Rückzug von Sahra Wagenknecht: Das Momentum ist vorbei
Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ steht vor einer ungewissen Zukunft. Die Partei zehrte von der Strahlkraft ihrer Galionsfigur. Das geht nun nicht mehr.
W as bleibt vom Bündnis Sahra Wagenknecht ohne Wagenknecht an der Spitze? Die BSW-Chefin will den Vorsitz der Partei, die noch ihren Namen trägt, nun abgeben. Im Dezember will das BSW auf seinem Parteitag im Magdeburg zudem seinen Namen ändern. Das Kürzel soll künftig für Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft stehen – so der Vorschlag der Parteiführung. Das BSW sieht damit einer ungewissen Zukunft entgegen. Denn ob der BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi, der auf Wagenknechts Wunsch neben Amira Mohamed Ali künftig die Geschicke der Partei leiten soll, das Ruder noch einmal herumreißen kann, ist fraglich.
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel: In diesem Zwischenstadium bewegt sich das Bündnis Sahra Wagenknecht wie ein Untoter, seit es bei der Bundestagswahl spektakulär knapp an der Fünfprozenthürde scheiterte. Nicht einmal 10.000 Stimmen fehlten dem BSW. Union und SPD wären dann zur Regierungsbildung auf die Grünen angewiesen gewesen. Tempi passati! Nun dümpelt das BSW in Umfragen bundesweit nur noch bei 3 bis 4 Prozent. Zwar drängt das BSW bis heute auf eine Neuauszählung der Stimmen. Doch ob und wann diese kommt – und ob sie das Ergebnis ändert –, bleibt ungewiss. Wagenknecht selbst scheint kaum noch daran zu glauben.
Es ist dennoch zu früh, das BSW komplett abzuschreiben. Im Osten Deutschlands ist es immer noch eine relevante Regionalpartei, seit es dort bei drei Landtagswahlen im Herbst 2024 reüssierte. Es ist an zwei Landesregierungen beteiligt, in Brandenburg und in Thüringen. In Sachsen ist es ein Zünglein an der Waage, das der Minderheitsregierung von CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer und SPD zur Mehrheit verhelfen kann. Im nächsten Jahr stehen zudem Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin an, und in beiden Bundesländern hat das BSW laut Umfragen immer noch gute Chancen, über 5 Prozent zu kommen.
Aber reicht es für mehr? Das historische Momentum scheint vorbei. Ihre Haltung zum Krieg in der Ukraine, der Wagenknecht einen Teil ihrer Popularität verdankt, polarisiert die Gemüter nicht mehr so sehr. Und die wiederauferstandene Linke hat mit ihrem Sozialpopulismus dem BSW die Show gestohlen. Bisher zehrte das BSW von der Strahlkraft ihrer Galionsfigur. Selbst bei den Landtagswahlen prangte ihr Gesicht auf den Plakaten, obwohl Wagenknecht selbst nicht kandidierte. Wenn sie sich nun in die zweite Reihe zurückzieht, geht das nicht mehr. Das BSW könnte damit, zumindest im Bund, bald Geschichte werden. Wagenknechts Nachfolgern an der Spitze ihrer Partei droht die Rolle von Nachlassverwaltern zuzufallen.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert