DW kooperiert mit Zensursender: Keine Lust auf Protest
Die BBC hat die Kooperation mit dem türkischen Sender NTV wegen Zensurversuchen beendet. Der deutsche Auslandssender Deutsche Welle nicht.
ISTANBUL taz | Es ist einer der wichtigsten Kritikpunkte der türkischen Protestbewegung: Die größten Medien des Landes berichten kaum oder nur selektiv über die Bewegung, die Kritik an der Erdogan-Regierung wird unterdrückt. Legendär ist mittlerweile die Pinguin–Sendung von CNN Türk, während in Istanbul der Taksimplatz brannte.
Aber auch der zweite wichtige Nachrichtensender des Landes, NTV, hat seine Zuschauer und Hörer enttäuscht. Auf dem Höhepunkt der zweiten Protestwoche demonstrierten selbst Angestellte aus dem umliegenden Bankenviertel am Hauptsitz des Senders und erinnerten die Macher des Senders daran, für wen sie eigentlich arbeiten.
Als der Chef des Senders sich daraufhin vor seinen Mitarbeitern und damit auch vor der Öffentlichkeit für das Versagen von NTV entschuldigte, war der Mann wenig später seinen Job los. Denn NTV gehört zur Dogus Holding, einem der führenden Konzerne der Türkei, der erst kürzlich die Ausschreibung für den Bau und Betrieb des Galataports, des zukünftigen Kreuzfahrtterminals von Istanbul gewonnen hat. Angesichts solcher Geschäfte will es sich der Konzern mit der Regierung nicht verderben, und dementsprechend ist dann auch die Berichterstattung.
Bis vor wenigen Tagen hatte NTV zwei ausländische Partner: die BBC und die Deutsche Welle (DW). Die BBC ist aus der Kooperation ausgestiegen, nachdem NTV sich geweigert hatte, einen Beitrag zu senden, in dem die schwache Vorstellung der türkischen Medien thematisiert worden war. Anders als die BBC kooperiert die Deutsche Welle nicht mit dem NTV-Fernsehen, sondern lässt an fünf Tagen in der Woche eine in Bonn bei DW erstellte halbstündige Rundfunksendung von NTV ausstrahlen.
Kündigung wirkt als Solidaritätserklärung
Viele Mitarbeiter von NTV haben die Kündigung des Vertrags durch die BBC nach dem Zensurversuch auch als Solidarität mit ihnen empfunden, weil sie ständig zur Selbstzensur gezwungen werden. „Wir hätten es deshalb gut gefunden, wenn auch die Deutsche Welle eine deutliche Reaktion auf die katastrophale Rolle von NTV gezeigt hätte“, sagte Nedim Bora, ein Dokumentarfilmer, dessen Vertrag NTV kürzlich kündigte.
Bora, der lange in Köln gelebt und dort für den WDR und auch für die Deutsche Welle gearbeitet hat, wandte sich deshalb an den deutschen Sender und forderte, die Zusammenarbeit wenn nicht zu kündigen, dann wenigstens eine Zeit lang aus Protest zu suspendieren.
Doch die Deutsche Welle sieht keinen Anlass dazu. Auf Anfrage der taz antwortete DW-Pressesprecher Johannes Hoffmann, solange die DW ihre Sendungen ohne inhaltliche Beeinträchtigung ausstrahlen könne, werde man an der hiesigen Praxis festhalten. Erst wenn es Versuche geben würde, die Sendungen inhaltlich zu beeinflussen, werde man die Zusammenarbeit aussetzen. Gerade in der jetzigen Zeit wolle man nicht darauf verzichten, in der Türkei unabhängige Informationen aus deutscher und europäischer Perspektive zu verbreiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin