wers glaubt...

  • Reichlich überinterpretiert nach meiner Meinung.

    Jeder der seine Speichellecker im dt. Diskussions-TV gesehen kann sich schlechterdings ein Rückrudern wie auch immer vorstellen.

    Die Türken sind ein gespaltenes Volk und die Säkularen werden derzeit fertig gemacht.

    100.000 neue Moscheebauten seit Erdogan regiert! Noch Fragen?

     

    Leider muss man konstatieren, dass weite Teile des arabischen Gebiets inkl. Türkei (soweit man das subsummieren darf) von vollpfostigen Despoten regiert wird. Letztlich die einzige Region weltweit die sich in den letzte vierzig Jahren fast keinen Schritt modernisiert hat, weder intelektuell, noch wirtschaftlich noch weltanschaulich.

    Was ist da bloß los?

     

    Ein einziges Trauerspiel und ausgelegter Glauben als Begründung für jedwede Beliebigkeit.

  • Warum ist denn der Gülen-Bund "extrem gefährlich"? Das höre ich zum ersten Mal. Freilich habe ich schon oft von muslimischen Freunden wütende Verbalattacken gegen Sufis gehört. Ist es das? Und warum "Geheimbund"? Die Institutionen, die sie gegründet haben sind doch offen und frei zugänglich... soviel ich weiss, aber ich weiss nicht viel...Würde mich aber freuen, mehr zu der "Extremen Gefährlichkeit"von denen zu erfahren.

    • @CV:

      dito - Geschätzter Ömer Erzeren -

      Den weißen Fleck mal was "anfetten"

      Wie hier mehrfach angemahnt!

      kurz - Was Butter bei die Fisch!;)

      Wär schonn schön!

      Danke;)

  • Mit der Türkei ist es wie mit dem Iran, es gibt einfach zu viele vernünftige und gebildete Leute dort, als dass politische Probleme einfach so die Verhältnisse endgültig umkrempeln könnten. Der niedergeschlagene Putsch hat zu einer Art Rausch geführt, in dem einige Dinge möglich wurden, die ansonsten nicht möglich gewesen wären, aber nach jedem Rausch kommt ein Kater und dann kommt die alltägliche Nüchternheit.

     

    Die Türkei wird gerade vor massiven Problem stehen, die man nunmal bekommt, wenn man Tausende von Leuten aus allen möglichen relevanten Bereichen einfach so verliert. Auch das wird nicht ohne Frust abgehen, zumal es mich sehr wundern würde, wenn nicht viele der Abgesägten fachlich durchaus respektiert gewesen wären und gerade sehr fehlen. Auch patriotische Trunkenheit ist irgendwann vorbei und dann scheint wieder das kalte Licht des Tages auf die Dinge. Auch der große Kommandant wird noch seinen Kater spüren, wenn er nicht gerade schon dabei ist.