Bauerntag in Hannover: Der Markt soll's richten
Der Bauernverband will trotz Milchkrise und Höfesterben nichts ändern. Dessen Präsident attackiert lieber Umweltschützer und Grüne.
Draußen Traktoren mit mannshohen Reifen, innen heftigste Attacken auf Grüne, Umweltverbände und Sozialdemokrat*innen: Mitten in der tiefsten Krise der Landwirtschaft und trotz des freien Falls von Milch- und Fleischpreisen hat sich Bauernpräsident Joachim Rudwiek zu industrieller Produktion, Massentierhaltung und der weltweiten Vermarktung deutscher Agrarprodukte bekannt.
Politiker wie der grüne Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter, der die Abschaffung von Riesenställen für Zehntausende Tiere auf engsten Raum innerhalb von 20 Jahren fordert, hätten „keine Ahnung von Landwirtschaft“, rief Rukwied vor vielen Agrarfunktionären und einer Handvoll weiblichen Delegierten auf dem 84. Bauerntag in Hannover.
„Unwissend“ sei auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, die sich für diee Reduzierung des Fleischkonsums stark macht. Und für schlicht „inakzeptabel“ hält der Bauernpräsident Interventionen von Umweltverbänden wie dem BUND: Dessen Vorsitzender Hubert Weiger hatte sich vor dem Bauerntag mit dem Naturschutzbund (Nabu) und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die sich als Alternative zum Bauernverband versteht, für eine Agrarwende ausgesprochen.
Traditionelle bäuerliche Betriebe steckten in einem Teufelskreis, erklärt der AbL-Bundesvorsitzende Martin Schulz: „Viele Landwirte haben versucht, Preisverfälle etwa bei der Milch mit mehr Leistung und größeren Produktionsmengen aufzufangen.“ Die Folge der Überproduktion: Konventionell hergestellte Milch bringt den Landwirten ab Hof teils weniger als 20 Cent pro Liter. Als existenzsichernd gelten je nach Betrieb Preise von 40 Cent und mehr. Immerhin: Biobauern erzielten im Mai im Schnitt noch 47 Cent.
Verramscht wird auch Fleisch
Verramscht wird auch Fleisch. Der Agrarexperte der Grünen im Bundestag, Friedrich Ostendorff, hat deshalb Mitte Juni Mindestpreise gefordert: „Für 2,99 Euro kann niemand ein Kotelett gewinnbringend produzieren, bei dem es dem Tier auch noch gut gegangen ist“, sagt der 63-Jährige.
Bauernpräsident Rukwied dagegen setzt weiter auf „den Markt“. Quoten, wie sie bis 2015 im Milchsegment galten, lehnt er ab: Hauptgrund für das Preisdesaster sei nicht die europaweite Überproduktion – in Irland etwa stieg die Milcherzeugung seit Wegfall der Quote um 17 Prozent. Vielmehr hätten politische Verwerfungen wie das nach der Ukrainekrise verhängte Russlandembargo zu Absatzproblemen geführt – und deren Folgen möge „die Politik“ doch bitte schnellstmöglich ausgleichen, fordert der 54-jährige Gemüsebauer aus Baden-Württemberg.
CSU-Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, dessen Auftritt auf dem Bauerntag am heutigen Donnerstag erwartet wird, müsse „liefern“, tönte Rukwied: Allein für die Milchbauern erwarte er Bundeshilfen von „100 Millionen Euro plus x“. Dem Bauernpräsidenten gelingt damit das Kunststück, sich einerseits wie Minister Schmidt als Marktwirtschaftler zu präsentieren, gleichzeitig aber weitere Staatshilfen zu fordern. Dabei unterstützt die EU die Landwirtschaft allein in Deutschland mit 6,3 Milliarden Euro jährlich – jeder der noch 633.000 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft wird also mit fast 10.000 Euro subventioniert.
Das Höfesterben dürfte sich aber auch ohne Überproduktion und Weltmarktorientierung beschleunigen – allein die Zahl der deutschen Milchbauern hat sich seit 2000 auf 73.000 halbiert. „Auf dem Weltmarkt werden wir nie konkurrenzfähig sein“, sagt deshalb Johanna Böse-Hartje, in Niedersachsen Landesteamleiterin des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter: So hielten beispielsweise Farmer im milden Klima Neuseelands ihre Kühe ganzjährig auf der Weide – ohne hohe Kosten für Kraftwinterfutter und Ställe.
Bauernpräsident Rukwied dagegen hat seine Marktfixierung bisher nicht geschadet: In Hannover wählten ihn seine Agrarfunktionäre mit knapp 89 Prozent für weitere vier Jahre zum Vorsitzenden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr