Interview mit Bootsy Collins: "Funk befreit den Körper und den Geist"
Der Bassist William "Bootsy" Collins über die Macht, Tote zum Leben erwecken zu können, die Zeit mit James Brown und das Gefühl, als Superheld der "Looney Tunes" aufzutauchen.
Bootsy Collins hat gute Laune. Er sitzt auf der Couch in seiner Suite in einem Nobelhotel in Berlin-Mitte. Sein lila schillernder Zylinder korrespondiert mit den lila lackierten Fingernägeln und dem grellbunten T-Shirt, auf dem Jimi Hendrix zu sehen ist, eines seiner Idole. Um den Hals baumelt ein glitzernder Stern, seine Augen sind hinter einer Sonnenbrille mit Sternen verborgen. Das Handgelenk umgibt eine klobige goldene Uhr, außerdem trägt er dicke Ringe, hat einen exakt frisierten Schnurrbart und etwas schiefe, aber blendend weiße Zähne.
taz: Mr Collins, angenommen, Sie wären ein Außerirdischer …
Bootsy Collins: Kein Problem, das kriege ich hin. (lächelt freundlich)
Ein Außerirdischer mit der Fähigkeit, Tote wiederzubeleben. Wen würden Sie zurück ins Leben holen?
Die Frage mag ich. Wow. Möglicherweise … Hmmm. (Pause) Sie haben mich erwischt. Ich bin sprachlos. (noch längere Pause) Wen würden Sie denn gern wiederbeleben?
Ich bin ja kein Außerirdischer. Ich dachte, Sie würden James Brown wählen.
William "Bootsy" Collins war 17 Jahre alt, als er 1968 zusammen mit seinem acht Jahre älteren Bruder, dem Gitarristen Phelps "Catfish" Collins, für die Begleitband von James Brown verpflichtet wurde. Nur elf Monate blieb Bootsy bei den legendären J.B.s, aber in dieser Zeit spielte er die Bassfiguren von Browns bekanntesten Songs ein, darunter "Sex Machine", das vermutlich am häufigsten gesampelte Stück Musik der Popgeschichte. Später reiste Bootsy mit George Clintons Formationen Parliament und Funcadelic in einen vom Funk befriedeten Weltraum. Schon seit Mitte der siebziger Jahre veröffentlicht er Soloalben. Mit seinem prägenden Bassspiel und seiner exaltierten Garderobe wurde Collins, der am 26. Oktober seinen 60.Geburtstag feiern wird, zu einem zentralen Protagonisten des Funks, dem er natürlich auch auf seinem neuen Album "The Funk Capitol of the World" (Mascot/ Rough Trade) huldigt.
Ach so, verstehe. Ich habe zu James Brown immer aufgeblickt wie zu einem Helden. Genauso wie zu Jimi Hendrix oder George Clinton. Solche Ahnen wiederzubeleben, das würde mir nicht zustehen, glaube ich. Wen würde ich wiederbeleben wollen? Ich glaube, es müsste eine Comicfigur sein.
Kann man Comicfiguren wiederbeleben? Die sind doch unsterblich.
Auch wieder wahr. (lacht laut)
Reanimieren Sie nicht James Brown mit Ihrem neuen Album "The Funk Capitol of the World"?
Das war in der Tat meine Absicht. Ich will die Erinnerung an James Brown bewahren. Der hat Funk schließlich begonnen, nicht nur für mich. Er gab mir meinen ersten richtigen Job.
War dieses Jahr 1968 als Bassist der Begleitband von James Brown das wichtigste Ihres Lebens?
Ja, in diesem Jahr hab ich alles Wichtige gelernt. James Brown hat es mir beigebracht.
War es das schönste oder das schrecklichste Jahr Ihres Lebens?
(freut sich schon wieder) Es muss das beste Jahr meines Lebens gewesen sein. Und es war anstrengend, auch frustrierend. James Brown haute uns ständig um die Ohren, wir würden es nicht bringen. Obwohl die Indizien anders aussahen: Wir haben auf der Bühne doch mitbekommen, wie die Leute auf die Musik abgingen. Aber hinter der Bühne hat er uns zusammengeschissen, als wären wir Anfänger, die ihre Instrumente nicht richtig rum halten können. Er war ziemlich streng.
Wie haben Sie das verkraftet? Sie waren ja erst 17 Jahre alt damals.
Das hat schon sehr wehgetan. Ich hatte nie einen Vater und James Brown wurde so etwas wie eine Vaterfigur für mich. Ich gab jeden Abend auf der Bühne alles, ich versuchte, clean zu bleiben, nicht high auf die Bühne zu gehen. Ich gab mir wirklich Mühe, aber man konnte es ihm nie recht machen. Deshalb hat mich seine Kritik sehr getroffen.
Trotzdem war es ein gutes Jahr?
Im großen und ganzen schon. Diese seltsame, verdrehte Psychologie von James Brown hat ja auch funktioniert: Ich nahm mir seine Kritik so zu Herzen, dass ich härter arbeitete, noch mehr übte. Damals habe ich das nicht verstanden, aber James Brown hat uns damit besser gemacht. Wir haben so viel gelernt damals. Als wir zu James Brown kamen, waren wir schon nicht schlecht. Aber unter seiner Regie wurde unser Zusammenspiel amtlich. Die J.B.s waren unglaublich tight. James Brown wusste, wie man uns als Band dirigierte. Er tat es mit seinem Körper. Wir spielten einfach, was wir sahen. Er war eine Art hüpfender Gummiball. Ich musste nur James Brown beobachten und meine Finger spielten automatisch im Rhythmus.
Klingt mystisch.
Das war es auch. Anders wäre es auch nicht gegangen. Denn wenn James Brown einem sagte, was er von einem wollte, hatte man immer das Gefühl, er wusste selbst nicht, wovon er da gerade sprach. Man musste raten und ihm was vorspielen: Meinst du das, James? Dann rief er: Ja, genau, das ist es, gut, dass ich dran gedacht habe. Nein, James Brown wusste nicht wirklich, was er so redete. Mir kam es immer so vor, als befände er sich in einem fernen Land und hört dort fremde Zungen. Es war fast, als müsste man ihn übersetzen.
Auf dem Album rappt Reverend Al Sharpton: "James Brown, hes still the man. He was a historic figure, he changed music as we know it". Ist das Ihre Mission - das Andenken an James Brown zu bewahren?
Ja, das Andenken an James Brown und an die anderen großen Musiker, die mich geprägt haben. Diese Album ist so etwas wie meine musikalische Biografie. Funk war für mich immer die Musik der Freiheit. Funk befreit den Körper und den Geist. Funk ist wie ein Spiegel, in den man morgens blickt und sich denkt: Ey, der Typ sieht aber verrückt aus. Also, das denke ich jedenfalls, wenn ich morgens in den Spiegel gucke. (lacht begeistert) Als Musik der Befreiung war Funk auch politisch.
Es ist also ein politisches Statement, einen schicken Anzug zu tragen?
Ja, auf jeden Fall. Denn es geht darum, sich auszudrücken. Allerdings: sich auszudrücken, ohne jemand anderen zu verletzten. Der Funk will niemanden verletzten, Funk heilt und Funk hilft. Funk schafft Harmonie. Diese Musik bringt die Menschen zusammen, denn jeder hat den Funk. Es gibt nichts, das ohne Funk wäre.
Sie designen Ihre Outfits selbst …
Ja, allerdings.
Wann bringen Sie Ihre eigene Modemarke heraus?
Darüber habe ich noch nie ernsthaft nachgedacht.
Wirklich? Sehr viele Musiker haben auch ein Mode-Label.
Bisher fehlte mir dafür die Zeit. Vielleicht mach ich es ja irgendwann, aber es muss sich auch richtig anfühlen. Ich muss mich darauf konzentrieren können.
Verfolgen Sie die Entwicklungen in der Mode?
Nicht wirklich.
Würden Sie gern nach Mailand reisen zu den Modeschauen?
Hm, das ist schon wieder etwas, worüber ich noch nie ernsthaft nachgedacht habe. (lacht) Aber es stimmt: Ich würde das gern mal sehen. Über Kleidung kann man sich ebenso ausdrücken wie mit Musik. Das ist ebenso Teil des kreativen Prozesses wie das Haus, das ich ausgebaut habe und in dem ich jedes kleine Detail selbst entworfen habe. Also wenn ich mal mit der Musik aufhöre, dann werde ich Designer und gestalte Klamotten, Häuser oder auch Autos.
Ihre Inszenierung als flamboyante Bühnenpersona als Bootsy Collins ist in die Popkultur eingegangen und taucht bis heute immer wieder in Songs und Fernsehserien auf. Auf welche Referenz sind Sie besonders stolz?
Dass Bootsy als ein Superheld in "Loonatics Unleashed" auftaucht. Denn ich bin als Kind mit den Figuren der Comicserie "Looney Tunes" aufgewachsen. Darauf bin ich sehr stolz, jetzt in einer Reihe zu stehen mit meinen Lieblingscomicfiguren Daffy Duck oder Bugs Bunny.
Haben Sie Probleme, den Bühnen-Bootsy und den privaten William auseinanderzuhalten?
Schon lange nicht mehr. Eine Zeit lang habe ich den William verleugnet, weil er nicht cool war. Aber er war schon in diesem Körper, bevor Bootsy auftauchte. Als ich das begriffen hatte, habe ich ihn zurückgeholt, und seitdem verstehen sich die beiden prima.
Auch musikalisch ist Ihr Vermächtnis gewaltig. Es gibt geschätzt mehr als 250 HipHop-Songs und House-Tracks, in denen von Ihnen komponierte Bassparts als Samples auftauchen.
Wow, das ist eine Menge.
Ist das eine realistische Schätzung?
Ich habe keine Ahnung. Es ist auf jeden Fall eine gewaltige Zahl, aber ich habe nie nachgezählt. (lacht)
Sie nicht, aber vielleicht Ihre Anwälte?
Ja, die kümmern sich darum. Aber ich will das gar nicht so genau wissen.
Aber Sie kriegen ab und zu Geld?
Ja klar, jedes Jahr. Mal ist es mehr, mal ist es weniger. Aber es ist schon okay. (schmunzelt zufrieden)
Nicht schlecht für jemanden, der ursprünglich gar nicht Bass spielen wollte.
Ja, ich habe zuerst Gitarre gespielt. Ich wurde aber gezwungen, Bass zu spielen, weil ich mit meinem Bruder zusammen spielen wollte. Der hatte sich in Cincinatti schon einen Ruf als ziemlich guter Gitarrist erspielt, also musste ich zum Bass wechseln. Ich war nicht gerade wild darauf. Seien wir ehrlich: Die Mädchen sind damals nicht eben auf Bassisten abgefahren. (lacht) Wir standen damals ganz hinten in der Nahrungskette.
Sie haben das geändert.
Nicht nur ich, aber ich war dabei, ich war Teil dieser Bewegung, die die Rhythmussektion nach vorne rückte. Heute sind Bassisten ganz anders angesehen, heute sind Bassisten cool. Und ich habe meinen Teil dazu beigetragen, darauf bin ich stolz.
Bedauern Sie manchmal, die Urheberrechte auf die berühmte Bassline von "Sex Machine" und anderen James-Brown-Stücken damals nicht besser geschützt zu haben?
Nein, nicht wirklich, wir wussten es ja nicht besser. Ich habe mir eine Bassline ausgedacht, mein Bruder hat sich ein Gitarren-Lick einfallen lassen. Dass wir dafür eine Autorennennung hätten bekommen müssen, das konnten wir doch nicht wissen. Wir waren einfach nur glücklich, mit James Brown im Studio zu sein, mit ihm aufnehmen zu dürfen.
Ihr Bruder Phelps "Catfish" Collins, mit dem Sie bei den J.B.s spielten, ist im August 2010 gestorben. Auf Ihrem Album ist er noch einmal zu hören, wie er singt und Gitarre spielt.
Ja, das war mir äußerst wichtig. Ich habe ihn noch ein letztes Mal zum Leben erweckt. Wenigstens ihn. Jetzt ist er auch unsterblich. (lacht ein letztes Mal)
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