Versicherung gegen Naturkatastrophen: Flutopfer bleiben auf Kosten sitzen
In gefährdeten Gebieten ist es teuer oder unmöglich, sich gegen Hochwasser zu versichern. Eine Pflichtversicherung lehnt die Branche ab.
HAMBURG taz | Für die Versicherer geht es jetzt um eine Flut von Zahlen. Nach diesen kommt Europa in diesem Jahr trotz verheerender Hochwasserschäden in Deutschland voraussichtlich glimpflicher davon als bei der „Jahrhundertflut“ 2002. Die Allianz, Deutschlands größter Versicherer, rechnet damit, mehr als 500 Millionen Euro in Europa auszahlen zu müssen. 2002 waren es 710 Millionen Euro.
Die Hochwasserschutzmaßnahmen nach der Flut vor elf Jahren hätten sich ausgezahlt, erklärten Experten. In Österreich, Tschechien, der Slowakei und Ungarn machen die Schäden laut „Erste Bank Österreich“ diesmal nur einen Bruchteil der 6 Milliarden Euro von 2002 aus.
Hierzulande waren viele Regionen, die kaum gegen Hochwasser geschützt waren – etwa in Bayern – besonders stark betroffen. Die Versicherungskammer Bayern erhöhte ihre Schadenschätzung um 10 Millionen auf 50 Millionen Euro. Axa geht für Deutschland von 50 bis 60 Millionen Euro aus.
Zwischen Bundesregierung und Opposition ist ein Streit um die Finanzierung der Flutschäden entbrannt, für die insgesamt 8 Milliarden Euro bereitgestellt werden sollen. CDU-Finanzminister Wolftgang Schäuble bekräftigte am Wochenende, den Bundesanteil durch neue Schulden zu finanzieren. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) forderte hingegen eine befristete Erhöhung der Unternehmensteuer. Auch die Bundesländer streiten über die Verteilung der Kosten. Laut Focus wollen einige Länder ihre Investitionen in den Hochwasserschutz – wie etwa Rheinland-Pfalz an Rhein und Mosel – von der Zahlungsverpflichtung abziehen.
Kein Schutz gegen Elementarschäden
Klar ist: Die Assekuranzen tragen wieder nur einen Teil der Kosten. Der versicherte Hochwasserschaden liegt diesmal aber wohl höher als vor elf Jahren: Der Versicherungsmakler Willis Re veranschlagt bis zu 3 Milliarden Euro, 2002 waren es 1,8 Milliarden.
Das Problem: Normale Haftpflicht- und Gebäudeversicherungen sehen keinen Schutz gegen Elementarschäden wie Erdbeben und Hochwasser vor. Gegen Naturgefahren kann man sich meist nur durch eine Zusatzversicherung schützen.
Der Versicherungsverband GDV gibt den Verbrauchern die Schuld an der Unterversicherung: „99 Prozent aller Gebäude in Deutschland sind gegen Hochwasser versicherbar“, sagt ein GDV-Sprecher. Davon würden die Verbraucher aber nur ungenügend Gebrauch machen. Nur ein Drittel der Deutschen sei gegen Naturgefahren versichert.
Häuser und Grundstücke, die dicht an Elbe, Oder und Rhein liegen, lassen sich nur zu einem sehr teuren Tarif oder gar nicht gegen Überschwemmungsschäden absichern. Immerhin: Policen aus DDR- und Wendezeiten haben meist noch den Schutz gegen Elementarschäden; in Baden-Württemberg galt bis Mitte der neunziger Jahre für Häuslebauer und Grundstückseigentümer eine Versicherungspflicht.
Branche verweigert Pflichtversicherung
Die Branche wies am Wochenende Forderungen nach einer Pflichtversicherung für Hausbesitzer gegen Naturkatastrophen zurück. Diese würde Anreize für eigene Schutzmaßnahmen etwa gegen Hochwasserschäden zunichtemachen, sagte GDV-Präsident Alexander Erdland der Rheinischen Post.
Zudem wären wegen möglicherweise schwerer Schäden Staatsgarantien in erheblicher Höhe nötig. Der Staat solle lieber mehr Geld in den Hochwasserschutz investieren, sagte Erdland. „Andernfalls werden wir uns bei weiter zunehmenden Naturkatastrophen in eine unbezahlbare Spirale aus steigenden Schäden und steigenden Prämien begeben.“
Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wäre eine flächendeckende Elementarschadenversicherung für Staat und Steuerzahler billiger als Soforthilfen der Politik. Im DIW-Modell wäre der Nothilfefonds von Bund und Ländern in Höhe von 8 Milliarden Euro von der Versicherung gedeckt. Nach der Flut 2002 war das Modell der Berliner Forscher mangels politischen Willens der Bundesländer gescheitert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
USA nach Trump-Wiederwahl
Das Diversity-Drama