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Dschihadisten als Pop und ProtestkulturWie wir Firas verloren haben

Binnen weniger Jahre wurde der 19-jährige Firas H. vom lieben Buben zum Frontkämpfer für den „Islamischen Staat“ in Syrien. Aber warum?

Isis-Kämpfer in ihrer Hochburg Raqqa, Syrien. Bild: Reuters

WIEN taz | Firas ist jetzt ein Star der bizarren Art: Österreichs bekanntester Dschihadist. Einziger Austro-Terrorist, der von Interpol weltweit gesucht wird. Sehr schnell wird man Firas aber nicht habhaft werden. Denn Firas, in Floridsdorf aufgewachsen, einem Flächenbezirk im Nordosten von Wien, ist irgendwo in Syrien. Kämpft in der IS und postet täglich auf Facebook.

Gerade hat er mit seinen Leuten den Flughafen Tagba erobert. „Nach dem Verhör“ würden die Gefangenen „geschlachtet“, schreibt er in einem Posting. Auf einem Foto posiert er lachend auf einem eroberten Kampfjet. Er wirkt nicht einmal unsympathisch, wie er da lächelt.

Unter jedem Posting finden sich oft hunderte Likes von jungen Muslimen. Auf einem Foto ist die Uniform eines hochdekorierten syrischen Kampfpiloten zu sehen. „Was für eine Trophäe“, schreibt Firas. Übrigens schreibt er Trophäe richtig, was heutzutage nicht allen 19-Jährigen gelingt. Er macht auch viele Smileys. Und die Satzzeichen, Komma et cetera, setzt er auch korrekt. Firas ist weder dumm noch ungebildet. Der chancenlose Verlierer – der war Firas in seinem früheren Leben ganz offensichtlich nicht.

Spaß haben, sich opfern

Firas nutzt seine Internet-Präsenz aus Propagandagründen. Er ist ein talentierter Propagandist. Er zeigt das große Schlachten, zeigt, wie es voran geht; zeigt, dass er und seine Mitkämpfer dabei viel Spaß haben; zeigt, dass sich manche opfern für die Sache des Propheten und des Kalifats; zeigt, wie man Gefangene demütigt und wie sie dann tot in der Wüste liegen.

Für all das bekommt er hunderte Likes. Für die, die da in ihren Jugendzimmern sitzen, und auf Like drücken und Jubelkommentare posten, ist er ein Held, ganz ohne jeden Zweifel. Vielleicht freut das Firas ja auch. Es ist zwar Propaganda, aber immerhin erhält ja er den Zuspruch. Die anderen finden das klasse. Möglicherweise findet ja auch Firas klasse, dass die anderen ihn klasse finden. Wahrscheinlich sogar.

Nur vereinzelt finden sich andere Postings wie dieses: „Was ist aus Dir geworden??? Früher warst Du ganz anders alter.“

Ja, früher war Firas ein anderer. Im Internet findet sich ein Profil, das der kleine Firas, damals war er vielleicht vierzehn, fünfzehn, ausgefüllt hat. Unter der Rubrik „Lieblingsbücher“ gibt er an: „Maikäfer, flieg“, das Anti-Kriegsbuch von Christine Nöstlinger.

Die Eltern versuchen alles

Seine Eltern kamen vor einem Vierteljahrhundert aus Tunesien und haben dem Wochenmagazin News nun ein großes Interview gegeben. „Wir sind wohl das, was man moderne Moslems nennt“, sagt der Vater. Die Mutter trägt kein Kopftuch, sie haben Firas eine gute Bildung verschaffen wollen. Er ging auf die Tourismusschule, sollte Abitur machen. Neben dem Interview sieht man als Faksimile einen Fragebogen, den der kleine Firas, er wird damals vielleicht zwölf gewesen sein, in der Schule ausfüllen musste. „Spitzname: Firi. (...) Geschwister: kleiner Bruder (oft süß aber nervig) (...) Mein Wunsch: Dass es keinen Krieg auf der Welt gibt.“

Firas war 16, als er anders wurde. Er ging in Moscheen, zu Jugendtreffs, recherchierte im Internet zum Islam. Begann vom Kalifat zu reden. Eine Verwandlung. Er wird ummontiert und montiert sich selbst um. Die Eltern hörten die Alarmglocken, versuchen alles, was sie können. „Es ist an sich schon schwer, als Eltern mit einem Jugendlichen in der Pubertät eine gute Verbindung zu haben, aber wenn der Sohn einer Gehirnwäsche ausgesetzt wird, ist es aussichtslos“, sagt der Vater.

Der Vater versucht ihm den Umgang zu verbieten. Erfolglos. Er beschattet seinen Sohn sogar. Er nimmt ihm den Pass ab, weil er schon ahnte, sein Sohn könnte in den Dschihad ziehen wollen. Versteckt das Dokument an seiner Arbeitsstelle. Firas geht zur Polizei, macht eine Verlustanzeige, erhält einen neuen Pass, der Vater erfährt davon nichts. Die Eltern tun was sie können, der Vater geht verzweifelt auch zur Polizei, aber „was all die Zeit fehlte, war psychologische Unterstützung, jemand, der mehr Profi ist, als wir es je sein können.“

Morgens war das Bett leer

Bizarres Ende: Am 8. Mai geht der Vater zum Konzert der Philharmoniker auf den Heldenplatz in Wien. Das ist nicht irgendein Termin: Das ist das „Fest der Freude“, das Fest der Kapitulation der Nazis, Fest des Kriegsendes, Fest der Befreiung vom Faschismus, ein Hochamt der Gutmenschen und Antirassisten gegen alle Ewiggestrigen. Währenddessen packt der Sohn daheim die Tasche. „Am nächsten Morgen war sein Bett leer“. Der Junge, der sich wünschte, „dass es keinen Krieg auf der Welt gibt“, war auf dem Weg, Ungläubige zu töten.

Man kriegt diesen süßen Jungen und den heute 19-Jährigen, der zu Gräueltaten grinst, nicht recht zusammen. Es ist eine Geschichte, bei der man Gänsehaut bekommt. Die Eltern haben ihren Sohn verloren. Aber irgendwie haben wir ihn alle verloren.

Er führte ein normales Leben, in einer normalen Familie, in einer normalen Umgebung, in einer normalen Schule. Seine Freunde waren Österreicher, Türken, Kroaten. Aber irgendwann nahm er eine Abzweigung. Kann man das verstehen? Man kann bei Firas ziemlich genau nachlesen, was ihn und seine Fans verbindet. Junge Mädchen, die heute den Niqab tragen, und vergangenes Jahr noch im Minirock herumgelaufen sind. Junge Fußballspieler aus der Vorstadt. Ja, sogar ein junger Gewerkschafter ist dabei unter den Like-Drückern, gewählter Jugendvertrauensrat bei einem großen Telekommunikationsunternehmen. Sie wollen hier gar nicht mehr dazugehören - in diesem Westen, der dekadent ist. Sie haben vielleicht Diskriminierungserfahrungen gemacht - vielleicht, große, explizite.

Islam = Identität, das reicht

Wahrscheinlich aber auch nur die kleinen, täglichen, denen man als heranwachsender Türke, Tunesier oder Ägypter ausgesetzt ist; erfahren, dass sie „anders“ sind, also nicht dazugehören, zur Mehrheitskultur. Da kommt man dann schnell auf „den Islam“ als Quelle der Identität. Dafür müssen sie vom Islam nicht einmal viel wissen. Islam = Identität, das reicht. Die Überzeugungen werden ihnen vorgekaut, von Predigern in den Moscheen oder im Internet, und das, was man so salopp ihre „islamistische Ideologie“ nennt, würde bei vielen, schriebe man es zusammen, auf zwei DIN A 4-Seiten passen.

Der IS und die anderen radikalen Gruppen zielen jedenfalls mit ihrer Propaganda genau auf das ab. Der Tenor: Ihr werden diskriminiert. Man will Euch da, wo ihr seid, nicht. Sie werden Euch nie dazu gehören lassen. Sie (die Ungläubigen), sie unterdrücken den Islam überall. Amerika. Bomben. Drohnen. Israel. Gaza. Das alles fügt sich zu einem geschlossenen Bild.

Hat der junge Muslim erst einmal den Tunnelblick, dann sieht alles, was auf der Welt geschieht, wie ein Indiz aus, das das radikal-islamistische Weltbild bestätigt. Man hält Euch klein, aber der Islam macht Euch groß. Und mit dem IS, der so sichtbar erfolgreich ist, erhielt das alles einen neuen Hype.

Der globale Protestislam

Und irgendwie ist das natürlich auch alles Pop. Junge Leute, die in die Pubertät kommen und genau das machen, was am schärfsten provoziert – nicht zuletzt ihre Väter und deren Welt, Väter, die sich hier eingerichtet haben in ihrem Migrantenleben, ihrer Minderheitenrolle. Väter, die als Schwächlinge erlebt werden. Dschihad als brutale Gegenkultur. Einen globalen „Protestislam“ hat der algerischstämmige, jetzt italienische Soziologe Fouad Allam das schon vor zehn Jahren genannt: Entwurzelt, entkleidet lokaler Traditionen, selbstgebastelter Einheitsislam.

Das Irre ist: Man kann das alles ganz leicht verstehen. Und es ist dennoch verrückt.

Es sind hunderte, vielleicht tausende, die all das liken, auf der Seite von Firas und auf anderen. Man muss nur mit frommen, aber moderaten Muslimen ins Gespräch kommen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie verzweifelt diese schon sind, weil sich überall diese „Gift-Ideologie“ ausbreitet. Die Panik, weil so viele Kinder driften. Etwas läuft auf verdammt bescheuerte Art schief, gleich hier, vor der Tür, was man gar nicht richtig mitbekommt oder wenn, eben nur so irgendwie. Halb vom Hinsehen, halb vom Wegsehen.

Firas ist den Weg in Krieg und Terror gegangen, die meisten seiner Freunde begnügen sich mit dem Weg in ihre Gegenwelt. „Nächstes Jahr Donauinselfest“, schreibt einer. Soll heißen: Wir sehen uns bei der großen Wiener Sozi-Sause, nicht in Syrien.

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26 Kommentare

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  • Ist es so unwahrscheinlich, dass Firas H. für irgendeinen Dienst unterwegs ist? Wäre nicht das erstemal, dass etwa die USA in Wien rekrutieren. Firas' exponiertes Mitläufertum erinnert sehr an manchen IM ebenso wie an "Nazis" im Dienst des Staatsschutzes. Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

     

    Dass etliche der 2000-3000 aus Europa angereisten "IS-Dschihadisten" unter falscher Flagge surfen und beten, ist doch so gut wie sicher. Die Kuffar sind da, wo Dawla sie nicht erwartet. Und das ist gut so!

  • Es fällt mir schwer all diesen psychologisierenden Beiträgen im Forum zu folgen- Sorry! Ich möchte doch den Foristen, die von negativen sozialen Vorurteilen und familiärer Determination reden, Recht geben.

    als Jugendlicher, Teenager und Twen ist Sehnsucht nach Erfolg und Anerkenntnis im sozialen Feld wichtig,

    wie auch die Hormone nach Art orgasmischer naiver Erfüllung lechzen..

    Firaz hat wohl soziale Diskrimination erfahren und wurde evtl. als naive `männliche Jungfrau´ ein Opfer religiös dogmatischer Verführung...

    Und nun? Ist er schuldig, hat evtl. Vergewaltigt und gemordet- und so auf pervers/barbarische Art eine `Antizivilisatorische´ Erfüllung gefunden...

    Es gibt Hunderttausende von Jugendlichen in der EU die diskriminiert sind, die ohne Job, ohne Ausbildung, ohne Bildung sind! Die jedoch aktiv sind um sich der zivilen Kultur positiv anzupassen um ihr Glück zu finden!

    Firas wählte, selbstentschlossen, den falschen Weg!

  • Hallo Herr Misik:

    Der wegen in die Verbrecherlaufbahn hinein Gestrauchelte und dann im Gefängnis Gelandete, aus dem Hartz-IV Milieu? Also auch: "... solche, die erfahren, dass sie `anders´ sind, also nicht dazugehören, zur Mehrheitskultur."

     

    Haben "wir" denn den nicht auch verloren? Oder trauern wir hier nur um extremste Gewaltverbrecher, bevor "wir" anteilnehmende Artikel verfassen.

  • Ich bemerke gerade, dass einer meiner Kommentare von der Moderation gelöscht wurde, vermutlich, weil in ihm islamischer Kultur nicht die gebotene Wertschätzung entgegen gebracht wurde.

    Ich halte meinen dort formulierten Gedanken für den Artikel aber relevant. Deswegen hier noch einmal in entschärfter Form :

     

    Diese behaupteten Diskrimierungserfahrungen als Ursache scheinen mir zu ungenau.

    Oft ist das eine billige Entschuldigung und oft genug wird eine solche empfundene Zurückweisung erst provoziert, um sich als Opfer, später als Outlaw zu fühlen und sich der eigenen Peer-Group umso mehr zu versichern.

    Darüber hinaus scheint mir ein Aspekt bisher zu wenig betrachtet zu werden:

    Die Ausbildung von (kultureller) Identität ist schwer genug und bei migrantischen Biographien zweimal. Verständlich, dass man im Sinne von thymotischer Selbstbehauptung (Sloterdijck) auch dieses Erbe pflegen, ggf. entwickeln möchte - aber welches Angebot gibt es da?

    Ich behaupte, verglichen mit westlicher, meinetwegen abendländischer Kultur von der Aufklärung bis zur Pop-Kultur ist das Angebot islamischer Kultur zu schmal, zu eingeschränkt, zu wenig universell, wie auch immer, um darauf rekurieren zu können. Übrig bleibt nur die Religion - mit den bekannten Folgen.

  • Das Abschlachten und Quälen von "Ungläubigen" (welcher Art auch immer) wird in zahllosen Koran Suren propagiert. Als "korantreuer" Moslem macht Firas also nichts anderes, als nach seiner Meinung dort gefordert wird. Wo waren die Koranlehrer, die ihm gesagt haben, dass alles nicht 1:1 befolgt werden darf? Gibt es die überhaupt? Prof. Khorchide von der Uni Münster, der einen "moderaten Islam" vertritt, wird massiv von der moslemischen community angefeindet und ist so gut wie isoliert. Seine Vorlesungen und Seminare werden boykottiert. Wenn im Koranunterricht den Kindern noch heute die Angst vor der "Hölle" eingetrichtert wird (Ahmad Mansour) und abfällig über Juden u. a. gesprochen wird, wundert einen die Entwicklung von Firas gar nicht.

    • @Guillaume:

      Die (taktische) Unterscheidung zwischen einer richtigen und einer falschen Auslegung des Korans erheitert mich.

      Ob die geringen Diener Gottes Wort jetzt richtig oder falsch auslegen weiß nur Allah allein, aber eine grosse Zahl von sog. Islamgelehrten legt ihn eben ganz anders aus, wie man ihn bei uns aus politischem Opportunismus gerne verstanden wissen möchte. In weiten Teilen von Nahost und Pakistan ist die Tötung von (der Konversion unwilligen) Ungläubigen Common sense.

      Vorläufig ist mein Bild des Islam deswegen weniger von dem geprägt, was man affirmativ darin sehen könnte, sondern eher von der gelebten Wirklichkeit, die sich auf den Koran beruft - das, und nur das, ist für mich der Koran.

      • @Acolmiztli:

        Ich muss mich ausnahmsweise relativieren:

        Ersetze

        Tötung von (der Konversion unwilligen) Ungläubigen

        durch

        Tötung bzw. Unterwerfung von (der Konversion unwilligen) Ungläubigen

        • D
          D.J.
          @Acolmiztli:

          Naja, so weit geht nicht einmal der trad. Scharia-Islam. Die Alternative lautet Tötung (bzw. bei Frauen und Kindern Versklavung), Konversion oder Leben als Dhimmi (Kopfsteuer, minderes Recht, ggf. äußere Kennzeichnung). Letzterer Ausweg gilt aber nach vielen Rechtsschulen nicht für (angebliche) Polytheisten (z.B. aktuell die Jeziden). Oder für Abgefallene (als das werden ja die Schiiten von den radikalen Sunniten gesehen).

          • G
            Guest
            @D.J.:

            Frage:

            Gibt es auch einen Islam ohne Scharia?

            Und wäre das so, wie ein Judentum ohne Levitikus?

          • D
            D.J.
            @D.J.:

            P.S.: Natürlich nicht die völlige Rechtlosigkeit der Atheisten zu vergessen.

            Wieso müssen wir uns eigentlich 300 Jahre nach Beginn der Aufklärung überhaupt über so etwas unterhalten? Das allein macht mich wütend.

  • Das eine, was hier beschrieben wird, ist das Problem der Eltern. Das ist deren persönliches Schicksal, mit dem sie fertig werden müssen. Dazu gibt es zumindest in der BRD ausreichend Therapiemöglichkeiten, den Verlust oder das Abnabeln eines Kindes zu verarbeiten.

    Der junge Mann hat sich in Österreich nicht starfbar gemacht, so wie ich das sehe. Im Irak und in Syrien ist er das Problem der dortigen Gesellschaft. Denen zu helfen, wird an anderer Stelle debattiert.

     

    ABER:

    Was ist mit den hier lebenden Menschen, die das Abschlachten von anderen Menschen "liken", also befürworten? Hier hat der Überwachungsstaat mal was zu tun und sollte die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, dass diese identifiziert werden können. Dann kann entschieden werden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Imo scheinen sie in dem Umfeld, in dem sie jetzt leben, nicht besonders gut aufgehoben. Evtl. sind hier Jugendhilfemaßnahmen angebracht. (Z.B. Auslandsmaßnahmen in Flüchtlingslagern von syrischen und irakischen Verfolgten)

  • Ein sehr guter Artikel der gut die Ratlosigkeit beschreibt. Warum geht jemand aus einem friedlichen Land mit seinem relativen Wohlstand in den Krieg, um dort Erfahrungen zu machen, die so unsäglich schrecklich sind? Warum empfindet er diese eben nicht als schrecklich, sondern anscheinend sogar als erstrebenswert? Letztlich kann man nur spekulieren, so geht es mir auch. Allein jugendlicher Übermut oder der Wunsch sich selbst hervorzuheben, das ist wohl als Antrieb für diese Menschen zu kurz gedacht. Unsere Gesellschaften sind vielleicht nicht so bestechend "gut", wie wir denken. Die "westlichen Werte" erscheinen oft als dünner Anstrich von Kultur, die Vorbilder wie Ackermann, Geissen oder auch mal einen Wollersheim als erstrebenwert erklärt. Nicht daß ich diese Menschen verantwortlich machen wollte, sie mögen auch nur als Beispiel dienen. Nur der Umgang damit, der leicht falsche Vorstellungen schafft mag dazu beitragen. Das zu ertragen efordert schon eine gefestigte Haltung, die eben gerade Jugendlichen naturgemäß abgeht. Das Eine wie das Andere sind Symptome, die unsere Gesellschaft herausfordern und aktuell sind wir nicht in der Lage, dieser Herausforderung zu begegnen. Wenn ich bloss wüsste wie, ich würde es gerne sagen, aber die Hoffnung besteht, daß sich Klügere darüber erfolgreicher Gedanken machen.

    • D
      D.J.
      @Klaus Franz:

      Ich befürchte, Sie sind ein typisches Beispiel dafür, wie das nahe Liegende, allzu Bekannte für solche Phänomene verantwortlich gemacht wird (nur ganz nebenbei: Ackermann ist in D eher Feindbild als Vorbild). Zeichen von Angst und, Sie haben darin Recht, Ratlosigkeit.

      Warum eigentlich, frage ich Sie, ist der Gedanke des Glaubenskrieges so viel älter als der Kapialismus (und schon im 7. Jh. - dschihad - bzw. 12. Jh. - Kreuzzüge - waren es überwiegend keineswegs die Ärmsten, die zum Schlachten auzogen).

      • @D.J.:

        Da gebe ich Ihnen Recht. Wenn Sie mich als Kapitalismuskritiker verstanden habe, mag das daran liegen, daß ich mich schlecht ausgedrückt habe und meine Beispiele womöglich nicht gut gewählt sind. Natürlich ist es kein guter Grund, einen Verfall der Moral warzunehmen und als Reaktion dazu Menschen zu "schlachten". Ich dachte auch dabei an die gerade gemeldete Salafistenpolizei.Kampf gegen Glückspiel, Drogen und Alkohol, das hätte auch von einem Ministerium kommen können. Nur dieses würde eben nicht durch die Straßen patroullieren um zu "bekehren". Verantwortlich ist natürlich weder RTL noch ein Bordellbesitzer. Uns fällt aktuell aber eben auch nicht viel mehr ein, als die Strafverfolgung, die natürlich nötig ist. Meines Erachtens nach ist es allerdings so, daß irgendetwas bei uns selbst verkehrt sein muss. Es ist genauso, wie ich nicht verstehe wie junge Menschen, die Geschichtsunterricht hatten und bei Klassenfahrten KZs besucht haben, hernach zu Neonazis werden. Wie es im Artikel heisst, irgendwo sind diese "falsch abgebogen", aber wo ist diese Abzweigung, damit wir versuchen können sie zu schließen?

        • D
          D.J.
          @Klaus Franz:

          O.K.

          Ich hätte übrigens auch prinzipiell nichts gegen Kapitalismuskritik, sondern nur gegen zu vorschnelle Deutungsversuche.

  • D
    D.J.

    Naja, Ihr letzte Absatz ist eher überflüssig. Natürlich gibt es islamische Kulturen. Über deren Wert (hoch niedrig) zu reden, ist kulturwissenschaftlich sinnlos, um nicht zu sagen überheblich. Wichtiger als das ist die Rede von zivilisatorischen Standards. Wo liegen die, welche Anreize bietet eine Gesellschaft, diese freiwillig einzuhalten, wie mächtig sind die alternativen Angebote (vulgo "Barbarei"), welche Repressionsmöglichkeiten gibt es, die Einhaltung zu erzwingen.

    • D
      D.J.
      @D.J.:

      Bezog sich auf @Acolmitzli

      • @D.J.:

        Klar, dass eine Wertung und Gewichtung im akademischen Milieu natürlich nicht zulässig ist - ich bleibe dabei, denn die Wirkungsmächtigkeit von Kultur im wirklichen Leben, bzw. wie Kultur wirkliches Leben erst determiniert ist natürlich mehr als eine Dissertation, ich könnte pathetisch sagen, es ist unser Schicksal.

         

        Sie schreiben u.A.: "Welche Repressionsmöglichkeiten gibt es, die Einhaltung zu erzwingen."

        Ein reines Polizeiproblem, solange es ein echtes Minderheitenproblem ist (mit Minderheiten meine ich nicht 10%, da ist es schon zu spät).

        Ansonsten gilt auch hier das Böckenförde-Diktum:

        „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“

  • Mehrheitskultur!

     

    Um Ausreden sind wir nicht verlegen, wenn wir Gründe suchen, wenn andere andrehen.

     

    JEDER wird diskriminiert. Rote Haare - weiblich - schwul - behindert - fett - schlecht in Mathe - gut in Mathe - Ausländer - zu hübsch - falsche Religion - gar keine Religion (Todsünde!) - Öko - Nazi - Vegetarier - linke Zecke - arme Eltern - reiche Eltern - falsche Wohngegend - Hartzer - und eine Myriade anderer Dinge, die irgendwelchen anderen Leuten nicht passen.

     

    Irgendwas ist immer.

     

    Einige Leute schießen ihre Schule zusammen, andere werden Djihadist.

     

    Der Rest wird erwachsen.

  • In den 20er Jahren waren es der heilsbringedne Faschismus oder Kommunismus, der reichlich intelligente junge Männer (und Frauen) begeistert hat, soweit, dass sie bereit waren über Leichenberge zu gehen. Diskrimierungs- oder andere Zurücksetzungserfahrungen sind nur einer unter vielen möglichen Faktoren - letztlich haben diese Menschen aus verschiedensten Gründen ein schwer gestörtes Verhältnis zu sich selbst, das sie dann durch eine Ordnungslehre und Gewalt gegen andere zu reparieren versuchen (was natürlich nie funktioniert).

  • Viele Männer haben Spaß daran Macht auszuüben. Ein bedauerlich hoher Prozentsatz hat auch Spaß daran, Macht in Form von Unterdrückung, Angst, Gewalt und Terror auszuüben. Falls sich das Gewissen meldet, kann man als `gläubiger` Moslem den Koran heranziehen und behaupten, man vollziehe nur den Willen Allahs.

     In den Händen guter Menschen ist der Koran sebstverständlich nicht gefährlicher als das alte Testament.

     

    Kommentar beaerbeitet. Bitte beachten Sie unsere Netiquette.

    • @Greg:

      @Greg: So wie das alte Testament auch immer gefährlich bleiben wird, wie radikale Evangelikale zeigen. Die haben nur zur Zeit keinen Kreuzzug, der in den Medien gebracht wird. Gehorsamkeitsideologie haben sie leider genauso.

    • D
      D.J.
      @Greg:

      Richtig. Es gibt natürlich auch fanatische weibliche Konvertitinnen, einige werden sogar Dschihadistinnen. Hier liegen die Dinge mit der Macht komplizierter: Nach ober buckeln (der "ganze Kerl" über einem), nach unten treten oder zumimdest verachten (die Ungläubigen, v.a. die "ungläubigen Schlampen").

      • @D.J.:

        Natürlich. Aber von den Kopfabschlägern, von denen ich geredet habe, geht eben eine größere Gefahr aus, als von deren Bewunderern. Dass Schlechtigkeit und Dummheit nicht Alleinstellungsmerkmale der Männer sind stimmt selbstverständlich.

  • D
    D.J.

    Wirklich guter Beitrag. Dennoch - wenn Diskriminierungserfahrung eine wesentliche Rolle spielt: Warum sind dann urdeusche oder uröstrreichische Konvertiten oftmals unter den Fanatischsten (bei denen dann oft auch die Sache mit der sozialen Augrenzung nicht hinhaut)?

    Und weiter: Ich denke, auch wenn wir es nicht verstehen, wir sollten nicht unterschätzen, dass das Ausüben von Macht, grausamer Macht, Tötungsmacht, ggf. auch sexualler Macht für sehr viele ein wesentlicher Antrieb ist. Die zivilsatorischen Tabus sind sehr schnell durch das entsprechende Ideologieangebot weggewischt (Nazismus, Dschihadismus usw.).

  • Gute Reportage ohne allzu schnelle Antworten. Respekt!