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Kolumne Die eine FrageNicht nur reaktionäre Ossis

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Soll man Pegida-Demonstranten ein Gesprächsangebot machen oder sie verdammen? Ein Anruf beim Dresdner Politologen Werner Patzelt.

Werner Patzelt, Politologe und CDU-Mann Bild: dpa

E in Protest gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ ist kein Ausweis von geistiger Frische. Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind nichts, wofür man Verständnis haben müsste. Weshalb die mehrheitliche Reaktion dieser Tage ist: Pegida als Ganzes moralisch verdammen und gesellschaftlich ausgrenzen.

„Wenn die Diagnose 'pure Ausländerfeindlichkeit' richtig wäre, dann wäre auch jene Position goldrichtig“, sagt Werner Patzelt. „Aber ich bezweifle, dass die Diagnose stimmt.“ Jedenfalls nicht bei der überwiegenden Mehrheit.

Patzelt, 61, ist Professor für politische Systeme in Dresden. Ein Bayer mit einer dem Modischen trotzenden Lockenfrisur. CDU-Mitglied. Er gehört wie der Bürgerrechtler Frank Richter und die langjährige grüne Spitzenpolitikerin Antje Hermenau zu den Intellektuellen, die eine irritierend differenzierte und empathische Sichtweise auf einen großen Teil ihrer Dresdner Mitbürger haben, die unter der Flagge von Pegida demonstrieren. Gerade ist er auf dem Weg aus seinem Büro im Gerberbau der TU. Davor wartet ein Fernsehteam. Aber nun erst mal dieses Telefongespräch.

Für Patzelt ist Pegida keine stumpfe Truppe mit intellektuell und moralisch indiskutablen Positionen. Er sieht eine „Repräsentationslücke“, einen vom Parteienspektrum und Meinungskorridor nicht repräsentierten Teil der Bürger, die nun ihre Sichtweisen und Ansprüche bekunden. Und aus deren Sicht das politische und kulturell hegemoniale Establishment genauso reagiert, wie man es ihm unterstellt hat: Es verhöhnt die Sprechschwierigkeiten, Wissens- und Denkleerstellen und lauert nur auf den einen Satz, der den Rassisten und Nazi entlarvt. Bachmann! Ha! Wussten wir es doch.

taz.am Wochenende

Alle reden über Pegida, aber noch hat keiner umfassend die Frage beantwortet: Warum Dresden? 23 Ursachen benennt die Titelgeschichte der //www.taz.de/Ausgabe-vom-24/25-Januar-2015/%21153291%3E%3C/a%3E:taz.am wochenende vom 24./25. Januar 2015. Und: Wie der Tod des Eritreers Khaled Idriss Bahray in Dresden viele Gewissheiteninfrage stellt. Außerdem: Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger über gute Traditionen, große Autoren und verpasste Chancen. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im //taz.de/tazam-wochenende/%21112039%3E%3C/a%3E:praktischen Wochenendabo.

Genau darum geht für Patzelt der Deutungshoheitskampf, wer oder was Pegida ist: ob die Protestierenden pauschal als Nazis ausgegrenzt werden, als Dresdner Sonderfall oder DDR-Nachwehen – oder ob Pegida als erste Massenbewegung, die von rechts kommt, das politische Sprech- und Repräsentationsspektrum erweitert. „Pegida ist der ostdeutsche Ausdruck eines bundesweiten Phänomens“ sagt Patzelt.

Massenbewegung von rechts

Man müsse den Leuten zuhören, um das „Unbegründete“ vom Begründeten zu unterscheiden. Dann blieben zwei zentrale Themen. Die Sorge angesichts der Entwicklung einer Einwanderungsgesellschaft ohne Einwanderungspolitik mit „Islamisierung“ als einem Unterkapitel. Das tief empfundene Sentiment, die politische Klasse (einschließlich „ihrer“ Medien) sei abgehoben und verachte sie („das Volk“).

Bewegen müssten sich diejenigen, die für das Regieren bezahlt werden. Konkret politisch, indem sie in der Einwanderungs- und Integrationspolitik „über die Wirklichkeit so diskutieren, wie sie in den Augen aller Betroffenen aussieht“. Und zweitens, indem sie Gesprächsformen organisierten und über plebiszitäre Formen nachdächten, statt sich angeekelt wegzudrehen.

Nun kann man argwöhnen, dass der Professor Pegida ein bisschen sehr aufbläst, positiv sieht oder für seine Zwecke nutzt. Das taten die mitfühlenden Beobachter des Protests gegen Stuttgart 21 womöglich auch (ich, zum Beispiel). Interessant ist, dass Pegidas zweiter Punkt auch dort zentral war: die „Lügenpack“-Anklagen gegen Politik und Medien. Das Gefühl, in der parlamentarischen Demokratie unrepräsentiert zu sein.

Wenn es so sein sollte, dass da viele Menschen unter falscher Flagge Repräsentation einfordern, die politisch rechts sind, aber nicht jenseits unserer demokratischen Grundordnung; und man insistiert, dass sie Nazis sind, statt ihnen ein Angebot zu machen? Dann sind sie deshalb nicht weg. Aber sie sind verloren.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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14 Kommentare

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  • Ich bin schockiert:

    Menschen, die Auf einer fremdenfeindlichen Demo hinter Rassisten und Nazs herlaufen werden für Rassisten und Nazis gehalten.

     

    Wer hätte damit rechnen können...

  • Nicht nur reaktionäre Ossis

    Sondern auch reaktionäre Wessis.

     

    Auf die Straße demonstrieren gegen das Gesetz über "sichere Herkunftsländer", für soziale Emanzipation und Umverteilung des Reichtums.

  • Werden jetzt neuerdings in der taz zwar noch nicht Pegida, aber immerhin schon Pegidaversteher in positivem Licht dargestellt? Oh Mann!

    • @Ella:

      Die Ableitungen sind nicht zu Ende gedacht: PEGIDA-Versteher-Versteher sind genauso schlimm. Die Welt ist halt voller Teufel.

  • "…Wenn es so sein sollte, dass da viele Menschen unter falscher Flagge Repräsentation einfordern, die politisch rechts sind, aber nicht jenseits unserer demokratischen Grundordnung; und man insistiert, dass sie Nazis sind, statt ihnen ein Angebot zu machen? Dann sind sie deshalb nicht weg. Aber sie sind verloren."

     

    Mit Wolfgang Neuss

    "…es reicht nicht keine Gedanken

    zu haben……"

     

    Geht's noch? …und jetzt etwas Musik.

  • Pegida, ist eine APO ohne charismatisches Personal, ohne Idiologie, ohne politische Strukturen und hat schon deshalb keine Zukunft in unserem System. Vielleicht sollten wir uns an Seehofers Position orientieren, den das Thema nur noch langweilt. Ist Pegida die Spitze des Eisbergs, der schweigende

    Mehrheit, oder wars das schon? Eine

    politische Eintagsfliege, weil die gestellten Fragen ohnehin schon auf der Agenda stehen.

  • "... und man insistiert, dass sie Nazis sind, statt ihnen ein Angebot zu machen? "

    Pardon , Herr Unfried ,... wüßten Sie vielleicht ein Angebot , das "die" Politik solchen Menschen , "die rechts sind"; machen könnte , solchen , die sich offenbar nicht entblöden können , unter dem Logo Pegida (Patriotische (!) Europäer(!) gegen die Islamisierung(!) des Abendlandes(!) ) montags abends in Dresden "spazieren" zu gehen ? Geistesschwachen aus Finsterdeutschland , die sich zu Europäern aufblasen , auf dem Kreuzzug zur Rettung des Abendlandes vor dem Islam ?

     

    Niemand , Herr Unfried , insistiert darauf , dass die a l l e Nazis sind . Aber die meisten von ihnen sind wohl Menschen , die sich einer Kritik ihrer Ansichten mit verifizierbaren bzw.falsifizierbaren Argumenten nicht stellen würden bzw.ihr nicht standhalten könnten .

    AfD-Erfinder und Chef Lucke , der nun wahrlich für jeden Zugewinn für seine Partei glücklich wäre und dabei nicht pingelig ist , zögert aus gutem Grund , sich mit der undefinierbaren Pegida-Mischpoke gemein zu machen . Leider anders der "große" SPD-Chef .

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Angenommen eine Populäre Linke Egalitäre Bewegung Sachsens (PLEBS) hätte 20-30 Tsd Leute zusammengetrommelt gegen die zunehmende soziale Ungerechtigkeit und unfaire Verteilung (auch über den "Markt") der Einkommen/Vermögen. Mit zunehmenden Teilnehmerzahlen und kleineren Ablegern in anderen Städten. Hätte es jemanden interessiert? Den Siggi, oder besorgte CDU-Politiker? Nee, denn dann ginge es um die wirklichen Probleme und v.a. um die Wurst. Irgendwelche Verirrten die mit Nationalfahnen rumlaufen und biologischen Untergang des Volkes predigen, kommen gerade recht. Da reiben sich die neoliberal-konservativen Profiteure und deren Handlanger die Hände.

  • Gesprächsangebot... bei Mensche die Glauben?

    .

    Sinnlos! Gruppen die "Wahrheiten" haben sind durch Diskurs nicht mehr zu erreichen.

    .

    Die Fakten in Dresden geben KEINEN Grund zu den Thesen, die die Marschierer dort verbreiten.

    .

    Was nützt dann noch Diskurs? Gegen Phantomschmerzen gibt es keine Medizin, dort ist Psychotherapie angesagt!

    .

    Sorry für den harschen Text, aber das wird man doch mal sagen dürfen :-))

    .

    Gruss Sikasuu

    .

    Ps. Vllt. hilft "Erfahrung"? Aber die klammen Komunen im Ruhrpott haben den "Osten" jetzt 25 Jahre gesponsort, denen jetzt auch noch Reisen ins Ruhrgebiet zu bezahlen, wo sie sehen und lernen können, das alle Nationalitäten, selbst Türtken und Muslime friedlich zusammenleben können, geht doch zu weit. Es sei denn man leitet die "Mallebomber" z.b von Leipzig zwangsweise nach Duesseldorf oder Dortmund um :-))

  • Wenn sie sich von den in den Parlamenten, vertretenen Parteien nicht verstanden fühlen, können sie sich ja gerne organisieren und selbst eine Partei gründen(bzw. bei den nächsten Wahlen die AfD wählen, die sie ja zu verstehen scheint). Es mangelt nicht am Verständnis der Politik für die Bürger, sonder wohl eher an einem Verständnis der Bürger für die Politik und die 'Grundsätze' unserer offenen, demokratischen Gesellschaft. Der von der Pegida geführte Diskurs bietet keine Anschlussmöglichkeiten, weil er für sich beansprucht, die 'Wahrheit' schon zu kennen. Der großen Mehrheit Pegidas scheint nicht bewusst zu sein das diese 'Wahrheit' in einer Demokratie aber erst im Dialog konstruiert werden muss und wird. Um ihnen das eventuell klarer zu machen müssten wir wohl Mittel finden auch diese Minderheiten sichtbarer zu machen und in die öffentliche Debatte einzubinden ohne ihre Ansichten zwangsläufig zu legitimieren, bzw. ihnen auch noch zur Durchsetzung zu helfen. Mal von den viel diskutierten direkt-demokratischen Mittelchen abgesehen, könnte man ja auch mal diskutieren wie angemessen eine 5% Hürde für die Bundestagswahlen in Zeiten immer weiter fortschreitender, gesellschaftlicher Differenzierung und einer damit verbundenen Abnahme der Identifizierung mit den sog. Volksparteien, ist.

  • "Konkret politisch, indem sie in der Einwanderungs- und Integrationspolitik „über die Wirklichkeit so diskutieren, wie sie in den Augen aller Betroffenen aussieht“."

     

    Ist klar. Wie viele der Asylanträge werden abgelehnt? Ich hörte etwas von um die 99%. Wollen wir diskutieren bis es 100% sind?

     

    Integration? In Sachsen? Ich bitte Sie. Ich habe in allen Himmelsrichtungen Deutschlands gewohnt und stets schnell Anschluss gefunden. Außer in Sachsen. Die Mehrheit der Menschen hier ist kalt, unnahbar und verschlossen. Wenn ich es als Deutscher nicht schaffe mich hier zu integrieren, weil die Einheimischen in der Mehrzahl alles Fremde ablehnen, wie soll es dann z.B. ein Syrer schaffen? Gut, ich habe auch nie versucht mich hier zu integrieren, indem ich die latente Fremdenfeindlichkeit übernommen habe. Mein Fehler? Ich glaube kaum.

    • @anteater:

      Da ich auch in Deutschland , wie Sie betonen, in fast allen Himmelsrichtungen gelebt.....nicht nur gewohnt habe....kondoliere ich mein aufrichtiges beileid...je suis

    • @anteater:

      "Integration? In Sachsen? Ich bitte Sie." Integration in Deutschland? Ich bitte Sie. Es gab in Deutschland noch nie Etwas, was man "Integrationspolitik" nennen kann, das ist das Problem.

      Ihre Zahlen zum Asyl (was hat eigentlich nochmal Asyl mit Integration zu tun?) sind auch falsch.

      "Im Berichtsmonat Dezember 2014 wurden Asylverfahren von 15.655 Personen (13.044 Erst- und 2.611 Folgeanträge) vom Bundesamt entschieden.Die meisten Entscheidungen wurden dabei für Syrien (5.323) und Serbi-

      en (3.150) getroffen.

      Im Monat Dezember lag die Gesamtschutzquote für alle HKL

      (Anerkennungen als Asyl

      berechtigte, Flüchtlingsschutz gem. § 3 Abs. 1 AsylVfG, subsidiärer Schutz gem. § 4 Abs. 1 AsylVfG und

      Abschiebungsverbot gem.

      § 60 Abs. 5 o. 7 AufenthG) bei 43,1 % (6.749 positive Entscheidungen von insgesamt 15.655).

      Im Berichtsjahr 2014 wurden insgesamt 128.911 Entscheidungen über Asylanträge getroffen.

      Dabei lag die Gesamtschutzquote für alle HKL im Jahr 2014 bei 31,5 %

      (40.563 positive Entscheidungen von

      insgesamt 128.911).

      Im Dezember 2014 wurden 3.182

      Personen beim Bundesamt angehört.

      Im Berichtsjahr 2014 wurden insgesamt 50.346 Personen beim Bundesamt angehört. Hiervon entfielen 90,8 % (45.709 Anhörungen)

      auf Erstantragsverfahren." (Quelle BAMF). (Hier noch ein Link zum kompletten Bericht: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/statistik-anlage-teil-4-aktuelle-zahlen-zu-asyl.pdf?__blob=publicationFile ).

  • Das ist differenziert und zutreffend geschrieben. Ändern wird sich leider nichts. Die Einteilung in den Mainstream der Wohlmeinenden einerseits und die Suspekten bzw. Latentnazis andererseits ist einfach zu schön, zu bequem, zu selbstgerecht, als dass man darauf verzichten möchte.