Hartz-IV-Urteil des Bundessozialgerichts: Kinder sind auch Menschen
Die Sozialrichter geben zwei Klägern recht: Niedrigere Hartz-IV-Regelsätze benachteiligen Kinder gegenüber Erwachsenen - und verstoßen so gegen das Grundgesetz.
BERLIN taz Die Hartz-IV-Leistungen für Kinder sind nach Ansicht des Bundessozialgerichts in Kassel unzureichend. Die heutige Regelung verstoße gegen das Grundgesetz, befanden die Richter am Dienstag. Nun muss das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden.
Die derzeitige Regelung sieht vor, dass Kindern von Hartz-IV-Empfängern bis zum Alter von 13 Jahren nur 60 Prozent der monatlichen Summe für Erwachsene zustehen. Das sind im Moment 211 Euro. Zwei Familien hatten dagegen geklagt.
Die Kasseler Richter störten sich nicht an der Höhe des Sozialgeldes selbst. Vielmehr hätte die Bundesregierung die 60-Prozent-Regel nicht festlegen dürfen, ohne den tatsächlichen Bedarf von Kindern zu berechnen. Das verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Außerdem begründete das Gericht die Entscheidung damit, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängern weniger Geld erhalten als Kinder von Sozialhilfeempfängern - und dass nicht zwischen Säuglingen und Teenagern unterschieden werde.
Sollte auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dieser Ansicht sein, müsste die Bundesregierung die Berechnung für Hartz-IV-Geld an Kinder grundsätzlich reformieren. Geplant ist bislang zwar eine Besserstellung der Kinder. Im Juli sollen Kinder zwischen 6 und 13 Jahren anstatt 60 nun 70 Prozent des Satzes eines Erwachsenen erhalten. Das entspricht 246 Euro pro Monat. Hier wird aber nicht, wie vom Bundessozialgericht gefordert, der tatsächliche Bedarf berechnet, sondern der Prozentanteil erhöht.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Ludwig Stiegler, sagte, mit dieser Anhebung hätte die Regierung schon vorab auf das Urteil der Kasseler Richter reagiert. "Wir haben das Urteil so erwartet", sagte er der taz. Markus Kurth, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, fordert jedoch schon jetzt eine Änderung der Berechnung für Kinder - nicht erst nach der endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Leistungen "dürfen nicht mehr von den Regelleistungen Erwachsener abgeleitet werden". Auch Wolfgang Neskovic, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion, forderte "unverzüglich" gesetzliche Veränderungen.
Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, begrüßte das Urteil aus Kassel. "Es ist ein Skandal, wie die Bundesregierung seit Jahrzehnten mit den Rechten der Kinder umgeht", sagte er der taz. Kinder brauchten mehr Geld für Bekleidung und Bildung als Erwachsene. Man könne nicht einfach 60 Prozent von Erwachsenen zugrunde legen, sagte Hilgers. Er hoffe, dass sich das Bundesverfassungsgericht dem Urteil anschließe und der Regierung eine knappe Frist setze.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte ebenso eine rasche Anpassung der Kinderregelsätze und bezeichnete das Urteil als "schallende Ohrfeige" für die Regierung. Nach Berechnungen des Verbandes darüber, was Kinder tatsächlich monatlich benötigen, müsste der Satz auf zwischen 254 und 321 Euro steigen. "Es ist beschämend, dass Richter die Politiker an ihre Verantwortung für die Kinder erinnern müssen", sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.
Dem Bundesverfassungsgericht liegt ein weiterer Beschluss vor, der vom Hessischen Landessozialgericht stammt. Auch dort hatten Kinder von Hartz-IV-Empfängern gegen die zu geringen Leistungen geklagt - und die Richter gaben ihnen Recht.
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