Bildungsforscher über Abiturdauer: „Es spricht nichts gegen das G8“
Viele Länder erlauben neben dem achtjährigen Weg zum Abitur auch wieder den neunjährigen. Bildungsforscher Horst Weishaupt verteidigt die Schulzeitverkürzung.
taz: Herr Weishaupt, in Bayern dürfen Schüler, wenn sie wollen, bald wieder länger zur Schule gehen bis zum Abitur. Andere Länder machen es genauso. Ist das G8, also das auf acht Jahr verkürzte Gymnasium, gescheitert?
Horst Weishaupt: Nein. Wir haben vor einigen Jahren in Thüringen untersucht, welche Folgen die Schulzeitverkürzung hat. Auch da wurde die Frage diskutiert, ob man wieder zum neunjährigen Gymnasium wechseln sollte. Es spricht nichts dafür.
Was ist mit dem Stress durch die vollgestopften Stundenpläne?
Wir haben beobachtet, dass die Schüler durch G8 in den letzten Schuljahren weniger jobben und sich mehr auf ihr Abitur konzentrieren. Ich weiß nicht, ob das ein Grund zur Klage ist.
Mancherorts haben Teenager einen volleres Arbeitspensum als ihre Eltern. Nicht so schlimm?
Doch. Aber das ist eine Frage der Umsetzung. Die Kultusminister haben die zusätzlichen Stunden vor allem in die Mittelstufe gepackt und nicht in die Oberstufe. Andererseits: In unserer Untersuchung in Thüringen konnten wir nicht feststellen, dass die Freizeitaktivitäten der Mittelstufenschüler unter der höheren Stundenzahl gelitten hätten.
Lernen Schüler in acht Jahren nicht weniger als in neun?
Auch das nicht. Es ist gut belegt, dass das 13. Schuljahr den Gymnasiasten bisher nicht wirklich viel gebracht hat. Die Leistungen in Mathematik und den Fremdsprachen haben sich im letzten Schuljahr nicht mehr bedeutsam gesteigert. Rational gibt es keine Argumente gegen G8.
Rational gäbe es aber auch keine dafür.
Es gibt einen Punkt, den ich psychologisch für außerordentlich wichtig halte: Durch G8 schließen Gymnasiasten in der Regel mit ihrer Volljährigkeit die Schule ab, beides passt zusammen. Ein junger Erwachsener hat im Konfliktfall kurz vor dem Abitur Schwierigkeiten, seine Interessen gegenüber der Schule zu vertreten. Keine schöne Situation für jemanden, der doch längst mündig ist.
Warum ist das G8 so unbeliebt?
Ist es das wirklich? In den neuen Bundesländern, wo zwölf Jahre bis zum Abi in der DDR die Regel waren, hört man diese Klagen nicht.
In Bayern sind jetzt fast vier Prozent der Abiturienten durchgefallen. Vor G8 waren das ein Prozent.
Man muss sich im Detail ansehen, ob das wirklich mit G8 zusammenhängt. In der Übergangszeit sind solche Vergleiche ohnehin mit Vorsicht zu genießen. Es kann ja auch sein, dass die Lehrer in dem auslaufenden G9-Jahrgang mehr Schüler durchkommen lassen, weil diese das Jahr im G8-System nicht mehr sinnvoll wiederholen könnten.
Ist es richtig, neben dem achtjährigen Gymnasium auch das neunjährige anzubieten?
Absolut, solange man nicht grundsätzlich am G8 rüttelt. Wer seinem Kind neben der Schule mehr Zeit für Hobbys lassen möchte, soll die Möglichkeit dazu haben. So gibt es für jeden Lebensstil einen passenden Weg.
Bekommen wir so kein Zwei-Klassen-Abi: Die guten Akademikerkinder schaffen’s in acht, der Rest in neun Jahren?
Das Problem sehe ich nicht. Es kann gut sein, dass leistungsfähige Schüler das neunjährige Abitur leisten, um zum Beispiel Zeit für ein Auslandsjahr zu haben.
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