Schünemanns Salafismus-Katalog: Wer nicht isst, ist Salafist
Gewichtsverlust, Sprachkurse und das Bestehen auf Privatsphäre sind laut Niedersachsens Innenminister Indizien dafür, dass Muslime zu radikalen Salafisten werden.
BREMEN taz | Hat Ihr muslimischer Mitarbeiter in letzter Zeit Gewicht verloren, oder einen anderen Kleidungsstil? Ist er sportlicher geworden? Hat sich sein Speiseplan verändert, lernt er Arabisch oder beschäftigt er sich womöglich neuerdings mit dem Tod? Ist er plötzlich zu Geld gekommen – oder hat er sich verschuldet?
Diese Fragen sollen laut Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) Hinweise darauf geben können, ob Muslime zu einer terroristischen Kampfausbildung neigen. Arbeitgeber können künftig über ihre muslimischen Mitarbeiter Buch führen – anhand einer Liste von etwa 30 sogenannten „Radikalisierungsmerkmalen“, die in einer Mitte Juni vorgestellten Broschüre des niedersächsischen Verfassungsschutzes stehen.
Das Heft unter dem Titel „Radikalisierungsprozesse im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus“ soll unter anderem Arbeitgeber in die Lage versetzen, eine Radikalisierung bei muslimischen Betriebsangehörigen frühzeitig zu erkennen, um anschließend die Behörden zu alarmieren.
Die Projektgruppe „Antiradikalisierung“ richtete Innenminister Uwe Schünemann 2010 im Hinblick auf islamistische Bestrebungen und Radikalisierungs-Biographien in Niedersachsen ein.
Ein Handlungskonzept zur Prävention im Bereich des islamistischen Extremismus, unter anderem mit Aussteigerprogrammen, präsentierte Schünemann im vergangenen März.
Verdachtsunabhängige Kontrollen in Moscheen auf der Grundlage des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes hatte Schünemann im Februar 2010 angeordnet. Sie mussten wegen Verfassungswidrigkeit eingestellt werden.
Auch öffentliche Einrichtungen wie Jugendämter, Schulen und Ausländerbehörden werden dazu aufgefordert, „in gebotenen Einzelfällen konkrete fallbezogene Informationen über die betroffene Person zwischen den Kooperationspartnern und den Sicherheitsbehörden auszutauschen“.
Muslime, die ohnehin schon fünfmal täglich beten, fasten, oder Moscheen besuchen, machen sich laut der Broschüre durch „zunehmend strengere Religionsauslegung“ suspekt. Höchst verdächtig sind auch Muslime, die sich bemühen, „besondere Umstände der Lebensführung oder Freizeitgestaltung zu verheimlichen“ – also Wert auf ihre Privatsphäre legen.
„Das verstößt gegen die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen!“, sagte der Berliner Ver.di-Gewerkschaftssekretär Christian Goetz der taz. „Jeder Bürger hat den Anspruch und das Recht auf Privatsphäre und die Entfaltung der Persönlichkeit.“ Mit der Broschüre unterwandere das Innenministerium Grundrechte. „Wenn dann da Menschen sind, die diese Dinge als Aufforderung verstehen, werden Anzeigen vermehrt vorkommen.“
Rainer Hämmer, stellvertretender Landesdatenschutzbeauftragter von Niedersachsen, sieht in dieser Broschüre nicht in erster Linie ein datenschutzrechtliches Problem. „Die Aufforderung an die Mitbürger, bestimmte Personengruppen zu beobachten und gegebenenfalls zu melden, wird zunehmend zu einem gesellschaftspolitischen Problem“, sagt er. In datenschutzrechtlicher Verantwortung stehe jeder, der etwas meldet, wobei vor allem Arbeitgeber sich zuvor im Bundesdatenschutzgesetz informieren müssten.
„Für Bedienstete der niedersächsischen Behörden, also Lehrer, sehe ich rechtlich keine Befugnis, Informationen über ihre Schüler weiterzuleiten.“ Bei Privatpersonen seien Meldungen dann zulässig, wenn Gefahr für Leib und Leben bestehe. „Da es sich nach der Liste lediglich um Indizien von einem Laien handelt, ist die Weitergabe von Informationen hier nicht zulässig.“
Empört reagierte gestern die stellvertretende innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Sigrid Leuschner. „Dieser Ansatz trägt unverkennbar die Handschrift von Innenminister Schünemann, der praktisch seit seinem Amtsantritt vor neuneinhalb Jahren Vorbehalte, Vorurteile und Misstrauen gegenüber muslimischen Mitbürgern fördert und schürt.“
„Die Liste fördert ein Klima der Angst“, sagte der Vorsitzende des niedersächsischen Moscheenverbands Schura, Avni Altiner. In der Broschüre heißt es vieldeutig, die Liste der Radikalisierungsmerkmale könne „jedoch nicht als abschließend oder als in ihrer Aussagekraft absolut angesehen werden“ – denn offenbar wird die Suche nach Terroristen dadurch erschwert, dass gewaltbereite Islamisten versuchten, ein „nach außen recht unauffälliges Leben zu führen“.
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