Verlage in Deutschland: Bedrohte Spezies
Kleine Verleger kämpfen um ihre Existenz. Kann der Staat helfen? Eine Geschichte über Leserschwund und leere Kassen in Zeiten der Buchmesse.
„Ich habe das geschafft, weil ich so wahnsinnig bin und daran glaube, dass ich das Richtige mache“, sagt die 53-jährige Literaturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin, sich an einer Erklärung versuchend, wie es überhaupt sein kann, dass ein Verlag wie AvivA noch da ist. „Ich habe es geschafft, weil ich es schaffen musste“, lautet der nächste Erklärungsversuch. Dann kommt Jürgs unweigerlich auf die ökonomische Realität von unabhängigen kleinen Verlagen zu sprechen. Die da wäre: Geld zusammenkratzen. Nebenbei arbeiten. Improvisieren.
Natürlich, könnte man sagen, es war doch schon immer so. Es brauchte gleichermaßen Leidenschaft (beim Aufblättern der frisch bedruckten Seiten) und Leidensfähigkeit (beim Blick in die Bilanzen), um selbstständig einen Independent-Buchverlag zu betreiben. Und Menschen wie Jürgs gründen Verlage ohnehin aus „einer kämpferischen Position heraus“, wie sie es nennt. Literatur als Mission, als Passion. Denn wenn nicht Leute wie sie die Werke von schillernden Bohemiens der Vor- und Nachkriegszeit wie etwa Ruth Landshoff-Yorck und Annemarie Weber veröffentlichten – wer sonst sollte es tun?
In den vergangenen Jahren aber hat sich in der Kleinverlagsszene etwas verlagert. Mit der Umwälzung des Marktes durch die Digitalisierung, dem Sinken der Zahl von Buchkäufern und einem für (Klein-)Verleger verheerenden Urteil aus dem Jahr 2016 ist eine Gemengelage entstanden, wie es sie so zuvor nie gab. „Vor zehn Jahren hatte man es als kleiner unabhängiger Verlag leichter als heute“, sagt Jürgs.
Schon mehrere Verlage mussten aufgeben
„Die Lage ist ernst“, überschrieb die Kurt Wolff Stiftung, die größte Interessenvereinigung der Indie-Verlage hierzulande, kürzlich einen offenen Brief mit der Forderung, die Kulturpolitik möge dem Verlagssterben nicht tatenlos zusehen und über eine staatliche Förderung von Verlagen diskutieren. Mit dem Münchener A1 Verlag, dem Stroemfeld Verlag und dem Tübinger Klöpfer & Meyer Verlag sind in letzter Zeit wichtige Kleinverlage eingestellt worden, insolvent geworden oder akut von Insolvenz bedroht. Vorstandsvorsitzende der Kurt Wolff Stiftung ist jene Britta Jürgs, die hier zwischen den Bücherstapeln von Moabit gerade ihre Reise zur Buchmesse vorbereitet. Jürgs glaubt, dass Verlagsförderung eines der wichtigen Themen in Frankfurt werden könnte: „Wir brauchen regelmäßige, dauerhafte, nachhaltige Förderung, um die Kultur der kleinen Verlage zu erhalten.“
Unter unabhängigen Verlagen versteht der Börsenverein des Deutschen Buchhandels dabei eigenständige Unternehmen, die nicht unter dem Dach von Verlagsgesellschaften sind und weniger als 10 Millionen Euro im Jahr umsetzen. Dazu zählen in Deutschland etwa traditionsreiche Verlage wie Schöffling & Co., Matthes & Seitz oder der Verlag Klaus Wagenbach, lange Jahre einer der linksintellektuellen Verlage in Deutschland schlechthin.
Britta Jürgs, Verlag AvivA
Zu ebendiesen zählte auch der Stroemfeld Verlag – von dem aber muss man nun wohl in der Vergangenheitsform schreiben. Der von dem ehemaligen SDS-Vorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbund, Klaus Dietrich Wolff, betriebene Verlag hat Anfang September Insolvenz angemeldet. Stroemfeld schulterte seit der Gründung vor 48 Jahren germanistische Mammutprojekte wie die Frankfurter Hölderlin-Ausgabe, Klaus Theweleits „Männerphantasien“ erschien einst dort, und auch für die historisch-kritische Kafka-Ausgabe zeichnet Stroemfeld verantwortlich. Wie es mit dieser Ausgabe nun nach der Insolvenz weitergeht? Ungewiss.
Stroemfeld ist kein Einzelfall. Ein Jahr zuvor kündigte A1 seinen Rückzug an. Der Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer strich jüngst das Frühjahrsprogramm 2019 und erklärte, unter den gegenwärtigen Bedingungen gebe es für ihn keine Zukunft mehr. Andere, wie der Ch. Links Verlag, geben die Eigenständigkeit auf: Der Verlag wird Teil von Aufbau. Ein Weg, den viele Kleinverlage – Tropen, Blumenbar – gegangen sind.
Die Leser schwinden und werden immer älter
Auf der einen Seite ist da also etwas im Verblühen, im Vergehen; womöglich eine ganze Art vom Aussterben bedroht. Die Gründe sind vielfältig. Einmal, klar, die Digitalisierung. Durch sie hat der Buchmarkt vor allem Leser verloren, zeigt die im Juni von der Gesellschaft für Konsumforschung vorgestellte Studie „Buchkäufer – quo vadis?“. Innerhalb von vier Jahren verringerte sich die Zahl der Buchkäufer um 6,4 Millionen auf 29,6 Millionen, ein dramatischer Einbruch. Die Studie ergab auch: Bücher sind nur noch für die 50-plus-Generation ein Leitmedium, Jüngere lesen im Netz oder – Klischee erfüllt – schauen Serien.
Zugleich gelingt es in Deutschland kaum, das E-Book zu etablieren, die Zahl der Downloads stagniert. Obwohl die Umsätze, weil die Buchpreise stiegen, insgesamt nahezu stabil blieben, ist die Tendenz eindeutig. Zu der ohnehin schon schwierigen Lage kommt für Kleinverlage das VG-Wort-Urteil von 2016 erschwerend hinzu. Demnach kommen die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft fortan – und rückwirkend bis 2012 – nur noch den Autoren und nicht mehr den Verlagen zugute – jedenfalls dann, wenn die Autoren nicht freiwillig verzichten.
Hinnehmen wollen die Kleinverlage den Buchwandel nicht einfach. Rund 60 Verlegerinnen und Verleger haben im Frühjahr die „Düsseldorfer Erklärung“ unterzeichnet, in der sie Sichtbarkeit, Bewusstsein und staatliche Förderung für ihre Arbeit einfordern. Unter anderem solle ein weiterer Preis für unabhängige Verlage geschaffen werden. Weitere Vorschläge sind der Aufbau einer „Bundeszentrale für literarische Bildung“ und eine Kampagne, die dazu dient, dass kleinere Verlage stärker wahrgenommen werden.
Ein Verlagspreis soll die Not lindern
Benjamin Vieth, Matthes & Seitz
Zumindest der Verlagspreis wird wohl kommen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat die Bereitschaft dazu signalisiert. Der Sprecher des Bundesministeriums für Kultur und Medien schreibt der taz, „von allen Vorschlägen“ sei „die Idee eines Deutschen Verlagspreises am überzeugendsten“ gewesen. „Der Preis soll vor allem in der Fläche wirken und so einen Beitrag zum Erhalt der kulturellen Infrastruktur in ganz Deutschland leisten. Daher sollen Preise in einer mittleren zweistelligen Anzahl verliehen werden“, sagt der Sprecher. Man arbeite bereits an einem Konzept. Für den Verlagspreis sei eine Summe von mindestens einer Million Euro erforderlich.
Monika Grütters setzt sich zudem auf europäischer Ebene dafür ein, dass Verlage künftig wieder an den VG-Wort-Ausschüttungen beteiligt werden. Ob die Kleinunternehmen sich Hoffnungen machen dürfen, dass jenseits eines Preises eine staatliche Förderung eingeführt wird, ist dagegen fraglich. Zur „Düsseldorfer Erklärung“ heißt es vonseiten des Kulturministeriums: „Manche Vorschläge der Erklärung sind nur schwer mit unserem Grundverständnis zu vereinbaren, dass die Förderung von Kunst, Kultur, aber zum Beispiel auch der Medien möglichst staatsfern ausgestaltet sein sollte.“ Ein merkwürdiger Satz, wenn man an die Unterstützung anderer Kulturbereiche denkt.
Dass die Krise inzwischen wirklich mit voller Wucht bei den kleinen Verlagen einschlägt, bezweifelt kaum jemand. „In den letzten zwei, drei Jahren sind die Einbrüche extrem. Vorher hat man nur darüber gesprochen, jetzt sind sie wirklich eingetreten“, sagt Klaus Bittermann. Bittermann betreibt seit 39 Jahren den Verlag Edition Tiamat, er hat Autoren von Harry Rowohlt über Guy Debord bis zu Hunter S. Thompson im Programm und ist eines der Paradebeispiele für einen über Jahre funktionierenden Kleinverlag mit eigenständigem Profil. Was ihn an der Debatte stört, ist, dass das Kulturgut Buch häufig als an sich schützenswert dargestellt werde. „Man muss an die Bücher die gleichen Qualitätsmaßstäbe anlegen wie an andere Produkte auch“, sagt er, „bei den meisten Büchern gibt es gute Gründe dafür, dass sie niemanden interessieren und sie es verdienen, in die Tonne getreten zu werden. Dass das Interesse am Buch insgesamt schwindet, ist also nicht zu beklagen in einer Gesellschaft, in der ‚gute‘ Literatur in der Regel nur eine marginale Rolle spielt.“ Staatliche Förderung hielte er dennoch für einen gangbaren Weg angesichts der Umbrüche auf dem Markt.
Auch beim digitalen Markt klemmt es
Wer glaubt, man müsse einfach nur auf das digitale Lesen setzen, um der Krise zu entgehen, der irrt. Nikola Richter weiß davon zu berichten. Sie hat mit Mikrotext 2013 einen Verlag gegründet, der sich auf E-Books spezialisiert hat, wobei einige Titel auch gedruckt erscheinen. Die klassischen Printkrisenprobleme hat Richter nur bedingt. Aber auch E-Book-Verlage sind in den vergangenen Jahren reihenweise eingegangen. „Vor rund fünf Jahren haben sich in Berlin viele Digital-Only- oder Digital-First-Verlage gegründet, von denen heute die Hälfte nicht mehr existiert“, sagt Richter, „und wir sind die Überlebenden dieser E-Book-Gründerzeit.“ Mit „wir“ meint sie den eigenen Verlag, Culturbooks, den Frohmann-Verlag und einige wenige andere.
Warum das E-Book bei der deutschen Leserin und dem deutschen Leser nicht zündet? Eine Menge Faktoren spielten da eine Rolle, so Richter. Anfangs seien etwa bei den großen Verlagen die Preise für E-Books viel zu hoch gewesen. „Es gibt auch weiterhin Vorbehalte gegenüber dem E-Book in der Buchnation Deutschland – dabei sind wir nicht nur eine Kulturnation Buch, sondern auch eine Kulturnation Text“, erklärt Richter. Digitalverlage wie der ihre müssen sich zudem mit Wettbewerbsnachteilen herumschlagen – für E-Books gelten bis zum heutigen Tage 19 Prozent Mehrwertsteuer, für gedruckte Bücher nur 7 Prozent. Dies wird sich bald ändern, denn im Juni hat das Europäische Parlament beschlossen, es den EU-Mitgliedsländern freizustellen, einen geringeren Steuersatz für E-Books festzulegen. Eine gute Entscheidung, wie Nikola Richter sagt – sie sieht im Übrigen nicht ein, warum kleine Verlage wie ihrer keine Förderung erhalten sollten: „Alle Kultursparten in Deutschland erhalten Subventionen außer der literarischen Sparte. Da herrscht ein Ungleichgewicht.“
Matthes & Seitz präsentiert ein Erfolgsrezept
Es gibt aber auch kleine Verlage, bei denen die Lage geradezu rosig ist. Zum Beispiel in einem unscheinbaren Büro im beschaulichen Helmholtzkiez in Berlin-Prenzlauer Berg, direkt neben der Kita Kinderschlummerland. Dort residiert mit Matthes & Seitz Berlin der Musterschüler unter den Indie-Verlagen. Er steht für ein ambitioniertes Programm mit den Schwerpunkten deutsche und französische Literatur, Philosophie sowie einer „Naturkunden“-Reihe. Matthes & Seitz widersetzte sich mit diesem Programm allen Branchentrends; gleich einer Pflanze, die sich einfach weigert einzugehen, selbst wenn es mal an Wasser fehlt. Mit Frank Witzel bekam eine Autor des Verlags 2015 den Buchpreis. Und vergangenes Jahr wurde Verlagschef Andreas Rötzer vom Branchenmagazin BuchMarkt zum Verleger des Jahres gewählt. Matthes & Seitz Berlin gilt deshalb inzwischen als der Große unter den Kleinen.
Wie schafft man das in Zeiten der abnehmenden Leserschaft? „Beharrlichkeit“ wäre eine mögliche Antwort. „Wir haben Vertrauen in unsere Bücher“, sagt Benjamin Vieth, „wir setzen darauf, dass das gute Buch sich durchsetzt. Und wir haben gezeigt, dass man nicht unbedingt ‚leichte‘ Bücher im Programm haben muss, um bestehen zu können.“ Vieth ist bei Matthes & Seitz Berlin für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, sein Schreibtisch befindet sich in dem wohnzimmergroßen Raum mit Holzbohlenfußboden und Ikea-Bücherregalen, in dem die aktuellen Verlagstitel eingeschweißt stehen. Alles noch sehr Indie. Vieth selbst im Übrigen auch, mit seinem grauen Pullover, seiner Lederjacke, den Turnschuhen.
Was Vieth sagt, würde aber wohl Wort für Wort auch jeder andere unabhängige Verlag unterschreiben – da muss also noch mehr sein. Intuition? „Unsere ‚Naturkunden‘-Reihe war und ist ein großer Erfolg, damit haben wir 2013 offenbar einen Nerv getroffen“, sagt Vieth, „das zeigt sich auch daran, dass viele andere Verlage jetzt auch vermehrt Bücher zur Kultur der Natur machen.“ Die Gesamtauflage der „Naturkunden“-Reihe liegt mittlerweile bei 300.000 Exemplaren.
Vieth, 33 Jahre alt, Anglizist und Musikwissenschaftler, hält das Buch immer noch für das demokratische Medium schlechthin, sieht es gar als „Keimzelle künftiger Revolutionen“. Erginge es mehr kleinen Verlagen so wie zuletzt Stroemfeld, verliere die Gesellschaft etwas Bedeutendes: Stimmen. Vielfalt. Stimmliche Vielfalt. Deshalb seien kleine Verlage ein Kulturgut, das erhalten bleiben müsse – auch mit öffentlichen Geldern. „Dann käme es nur auf die Bedingungen an, die man dafür stellt. Es müsste eine Art der Förderung sein, die einem Verlag die Freiheit gibt, die Bücher zu machen, die er machen möchte – und die nicht an Inhalte geknüpft ist.“ Fragt sich allerdings: Würden davon nicht auch Verlage mit rechtsextremen Inhalten profitieren?
Subventionen: Österreich und die Schweiz machen's vor
In den deutschsprachigen Nachbarländern gibt es bereits Verlagsförderung. In Österreich können kleine Verlage für ihre Frühjahrs- und Herbstprogramme sowie für Marketingkosten Fördergelder von jeweils 10.000 bis 60.000 Euro beantragen. Beispielsweise bekam der Salzburger Verlag Jung und Jung zuletzt dreimal jährlich 40.000 Euro Unterstützung. Um die Unterstützung zu erhalten, werden allerdings bestimmte Kriterien – wie der Anteil österreichischer Autoren, neuer Autoren und Debütanten – besonders berücksichtigt. In der Schweiz wurde eine etwas anders strukturierte Verlagsförderung vor zwei Jahren eingeführt. In beiden Modellen sind Neugründungen von der Förderung ausgeschlossen – ein Verlag muss sich bereits auf dem Markt behauptet haben.
Österreich? Schweiz? Wunderbar, wenn man sich daran orientiere, sagt Britta Jürgs. Hauptsache, es passiert etwas. Sie drückt einem, inmitten von Kartons mit Gesamtverzeichnissen ihres Verlags, noch ein paar Bücher und Vorschauen in die Hand. Und sie schwärmt von der neu gewonnenen Autorin Marina B. Neubert, die am Vortag in Hannover eine Lesung gehalten habe. Jürgs konnte leider nicht hin, sagt sie. Prä-Buchmessen-Stress.
Für sie ist klar, dass es für die kleinen Verlage so nicht weitergeht: „Es darf nicht erst in zehn Jahren etwas passieren. Dann sind nämlich schon viele weitere Verlage eingegangen.“
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