Kommentar Neonazi-Aufmarsch Münster: Das Versagen der Polizei
Der Auftritt der Polizei beim Neonazi-Aufmarsch war verstörend: Mit Knüppeln und Pffefferspray wurde auf Demonstranten losgegangen. Die Braunen wurden geschützt. Inakzeptabel.
F ünf- bis siebentausend Menschen haben am Samstag in Münster Zivilcourage bewiesen. Sie haben sich dem Aufmarsch von gerade einmal 250 bis 350 Neonazis entgegengestellt, die ihre rassistische und volksverhetzende Ideologie kaum getarnt auf die Straße bringen wollten. Schon im Aufruf zur rechtsextremen Kundgebung ist von „Ausländerhorden“ zu lesen, Deutschland werde „überfremdet“.
Dabei war allein die Ortswahl eine Provokation – die Universität der gutsituierten Beamtenstadt mit ihren knapp 290.000 BewohnerInnen zählt über 45.000 Studierende. Eine rechtsextreme Demonstration hat es in Münster zuletzt 2006 gegeben – und die wurde nach wenigen Metern durch Blockaden gestoppt. Heftig, bunt, oft witzig war der Protest auch am Samstag. Die AnwohnerInnen des bürgerlichen Rumphorstviertels, durch das die Neonazis nach einem Deal mit der Polizei ziehen durften, hatten ihre Straßen mit Anti-Nazi-Transparenten gepflastert: „Alaaf und Helau, ihr Narren“, hieß es auch nach Ende des Karnevals auf einem Banner, unter dem die Rechtsextremen hindurchziehen mussten, „Braun sind nur Würstchen“ auf einem anderen.
Eine „Beleidigung“ sei der Aufmarsch, befand selbst Münsters CDU-Oberbürgermeister Markus Lewe – seine Partei dagegen zählte im Gegensatz zu SPD, Grünen, Linken nicht zu den Unterstützern des Bündnisses Keinen Meter den Nazis, in dem dutzende Gruppen wie Gewerkschaften, Kirchen und Studierendenvertretung zu den Gegendemonstrationen aufgerufen hatten.
Andreas Wyputta ist Nordrhein-Westfalen-Korrespondent der taz
Umso verstörender der Auftritt der Polizei: Die wird in Münster mit Hubert Wimber zwar von einem grünen Präsidenten geführt. Doch wie so oft bei den häufiger werdenden Neonazi-Aufmärschen in Nordrhein-Westfalen erweckten die Beamten eben nicht den Eindruck, als schützten sie wie versprochen „den friedlichen Protest“ gegen die Rassisten – sondern die Rechtsextremen selbst. Mag die Meinungsfreiheit auch ein hohes Gut sein: Von der Polizei geschützt wurden die Kameraden des Kundgebungs-Anmelders Sascha Krolzig aus dem westfälischen Hamm, der sich selbst einen „bekennenden Nationalsozialisten“ nennt.
Trotzdem versetzte Wimber ein ganzes Wohnviertel in den Ausnahmezustand, statt die Volksverhetzer in irgendeinem abgelegenen Industriegebiet zu entsorgen. Den Neonazis wurden die Straßen freigeräumt: Vor ihrer Kundgebung ließ der Grüne einen Räumpanzer und zwei Wasserwerfer auffahren – und die richteten ihre Kanonen nur auf die Gegendemonstranten, nicht auf die Rechtsextremen.
Völlig inakzeptabel ist die Polizeigewalt, die das Bündnis „Keinen Meter“ beklagt: Mit Knüppeln und Pfefferspray, Hunden und zu Pferd seien Polizisten auch auf alte Menschen losgegangen. Trauriger Höhepunkt: Ein Gegendemonstrant, der nach Polizeiangaben Flaschen auf ihre Beamten geworfen haben soll, wurde bei seiner Festnahme so zusammengeprügelt, dass er bewusstlos auf die Intensivstation eingeliefert werden musste. Selbst vor Bundestagsabgeordneten zeigte die Polizei keinerlei Respekt: Ingrid Remmers, Parlamentarierin der Linkspartei, wurde wegen des Vorwurfs, nach einer Polizistin geschlagen zu haben, aufs Polizeipräsidium gebracht – und musste sich dort nackt ausziehen.
Danach drohten die Polizisten Remmers, „die Sache“ sei noch nicht erledigt. Das stimmt, gilt aber für die Beamten selbst – und ihren grünen Präsidenten Wimber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen