372 Rechtsextreme flüchtig: Wo sind all die Nazis hin?
Die Sicherheitsbehörden zählen derzeit 372 flüchtige Rechtsextreme, die mit Haftbefehl gesucht werden. Innenpolitiker sind entsetzt.
Die Zahl geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Grünen-Anfrage hervor. Stichtag war Ende September 2015. Von den Haftbefehlen sind 70 wegen einer politisch motivierten Straftat ergangen, fünf wegen einer rechtsextremen Gewalttat. Dazu kamen 98 Haftbefehle für Gewaltdelikte, die die Behörden nicht als politisch ansahen, darunter allerdings schwere Brandstiftung, Diebstahl mit Waffen oder Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz. Ein bayrischer Neonazi wird gar wegen Mordes gesucht.
Das weckt düstere Assoziationen. Denn auch der NSU hatte sein Leben im Untergrund mit Banküberfällen finanziert, hatte Sprengstoffanschläge verübt und gemordet. Fast 14 Jahre lang kamen die Ermittler den Mitgliedern nicht auf die Schliche.
Bedenklich auch: Bereits vor zwei Jahren hatte das Ministerium eine Liste mit flüchtigen Rechtsextremen vorgelegt: Damals waren es 268 – gut hundert weniger als heute. Die Zahl ist allerdings nur eine Momentaufnahme. Viele Straftäter tauchen nach kurzer Zeit wieder auf, wohl nur die wenigsten leben dauerhaft im Untergrund. Zudem galten viele Haftbefehle „kleineren“ Delikten wie Diebstahl, Nötigung oder Beleidigung, die die Ermittler nicht als politisch einstufen.
Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic nannte die hohe Zahl der Gesuchten dennoch „beängstigend“. „Der Staat darf nicht einfach hinnehmen, das möglicherweise gefährliche Rechtsextreme sich seinem Zugriff entziehen.“
Auch die Linken-Innenexpertin Petra Pau sprach von einem „skandalösen“ Befund. „Das wirft die Frage auf: Wer fahndet eigentlich nach den Neonazis und welche Bundesbehörden sind daran beteiligt?“
Mit reinem Gewissen wissen
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Informationen auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich aber leisten kann, darf – ganz im Zeichen des heutigen "Tags des guten Gewissens" – einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Koalitionsverhandlungen
Der SPD scheint zu dämmern: Sie ist auf Merz reingefallen
Parkinson durch Pestizide
Bauernverband gegen mehr Hilfe für erkrankte Bauern
Iranische Aktivistin über Asyl
„Das Bamf interessiert wirklich nur, ob du stirbst“
Von Frankreich lernen
Wie man Rechtsextreme stoppt
Strafe wegen Anti-AfD-Symbolik
Schule muss Tadel wegen Anti-AfD-Kritzeleien löschen
US-Professorin über USA-Auswanderung
„Man spürt die Gewalt in der Luft“