Jede Kritik ist einzustellen

Ortstermin In Berlin stellten drei grüne Finanzexperten ihr Buch „Finanzwende“ vor. Gaststar Wolfgang Schäuble nutzte seine Chance, um alle Kritik abzuschmettern

Schäuble in seiner Lieblingsrolle: dem Nachhilfelehrer Foto: Stephan Roehl

von Ulrike Herrmann

Schwarz-Grün zieht immer: Es muss Aufmerksamkeit erzeugen, wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereit ist, in die Heinrich-Böll-Stiftung zu kommen, um ein Buch zu kommentieren, das drei grüne Finanzexperten geschrieben haben. Fürs Marketing war das Arrangement am Montagvormittag also gut – aber es hatte auch seine Tücken, wie die Autoren Sven Giegold, Gerhard Schick und Udo Philipp feststellen mussten.

Denn Schäuble ist Stratege – und nutzte seine Chance, dass er als Gast nicht hart attackiert werden konnte. Gemütlich richtete er sich in seiner Lieblingsrolle ein: Er gab den weisen und altersmilden Lehrer, der dringend benötigte Nachhilfe erteilt. Giegold, Schick und Philipp wurden zu realitätsfernen Spinnern degradiert.

Schäuble war klug genug, die eigentliche Analyse der drei Grünen nicht zu bestreiten, die sie im Buch „Finanzwende. Den nächsten Crash verhindern“ ausbreiten. Freundlich konzidierte er, dies sei „ein wichtiger Beitrag in den Debatten“.

Es herrschte also durchaus Konsens, dass jederzeit eine neue Krise ausbrechen kann. Denn seit dem letzten Crash gab es zwar „unwahrscheinlich viel Regulierung“, wie Schick erläuterte. Doch obwohl sich der Gesetzeswust auf inzwischen 34.019 Seiten summiert, wurden die zentralen Probleme ausgespart. So ist das Eigenkapital der Banken immer noch viel zu gering, das als Verlustpuffer dienen könnte, falls es zu einer weiteren Finanzkrise kommt. Bei den Großbanken beträgt dieser Puffer nur ganze 3 Prozent der Bilanzsumme. Sollte sich ein neuer Crash ereignen, müssten also wieder die Steuerzahler einspringen.

Genauso alarmierend: Noch immer wird vor allem spekuliert statt investiert, wie die Bilanz der Deutschen Bank zeigt. Nur 26 Prozent der Aktivitäten dienen dem klassischen Kreditgeschäft. Den wichtigsten Bilanzposten bilden die Derivate, mit denen auf Aktien, Zinsen, Währungen und Rohstoffe gewettet wird.

Dabei sind der Fantasie der Banken keine Grenzen gesetzt, wie sich daran zeigt, dass sie permanent neue Produkte erfinden. Schick sitzt seit 2005 im Bundestag: „Als ich mich das erste Mal mit den Banken befasste, gab es etwa 100.000 Zertifikate. Inzwischen sind es mehr als eine Million.“

Da Schäuble diese Zahlen nicht bestreiten konnte, variierte er das beliebte TINA-Prinzip, dass es keine Alternative gäbe. Die Regulierung mag nicht perfekt sein, aber sie sei die bestmögliche. Oder auf Schäuble-Deutsch: „Wir können nicht auf der grünen Wiese ganz neu anfangen.“ Wahlweise schweifte er dann nach Indien, zu Trump, nach Griechenland, zu den G-20, nach Frankreich oder Brüssel ab, um die politischen Hürden zu erläutern. Nicht jeder dieser Ausflüge hatte mit dem eigentlichen Thema zu tun, wie man die Finanzmärkte besser regulieren könnte. Aber zu diesem Aspekt war aus Schäubles Sicht ja auch schon alles gesagt: Mehr ist nicht möglich.

Bei den Großbanken beträgt der Eigen­kapitalpuffer nur 3 Prozent der Bilanzsumme. Beim nächsten Crash müssten also wieder die Steuerzahler einspringen

Dabei sind die Vorschläge der Grünen nicht nur bedenkenswert, sondern werden auch von konservativen Finanzprofessoren wie Martin Hellwig geteilt: Das Eigenkapital der Banken müsste mindestens 10 Prozent betragen, damit sie die nächste Krise ohne Staatshilfe überstehen. Giegold kritisierte, „die Bundesregierung ist im Bremserhäuschen“.

Doch Schäuble winkte nur ab. Beim Thema Eigenkapital habe man sich in Europa darauf verständigt, „dass wir eine signifikante Benachteiligung der europäischen Banken gegenüber den USA nicht akzeptieren können“. Schöner hätten es auch die deutschen Großbanken nicht formulieren können.

Ganz zum Schluss packte Schäuble eine Keule aus, die er bestimmt noch häufiger schwingen wird: Jede Kritik sei einzustellen – weil dies nur der AfD helfen würde. „Der Ruf nach einfachen Regeln ist wishful thinking. Und zu viel wishful thinking ist eine Alimentation von populistischen Demagogen.“