Gesetz zum Freiheitsentzug Jugendlicher: Als Kind ans Bett gefesselt
Kinder in Heimen und Kliniken zu fixieren, soll nur noch erlaubt sein, wenn ein Richter zustimmt. Experten fürchten, dass diese Praxis einreißt.
![Eine Krankenschwester fixiert den Gurt an einem Krankenbett Eine Krankenschwester fixiert den Gurt an einem Krankenbett](https://taz.de/picture/1845398/14/2e42f0f86f9a3fefd5ac1178d159eb52_edited_64848599_2215ac8651.jpeg)
Damit sei „das Festhalten, Fixierungen, Sedierungen, der Einsatz von Therapietischen, Bettgittern, Gurten, Schutzanzügen, der Einschluss in Time-Out-Räumen“ gemeint, heißt es im Entwurf aus dem Jusitzministerium von Heiko Maas (SPD).
Die Maßnahme soll für höchstens sechs Monate erlaubt sein, bevor sie wieder überprüft wird. Die Genehmigungpflicht gilt sowohl für Kinder in geschlossenen als auch in offenen Einrichtungen, und das Kind soll einen „Verfahrensbeistand“ haben. Statt eines Gutachtens vor Gericht reicht ein „ärztliches Zeugnis“ aus. Der Richter soll die Maßnahme aber nur ablehnen, wenn sie „nicht dem Kindeswohl entspricht“. Ob diese Maßnahmen zum Einsatz kämen, sei von „Erziehungskonzepten“ abhängig.
Den Anstoß für das Gesetz habe eine Untersuchung über drei Behindertenheime in Bayern gegeben, sagt CDU-Familienpolitiker Marcus Weinberg. Das Gesetz soll auch die Eltern entlasten. Denn Heime der Jugendhilfe oder der Behindertenhilfe würden „schwierige“ Kinder zum Teil ablehnen, wenn Eltern nicht in freiheitsentziehende Maßnahmen einwilligten.
Die sähen sich so dem „Zwang zur Unterschrift“ ausgesetzt. Auch würden Kinder mit geistiger oder seelischer Behinderung in gut gemeinter Absicht oder aus Personalmangel Maßnahmen ausgesetzt, deren freiheitsentziehender Charakter den Handelnden nicht immer bewusst sei. „Wir wollen für die Kinder mehr Sicherheit schaffen“, so Weinberg.
Zwang zur Unterschrift
Wird Erwachsenen in der Psychiatrie die Freiheit entzogen, muss dies ein Gericht genehmigen. Bei Kindern reichte bislang die Zustimmung der Eltern, entschied der Bundesgerichtshof 2013 im Fall eines autistischen Jungen. Die Grünen im Bundestag stellten deshalb jüngst den Antrag, Kinder hier Erwachsenen gleichzustellen. Auch die Fachverbände der Kinder- und Jugendpsychiater forderten ihrerseits „Rechtssicherheit“ im Umgang mit psychisch kranken Kindern.
Die Ärzte hatten Gelegenheit, ihren Standpunkt im Justizministerium vorzutragen. Vertreter der Kinder- und Jugendhilfe wurden dagegen nicht angehört, sie zeigen sich über den Gesetzentwurf überrascht.
„Es gab keine Fachdebatte“, klagt der frühere Abteilungsleiter der Jugendhilfe in Hamburg, Wolfgang Hammer. Er lehnt die Änderung ab. „Was hier als Kinderschutz gedacht ist, wird zum Einfallstor für Freiheitsentzug als pädagogischem Mittel, wo immer Eltern und Einrichtungen sich überfordert sehen.“ Hamburg habe gute Erfahrungen mit einer „Koordinierungsstelle“ für „schwierige Fälle“ gemacht. Diese zeigten, dass es Alternativen zu geschlossenen Heimen gebe.
Friedhelm Peters vom Vorstand der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) in Frankfurt befürchtet, dass hier „eine höchst problematische Praxis legitimiert wird“. Time-Out-Räume in Heimen seien umstritten, sagt der Soziologe. „Und Fixierungen mit Gurten auf einer Liege sind ein No-Go in der Jugendhilfe.“
Selbst der Bundesrat moniert, dem Gesetz fehle „die kinderrechtliche Betrachtung. Das geht auf die Brandenburger Sozialministerin Diana Golze (Linke) zurück. Die Linke im Bundestag versucht nun, eine Anhörung im Rechtsausschuss durchzusetzen. Er bestehe die Gefahr, dass „dubiose Praxen per Gerichtsbeschluss legalisiert werden“, sagt Familienpolitiker Jörn Wunderlich. Man müsse die Konsequenzen „gründlichst analysieren“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München