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BERUFUNGS-VERHANDLUNGFreispruch für Pfeffersprayer

Im Pefferspray-Streit spricht das Landgericht Itzehoe den Polizisten frei, der einen Mann auf dessen heimischen Sofa außer Gefecht gesetzt hatte.

Tut zum Heulen weh: Pfefferspray. Bild: dpa

ITZEHOE taz | Bevor der Polizist Ralf P. mit Pfefferspray Manfred M. außer Gefecht setzte, kannten sich die beiden Männer schon: P. hatte von M. gehört - allgemein bekannt sei in der Wache in Uetersen, dass M. "mit Vorsicht zu genießen" sei, sagte der zweite Polizist im Einsatz, Harun Ö.

An diesem Abend im September 2010 trafen die beiden Beamten M. zuerst in der Wohnung seiner Ex-Freundin, die die Polizei gerufen hatte. M. nannte P. "Affe", kurz darauf zeigte er nach dem Verlassen der Wohnung einer Autofahrerin den Mittelfinger. "Er ist trotzig, wenn er getrunken hat. Und wenn er irgendwo sitzt, sitzt er", sagt die Ex-Freundin. Als P. Manfred M. Pfefferspray ins Gesicht sprühte, saß M. in seiner Wohnung auf dem Sofa und wollte sich eine Zigarette drehen. Hat der Polizist überreagiert?

Ja, meinte die Amtsrichterin in Pinneberg, die den Fall zuerst verhandelte. Ihr Urteil - 6.300 Euro Geldstrafe für den Beamten wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt - hatte ein politisches Nachspiel. Innenminister Klaus Schlie (CDU) schrieb einen Brief an die Richterin, den er ins Polizei-Intranet stellte. Schlies Kabinettskollege, der parteilose Justizminister Emil Schmalfuß, war nicht amüsiert, Opposition und Juristenverbände waren entsetzt.

Unter diesen Vorzeichen fand am Dienstag in Itzehoe vor dem Landgericht die Berufungsverhandlung statt. Am Ende hob Richterin Lore Lange das erste Urteil auf und sprach den Polizisten frei - wofür neben der Verteidigung auch die Staatsanwaltschaft plädiert hatte. Verteidigerin Uta Scheel berief sich unter anderem auf die Aussage eines Polizei-Ausbilders, der dem Gericht geschildert hatte, dass "Zwangsmittel keine Hühnerleiter" seien, also nicht erst einfachere Formen von Gewalt angewendet werden, bevor der Polizist zur Sprühdose greift. Dies sei gängige Praxis und erlaubt - Pfefferspray werde eben nicht nur aus Notwehr eingesetzt, sondern auch, "zum Vollziehen einer Zwangsmaßnahme".

Zuhause auf dem Sofa

Das Spray, das Polizisten am Gürtel tragen, setzt einen Menschen sehr schnell außer Gefecht, weil es schmerzt und die Augen sich schließen. Manfred M. hatte berichtet, dass er ohne Vorwarnung das Spray im Gesicht hatte, dabei habe er mitkommen wollen - nachdem er die Zigarette gedreht habe. "Ich habe mich doch nicht gewehrt", sagte der blonde Mann. Zu der Frage, ob es überhaupt nötig war, "Zwang" auszuüben - immerhin saß M. bei sich zuhause auf dem Sofa, Nachbarn hatten die Polizei wegen zu lauter Musik gerufen - sagte der Staatsanwalt, nach dem Verlauf des Abends sei davon auszugehen, M. hätte sich "etwas anderes gesucht", auch wenn die Beamten die Musikanlage mitgenommen hätten.

M. hatte getrunken, zehn, 15, vielleicht mehr Bier: "Die Lampen waren an", sagte die Ex-Freundin. Richterin Lange befand M.s Aussage nicht für glaubwürdig, er habe "passiven Widerstand" geleistet und habe "provokant" auf dem Sofa gesessen. Ebenso wenig glaubte das Gericht, dass P. tatsächlich den Satz gesagt hat: "Ich wende mittelbaren Zwang in Form von Pfefferspray an" - das sei angesichts der Lage ziemlich gestelzt. Aber irgendeine Ankündigung habe es wohl gegeben. Und Spray, hier schloss Lange sich Verteidigerin wie Staatsanwalt an, sei angesichts dem mit Flaschen voll gestellten Wohnzimmertisch ungefährlicher als der Versuch, M. zu packen. "Das hätte klappen können oder nicht", so Lange.

Polizist P. war nach der Entscheidung erleichtert. Der 42-Jährige, ein schmaler Mann mit graumeliertem, mit Gel zu Igelstacheln hochgekämmten Haar, hat dennoch beschlossen, den Schichtdienst zu quittieren.

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30 Kommentare

 / 
  • M
    Martin

    Dann seien Sie vorsichtig, wenn sie mal wieder "provokativ" auf Ihrem Sofa sitzen und "passiven" Widerstand leisten...

     

    Das ist ja quasi ein Freibrief.

     

    "Herr Richter, ich musste mein Pfefferspray einsetzen. Ich wollte den Führerschein des Mannes sehen. Aber dieser saß so provokativ in seinem Auto und leistete enormen passiven Widerstand, da hab ich ihn mit meinem Spray benetzt und aus dem Auto gezogen"

     

    YEAH

  • P
    Peter

    Der eigentliche Skandal ist, dass hier die Gewaltenteilung missachtet wurde. Politiker schreibt Justiz... und es funktioniert. Hat schon jemand den Termin für die Stasi-Reunion-Party?

  • L
    Lars

    Mangelnde Geduld durch Pfefferspray zu ersetzen, halte ich für fragwürdig. Als nächstes bekommt man eine Dosis, weil man sich noch eine Jacke anziehen will, bevor man mit dem Polizisten in die Kälte geht?

     

    Der Polizist war anscheinend schon vorab genervt und voreingenommen.

     

    Wenn der Mann nicht auf einem Sofa, sondern bei einer Demonstration gesessen hätte, gäbe es einen Aufschrei, hätte die Polizei gleich Pfefferspray eingesetzt. Immerhin hat der Mann Glück gehabt, dass ein Wasserwerfer nicht in die Wohnung passte....

  • B
    bastian

    Die Jubelkommentare über das doch so angemessene Vorgehen der Polizei erreicht fast schon US Niveau. Ein Blick in die Zukunft gefällig (Pfeffersprayeinsatz am letzten Wochenende an einer US Hochschule in Kalifornien):

    http://www.sacbee.com/2011/11/20/4068424/campus-cops-who-pepper-sprayed.html

  • D
    David

    Es handelt sich hier tatbestandlich um eine Körperverletzung. Mich würden - in Anbetracht meiner juristischen Sachkenntnisse - die eingreifenden Rechtfertigungsgründe für den Polizisten interessieren. Das relativ mildeste Mittel bei Anwesenheit von zwei Polizeibeamten und Einsatz von Pfefferspray gegenüber einem betrunkenen Mann erachte ich jedenfalls für äußerst fragwürdig.

     

    Und hierbei geht es mir lediglich um eine juristische Würdigung der Situation!

  • K
    Karl

    An Uwe: Wenn Sie Polizisten demnächst jegliche Art von Zwangsmaßnahmen nehmen, können polizeiliche Maßnahmen überhaupt nicht mehr durchgeführt werden - dem deutschen Staat wird schon genug auf der Nase herumgetanzt. Pfefferspray ist effektiv und hat keinerlei Langzeitschäden - was man beispielsweise von einer Rangelei, bei der unter Umständen Faustschläge genutzt werden müssen, wenn der Festzunehmende sich wehrt, nicht sagen kann. Ganz zu schweigen von der Gefahr für die Beamten (mögliche am Körper versteckte Stichwaffen, Entreißen der Dienstpistole etc.)

     

    P.S.: Ich bin kein Polizist und habe auch sonst mit der Polizei nichts zu tun.

  • P
    Pfefferschnecke

    Wenn man Rocker ist darf man Polizisten aber abschiessen...seltsam.

  • S
    Semilocon

    Kann bei Menschen unter Drogeneinfluss zum Tode führen und der stand ja nun unter Drogen - unverantwortlich.

  • SB
    Scott Browning

    M. hat doch Glück, dass er nicht vorläufig erschossen wurde! Richter die auch das glattbügelen gibt es wahrscheinlich auch.

  • FS
    Frank Schenk

    Nur damit keine Zweifel aufkommen, wenn Ihnen ein Polizist seine Dose Pfefferspray ins Gesicht sprüht und sie mit Polizeigriff auf den Boden drückt (Beamtendeutsch Zwangsmittel) wegen einer Nichtigkeit, dürfen Sie sich nicht wehren, denn sonst gibts neben einer Anklage wegen Widerstand gegen den Polizeistaat auch noch eine Anzeige wegen Körperverletzung. Und Ihre gebrochenen Knochen und ruinierten Augen dürfen Sie auf eigene Kosten reparieren lassen.

  • W
    wott

    Wenn dieses Urteil ebenso wie etliche andere in den letzten Jahren tatsächlich dem deutschen Recht entsprechen sollte, so muss dieses unverzüglich geändert werden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf des Gesetzgebers. Eigentlich ist ja dasjenige Zwangsmittel anzuwenden, welches den geringsten Grundrechtseingriff darstellt. Wenn hier nun immer häufiger mit fadenscheinigen Begründungen die Menschen mit Pfefferspray traktiert werden können (ohne dass dies für die Täter irgendwelche Konsequenzen hat) anstatt zu einem milderen Mittel zu greifen (oder halt mal eine Minute zu warten), dann muss der Gesetzgeber handeln.

  • M
    Martin

    Ganz ganz schlimmes Urteil.

     

    Da beugt sich die Richterin dem Minister.

     

    Und in dem Artikel klang auch noch Sympathie für den Polizisten an.

     

    Gestern und vorgestern ging durch die Medienlandschaft ein Sturm der Entrüstung wegen des Pferffersprayeinsatzes gegen Occupyleute in New York.

     

    Ich bin mir sicher, dass auch die nur Pfefferspray einsetzten, weil sie Zwangsmaßnahmen durchsetzen wollten.

     

    Das ist ja nicht mal in Deutschland strafbar, wie wir jetzt wissen.

     

    Martin

  • U
    Uwe

    @Jörg

    Sie sind Polizist, oder?

  • J
    Jörg

    Ich finde dieses Urteil absolut richtig. Der Polizist hat in Ausübung seines Dienstes alles richtig gemacht, dies wurde nun nach Anhörung eines Gutachters durch die Richterin ja auch klar bestätigt. Gerechtigkeit siegt manchmal doch!!

  • U
    Uwe

    Skandalurteil. Das Urteil stellt eine glatte Aufforderung zur sinnlosen Gewaltanwendung dar.

  • M
    Martin

    Dann seien Sie vorsichtig, wenn sie mal wieder "provokativ" auf Ihrem Sofa sitzen und "passiven" Widerstand leisten...

     

    Das ist ja quasi ein Freibrief.

     

    "Herr Richter, ich musste mein Pfefferspray einsetzen. Ich wollte den Führerschein des Mannes sehen. Aber dieser saß so provokativ in seinem Auto und leistete enormen passiven Widerstand, da hab ich ihn mit meinem Spray benetzt und aus dem Auto gezogen"

     

    YEAH

  • P
    Peter

    Der eigentliche Skandal ist, dass hier die Gewaltenteilung missachtet wurde. Politiker schreibt Justiz... und es funktioniert. Hat schon jemand den Termin für die Stasi-Reunion-Party?

  • L
    Lars

    Mangelnde Geduld durch Pfefferspray zu ersetzen, halte ich für fragwürdig. Als nächstes bekommt man eine Dosis, weil man sich noch eine Jacke anziehen will, bevor man mit dem Polizisten in die Kälte geht?

     

    Der Polizist war anscheinend schon vorab genervt und voreingenommen.

     

    Wenn der Mann nicht auf einem Sofa, sondern bei einer Demonstration gesessen hätte, gäbe es einen Aufschrei, hätte die Polizei gleich Pfefferspray eingesetzt. Immerhin hat der Mann Glück gehabt, dass ein Wasserwerfer nicht in die Wohnung passte....

  • B
    bastian

    Die Jubelkommentare über das doch so angemessene Vorgehen der Polizei erreicht fast schon US Niveau. Ein Blick in die Zukunft gefällig (Pfeffersprayeinsatz am letzten Wochenende an einer US Hochschule in Kalifornien):

    http://www.sacbee.com/2011/11/20/4068424/campus-cops-who-pepper-sprayed.html

  • D
    David

    Es handelt sich hier tatbestandlich um eine Körperverletzung. Mich würden - in Anbetracht meiner juristischen Sachkenntnisse - die eingreifenden Rechtfertigungsgründe für den Polizisten interessieren. Das relativ mildeste Mittel bei Anwesenheit von zwei Polizeibeamten und Einsatz von Pfefferspray gegenüber einem betrunkenen Mann erachte ich jedenfalls für äußerst fragwürdig.

     

    Und hierbei geht es mir lediglich um eine juristische Würdigung der Situation!

  • K
    Karl

    An Uwe: Wenn Sie Polizisten demnächst jegliche Art von Zwangsmaßnahmen nehmen, können polizeiliche Maßnahmen überhaupt nicht mehr durchgeführt werden - dem deutschen Staat wird schon genug auf der Nase herumgetanzt. Pfefferspray ist effektiv und hat keinerlei Langzeitschäden - was man beispielsweise von einer Rangelei, bei der unter Umständen Faustschläge genutzt werden müssen, wenn der Festzunehmende sich wehrt, nicht sagen kann. Ganz zu schweigen von der Gefahr für die Beamten (mögliche am Körper versteckte Stichwaffen, Entreißen der Dienstpistole etc.)

     

    P.S.: Ich bin kein Polizist und habe auch sonst mit der Polizei nichts zu tun.

  • P
    Pfefferschnecke

    Wenn man Rocker ist darf man Polizisten aber abschiessen...seltsam.

  • S
    Semilocon

    Kann bei Menschen unter Drogeneinfluss zum Tode führen und der stand ja nun unter Drogen - unverantwortlich.

  • SB
    Scott Browning

    M. hat doch Glück, dass er nicht vorläufig erschossen wurde! Richter die auch das glattbügelen gibt es wahrscheinlich auch.

  • FS
    Frank Schenk

    Nur damit keine Zweifel aufkommen, wenn Ihnen ein Polizist seine Dose Pfefferspray ins Gesicht sprüht und sie mit Polizeigriff auf den Boden drückt (Beamtendeutsch Zwangsmittel) wegen einer Nichtigkeit, dürfen Sie sich nicht wehren, denn sonst gibts neben einer Anklage wegen Widerstand gegen den Polizeistaat auch noch eine Anzeige wegen Körperverletzung. Und Ihre gebrochenen Knochen und ruinierten Augen dürfen Sie auf eigene Kosten reparieren lassen.

  • W
    wott

    Wenn dieses Urteil ebenso wie etliche andere in den letzten Jahren tatsächlich dem deutschen Recht entsprechen sollte, so muss dieses unverzüglich geändert werden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf des Gesetzgebers. Eigentlich ist ja dasjenige Zwangsmittel anzuwenden, welches den geringsten Grundrechtseingriff darstellt. Wenn hier nun immer häufiger mit fadenscheinigen Begründungen die Menschen mit Pfefferspray traktiert werden können (ohne dass dies für die Täter irgendwelche Konsequenzen hat) anstatt zu einem milderen Mittel zu greifen (oder halt mal eine Minute zu warten), dann muss der Gesetzgeber handeln.

  • M
    Martin

    Ganz ganz schlimmes Urteil.

     

    Da beugt sich die Richterin dem Minister.

     

    Und in dem Artikel klang auch noch Sympathie für den Polizisten an.

     

    Gestern und vorgestern ging durch die Medienlandschaft ein Sturm der Entrüstung wegen des Pferffersprayeinsatzes gegen Occupyleute in New York.

     

    Ich bin mir sicher, dass auch die nur Pfefferspray einsetzten, weil sie Zwangsmaßnahmen durchsetzen wollten.

     

    Das ist ja nicht mal in Deutschland strafbar, wie wir jetzt wissen.

     

    Martin

  • U
    Uwe

    @Jörg

    Sie sind Polizist, oder?

  • J
    Jörg

    Ich finde dieses Urteil absolut richtig. Der Polizist hat in Ausübung seines Dienstes alles richtig gemacht, dies wurde nun nach Anhörung eines Gutachters durch die Richterin ja auch klar bestätigt. Gerechtigkeit siegt manchmal doch!!

  • U
    Uwe

    Skandalurteil. Das Urteil stellt eine glatte Aufforderung zur sinnlosen Gewaltanwendung dar.