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Vatikan-Papiere zu sexuellem MissbrauchPapst entließ hunderte Priester

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat 2011 und 2012 rund 400 Priester wegen Kindesmissbrauchs ihres Amtes enthoben. Dies belegt eine interne Statistik des Vatikan.

Eine Statistik des Vatikans zeigt, wie in den letzten Jahren das Vorgehen gegen Priester, denen sexueller Missbrauch vorgeworfen wurde, verschärft wurde. Bild: dpa

ROM ap | Seit 2001 versucht die katholische Kirche, Tausende von Vorwürfen des Kindesmissbrauchs durch ihre Priester in aller Welt in den Griff zu bekommen. Eine zentrale Rolle dabei nahm der inzwischen emeritierte Papst Benedikt XVI. ein – zunächst als Kardinal und Präfekt der Glaubenskongregation, dann als Kirchenoberhaupt ab 2005. Eine Statistik des Vatikans zeigt nun, wie im Laufe der Zeit das Vorgehen gegen Priester, denen sexueller Missbrauch vorgeworfen wurde, verschärft wurde.

So wurden 2011 und 2012 fast 400 Priester wegen Kindesmissbrauchs des Amtes enthoben. Es ist die aktuellste Zahl der Priester, die wegen sexueller Verfehlungen verstoßen wurden. Das war eine erhebliche Zunahme gegenüber 2008 und 2009, als 170 Priester verstoßen wurden.

Damals gab der Vatikan erstmals die Zahl der Priester bekannt, die wegen diverser Sexskandale rund um die Welt ihres Amts enthoben wurden. Das Dokument wurde für den vatikanischen Botschafter in Genf, Erzbischof Silvano Tomasi, vorbereitet, der diese Woche zu den Missbrauchsvorwürfen vor dem Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen Rede und Antwort stehen musste.

Als Präfekt der Glaubenskongregation entschied Joseph Ratzinger 2001, dass Bischöfe in vielen Ländern nicht mit dem Kirchenrecht gegen Priester vorgingen, denen sexueller Missbrauch vorgeworfen wurde. Der Vatikan wies die Bischöfe damals an, alle einschlägigen Fälle an die Glaubenskongregation zu übermitteln. Die von Ratzinger eingeleiteten Reformen gaben den Bischöfen in jedem von der Kongregation geprüften Fall vor, wie sie vorzugehen hatten.

Keine Angaben über die Urteile

Erst 2005 – als Ratzinger Papst Benedikt XVI. wurde – begann die Kongregation, die Zahl der Fälle mitzuteilen, die ihr übermittelt wurden. In diesem Jahr waren es 21 kirchenrechtliche Verfahren. Über die dabei gefällten Urteile wurden keine Angaben gemacht. 2006 verdoppelte sich die Zahl der Verfahren auf 43 und acht Berufungsverfahren. Gemeldet wurden der Kongregation 362 Fälle.

2007 wurden 365 Fälle verzeichnet, aber wieder wurde nicht ausdrücklich gesagt, wie viele davon mit sexuellem Missbrauch zu tun hatten. Vatikankreisen zufolge waren es seit Bekanntwerden der Sexskandale in der katholischen Kirche in den USA 2002 300 bis 400 Fälle im Jahr. 2007 wurden 23 Fälle an die Diözesen mit der Anweisung zurückgeschickt, ein Verfahren zu eröffnen. 2008 änderte sich der Umgang des Vatikans mit den Vorwürfen völlig. Benedikt reiste in die USA und erklärte, er sei beschämt über das Ausmaß des Missbrauchs. Er könne es nicht fassen, wie Priester auf derart versagen könnten.

Erstmals stellte der Vatikan in jenem Jahr klar, dass Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kirchenverfahren nicht daran gehindert würden, sich an die Polizei zu wenden. Und erstmals veröffentlichte der Vatikan 2008 die Zahl der Priester, die wegen solcher Vorwürfe verstoßen wurden: 68. 191 neue Fälle wurden gemeldet. 2009 stieg die Zahl der verstoßenen Priester auf 103, 223 neue Fälle wurden gemeldet - die große Mehrheit in Verbindung mit sexuellem Missbrauch.

2010 explodierte die Zahl der Vorwürfe mit Skandalen in Europa nd anderen Teilen der Welt in die Tausende. 527 Fälle wurden der Kongregation gemeldet. Wie viele Priester des Amtes enthoben wurden, wurde nicht mitgeteilt. Das Verfahren für die Amtsenthebung wurde in diesem Jahr aber gestrafft. 2011 stieg die Zahl der verstoßenen Priester auf 260, 404 neue Fälle wurden gemeldet. Gegen 419 Priester wurden in Missbrauchsverfahren Strafen unterhalb der Amtsenthebung ausgesprochen.

Laut der britischen BBC hatte Vatikan-Sprecher Frederico Lombardi die von der Nachrichtenagentur AP veröffentlichten Zahlen zunächst bestritten, später jedoch deren Richtigkeit eingeräumt.

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16 Kommentare

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  • G2
    Gast (Teil 2)

    Wohl anzunehmen, dass der rasante demografische Schwund katholischer Kirchenmitglieder, derzeit bei 29% gegenüber 40% Konfessionsfreien bundesweit, durch eine solche Hardliner-Personalia sich weiter verschärfen wird.

    Vor Kurzem wurde eine weltweit vorgesehene Umfrage, im Auftrag des Papstes, im Erzbistum Köln unter Gläubigen durchgeführt. Eine erdrückende Mehrheit beurteilte ihre eigene Kirche als welt- und beziehungsfremd und als Gesprächspartner inkompetent.

    Wird ein Kardinal Müller diesen gesellschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragen wollen?

  • G1
    Gast (Teil 1)

    Es ist schwer nachzuvollziehen, dass der neue reformwillige Papst der Ernennung des konservativen Erzbischofs Gerhard Ludwig Müller zum Kardinal zugestimmt hat. Liest man einzelne seiner Äußerungen, kommen mir an zukünftig ernsthaften Reformbemühungen der katholischen Kirche erhebliche Zweifel auf.

     

    - Die Vorwürfe gegen den verschwendungs- und prunksüchtigen Bischof von Limburg nannte er eine "Erfindung von Journalisten", bezeichnete gar den kritisierten Bischof als "Medienmärtyrer", der wegen seines festen Glaubens verfolgt würde.

    - Bei einer Stellungnahme zu den Missbrauchsenthüllungen verglich er Journalisten mit den kirchenfeindlichen "Propagandisten des Nazi-Regimes".

    - Eine generelle Verantwortung der Kirche durch straffällige Priester lehnte Erzbischof Müller ab. Formulierungen wie „Wir haben keinen umfassenden Missbrauchs- komplex, sondern wir haben verteilt über Jahrzehnte Einzelfälle“, zeigt eine schockierende Verharmlosung von tausenden Straftaten beim Kinderschutz durch katholische Würdenträger.

    - Als ein Pädophiler erneut als Geistlicher im Entscheidungsbereich des Erzbischofs eingesetzt wurde, dieser Geistliche jedoch rückfällig wurde und sich an einem Jungen verging, lehnte Müller eine Entschuldigung ab.

    - Die Prügelvorwürfe gegen Bischof Walter Mixa kommentierte er als „nicht gravierend“.

    - Als Anfang 2013 der Erzbischof von einer "Progromstimmung gegen die katholische Kirche" sprach, verlangte der Zentralrat der Juden seinen Holocaust-Vergleich zurückzunehmen. Als Präfekt der Glaubenskongregation, der Nachfolgerin der Römischen Inquisition, hat seine Kirche selbst eine Vielzahl von erschütternd grauenhaften Progromen zu verantworten.

    - Eine eindeutige Absage erteilte Erzbischof Müller einer Lockerung des Zölibats, einer Frauenordination oder auch der Auflösbarkeit der Ehe.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Die "Seelsorgerei" zieht die Perversen an. Dort treffen die eben, was sie suchen. Fazit: Ändern wird sich auf Dauer gar nichts.

  • M
    Markus

    Im ersten Satz steht ein Fehler. Nicht der emeritierte, sondern der amtierende Papst Benedikt XVI hat 2011 und 2012 rund 400 Priester wegen Kindesmissbrauchs ihres Amtes enthoben. Als emeritierter Papst hätte er das nicht tun können.

    Per Mariam ad Christum.

  • L
    Lisa

    Bravo an die katholische Kirche! Im Gegensatz zu den Grünen haben sie klargestellt, dass das Ganze verabscheuungswürdig ist und diese Kriminellen der Kirche verwiesen.

     

    Bei den Grünen hampeln die immer noch rum.

    • @Lisa:

      Ihren Applaus finde ich äußerst unangebracht.

       

      Benedikt und viele andere hohe Würdenträger der römisch-katholischen Kirche haben jahrelang geholfen, kirchenintern bekannt gewordene Fälle von sexualisierter Gewalt an Kindern durch römisch-katholische Geistliche wo es ging zu vertuschen - und das, was sich nicht mehr vertuschen ließ, gegenüber der Öffentlichkeit zu verharmlosen.

       

      Die Deutsche Bischofskonferenz - immerhin das oberste römisch-katholische Kirchengremium in Deutschland – hat es auch nach einem Jahr (!) immer noch nicht hinbekommen, den im letzten Januar zurückgezogenen Forschungsauftrag für die angekündigte Studie zum Ausmaß der sexualisierten Gewalt in den Institutionen der römisch-katholischen Kirche in Deutschland neu zu vergeben.

       

      Echtes Aufklärungsinteresse sieht in meinen Augen anders aus.

       

      Dagegen haben die Grünen ihrer öffentlichen Ankündigung einer unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung ihrer Verbindungen zu parteinahen Personen, Mitgliedern und parteiinternen Gruppierungen der Pädosexuellenbewegung in der Frühphase der Partei auch wirklich Taten folgen lassen: Die Ankündigung der Untersuchung erfolgte Ende Mai 2013, der Auftrag für die Studie wurde bereits im Juni 2013 vergeben.

       

      Warum bitte kann das die Bischofskonferenz nicht genauso schnell?

       

      Und wann haben Sie sich zuletzt bei Ihrem Bischof über diese Verzögerung beschwert?

  • G
    Gast

    Eine - umstrittene - Untersuchung (Kröber, König, Leygraf, Pfäfflin) im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz auf Grundlage von forensischen Gutachten, die Kirchenbehörden in den Jahren 2000 - 2010 in Auftrag gegeben hatten, hat gezeigt, dass es bei 47 Prozent (!) der Priester, die übergriffig gegen Kinder/Jugendliche geworden sein sollen bzw. Kindesmissbrauchsabbildungen (so genannte „Kinderpornos“) genutzt haben sollen, keine Bedenken gegen einen weiteren Einsatz in der Kirche gegeben hat.

     

    Die Studie hat übrigens auch ergeben, dass bei JEDEM ZWEITEN (verdächtigen) Geistlichen Kindesmissbrauchsabbildungen (so genannte „Kinderpornos“) gefunden wurden.

     

    Umstritten ist die Metastudie u.a. deshalb, weil nur 21 der 27 Bistümer bereit waren, Akten zur Verfügung zu stellen, die Untersuchungsbasis also mehr als dünn ist (78 verdächtige Geistliche) und die Taten teilweise Jahrzehnte zurückliegen.

     

    http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/Dossiers_2012/2012_Sex-Uebergriffe-durch-katholische-Geistliche_Leygraf-Studie.pdf

  • G
    Gast

    das klingt erst mal nach "zu schön um wahr zu sein": vatikan entlässt (sexuelle) missbraucher".

     

    interessant ist hier vielleicht ein blick in weitere fakten. z.b. den verlauf der "affaire mixa":

    2010:

    mixa ist wegen misshandlung und veruntreuung nach großem druck durch presse und öffentlichkeit zurückgetreten.

    2012:

    Am 21. März 2012 berief Papst Benedikt XVI. Mixa in den Päpstlichen Rat für die Pastoral im Krankendienst.

    s. wikipedia, walter mixa, http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Mixa

     

    es wäre interessant zu sehen, was mit den entlassenen priestern/bischöfen weiter passiert ... (bekommen sie eine rente von der KK, d.h. u.a. vom deutschen staat!?)

     

    zudem ist es typisch katholische kirche, dass die sexuellen missbräuche durch die entlassung der priester/bischöfe alleine diesen die verantwortung zuschieben und nicht auch den strukturellen bedingungen der kath. kirche wie hochgradig gestörtes verhältnis zur sexualität in der katholischen kirche und speziell für priester etc. (stichworte zölibat, homosexualität, frauenverachtung etc.).

     

    als echte konsequenz müsste die KK darüber nachdenken und sich umstrukturieren. aber das würde nicht funktionieren, denn am ende müsste sie sich konsequenterweise selbst abschaffen, da ihre ureigene basis aus unterdrückung und manipulation besteht.

  • "Papst entließ hunderte Priester"

    WOHIN?

    • M
      Markus
      @vic:

      In Klöster, damit sie dort über ihre Sünden nachdenken und Buße tun, um der Höllenstrafe doch noch vielleicht zu entgehen.

      Per Mariam ad Christum.

  • G
    gast

    Wieso schreiben Sie "willkommen in Deutschl.". Sie müssen den Text genauer lesen, hier geht es um Kindesmissbrauch weltweit.

     

    Ich plädiere dafür, das dieses blöde Zölibat aufgehoben wird. Pfarrer sind auch nur Männer, also sollen sie auch Sexualität leben können, damit Kinderseelen nicht mehr verletzt werden können.

    • G
      Gast
      @gast:

      Wenn‘s so einfach wäre! Mit dem Zölibat jedenfalls lässt sich sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen durch Geistliche nicht zwingend erklären! Das ist die ewig alte Mär vom „Triebstau“, bzw. von der „Triebabfuhr“ mangels anderer „Gelegenheiten“. Fakt ist aber, dass nicht wenige Täter ganz „normale“ sexuelle Beziehungen zu Erwachsenen pflegen und zusätzlich Kinder vergewaltigen.

       

      Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich Menschen mit einer problematischen Sexualstruktur gehäuft in Berufe „flüchten“, in denen sie glauben, sich mit dem Thema Sexualität nicht mehr auseinandersetzen zu müssen, oder extra solche Berufe auswählen, wo sie unauffällig möglichst häufigen Kontakt mit Kindern haben können. Auf manche („missbrauchenden“) Priester trifft beides zu.

       

      Ein Autor der - umstrittenen - Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, Hans-Ludwig Kröber, kommt zu dem Schluss, dass sich die meisten Priester „ersatzweise“ an Ministranten oder Jugendleitern vergriffen haben. Hintergrund sei oft eine „berufliche Überbelastung, gepaart mit einer Einsamkeit des Geistlichen“.

       

      Kröbers Erklärung, warum sich Geistliche dann ausgerechnet Kinder suchten: Weil die Vergehen „verharmlost“ werden könnten und Kinder weniger Widerstand zeigten als Erwachsene. Zudem stellten die Kleinen keine Partnerschaftsansprüche.

       

      Laut dem forensischen Psychiater resultiert die Hinwendung zu Minderjährigen auch häufig aus einer nicht ausgelebten Homosexualität: 37 Prozent der untersuchten Priester sind homosexuell und weitere neun Prozent bisexuell. (Zusammen sind das 46 %!)

  • B
    Bluebeardy

    Die Zahlen bedürfen zur Klärung noch eine Ergänzung:

     

    "Auf der Grundlage von Angaben in dem veröffentlichten Band " Activity of the Holy See, " gab es 2011 laut Msg. Scicluna 135 Priester , die freiwillig ihre Entlassung aus dem Priesteramt beantragt hatten und 125, für die die Enthebung aus dem Priesterstand als eine Strafe verhängt wurde...Für 2012 waren die Zahlen 67 freiwillige Kündigungen und 57 Fälle, in denen Laizisation verhängt wurde..."

    http://ncronline.org/blogs/ncr-today/retraction-vat-now-confirms-almost-400-priests-defrocked-sex-abuse

  • C
    cosmopol

    Tja, und im Gegensatz dazu was mal vor 20-30 Jahren in irgendwelchen Zeitschriften der Grünen stand, interessieren diese unvorstellbar gruseligen Dimensionen die CDU (und auch die NPD, die ja mit dme selben Thema Rattenfängerei betreibt) anscheinend kein Stück weit. Was sagt uns das eigentlich, über den Willen dieser Partei gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder vorzugehen? Scheint nur in Wahlkampfzeiten vorhanden zu sein, wenn es gegen politische Gegner geht... den Grünen wiederum ist die öffentliche Aufarbeitung dieser Geschichten in genau diesen Zeiten hoch anzurechnen. Blöderweise hat sie das aber anscheinend ebenfalls Stimmen gekostet. Willkommen in Deutschland...