Piraten treffen sich im „Real Life“: Vorsicht, was du twitterst
Die Piraten streiten vehement um ihre Professionalisierung. In Schleswig-Holstein spielen sie bereits eine wichtige Rolle – bei der Wahl des Ministerpräsidenten.
BERLIN taz | Die Piraten mögen sich im Internet besser auskennen als der Durchschnittsbürger, aber wenn sie wichtige Dinge zu besprechen haben, begegnen auch sie sich von Angesicht zu Angesicht. Sie nennen das ein Treffen im „Real Life“. Johannes Ponader, der politische Geschäftsführer der Piratenpartei, versucht, staatstragend zu klingen.
Es sei ein „historischer Moment“, sagt er. „Noch nie waren so viele gewählte Piraten gemeinsam an einem Platz.“ Die Neulinge aus den Landesparlamenten in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und dem Saarland treffen sich am Samstag mit ihren Berliner Kollegen, die bereits im Herbst 2011 ins Parlament einzogen.
„Jetzt zeigt mal, dass Ihr historische Momente auch effektiv zu nutzen wisst!“, twittert eine Piratin von den Zuschauerreihen aus. Und nicht nur die Basis der Partei erwartet Antworten, auch die Wähler. Aber über politische Inhalte wollen die gut 30 Piraten im Raum 376 des Berliner Abgeordnetenhauses ausdrücklich nicht sprechen. Sie wollen Erfahrungen und Tipps austauschen.
Für die Piratenpartei ist 2012 bislang ein erfolgreiches Jahr, 45 Piraten sitzen inzwischen in deutschen Landesparlamenten. In den Umfragen aber hat die Partei verloren, laut dem jüngsten ARD-Deutschlandtrend würden 9 Prozent die Piraten wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. Zwei Punkte weniger als zuvor.
Mehr als 32.000 Mitglieder
Mittlerweile mehr als 32.000 Mitglieder haben die Piraten und präsentieren sich als eine Partei, die nicht genau weiß, wie sie ihr Wachstum meistern soll. Es gibt Klagen über ein „raues Klima“. Der Berliner Landesvorsitzende trat nach nur drei Monaten im Amt zurück.
Vor Kurzem haben zwei ehrenamtliche Pressesprecher den Job geschmissen. Weil sie überarbeitet waren, hieß es erst. Dann wurde von Schlägen mit einem LAN-Kabel gesprochen und von Mobbing. Die Einschätzungen allerdings, wer wen mobbte, gehen auseinander.
Nur zwei hauptamtliche Mitarbeiter hat die Bundespartei. Das sind nicht genug, um sie ordentlich zu führen, sagen manche. Die Professionalisierungsfrage spaltete die Piratenpartei. Michael Hilberer etwa, Fraktionsvorsitzender im Saarland, befürwortet grundsätzlich eine Bezahlung, „damit die Vorstände so effektiv arbeiten können, wie wir sie brauchen“.
Patrick Breyer, Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein hält dagegen, „dass in einem ehrenamtlichen Vorstand niemand nur wegen des Geldes sitzt“. Der Piraten-Fraktion in Schleswig-Holstein kommt möglicherweise eine entscheidende Rolle zu, wenn am Dienstag Torsten Albig (SPD) zum Ministerpräsidenten gewählt werden soll.
Nur eine Stimme Mehrheit
Denn die Koalition aus SPD, Grünen und SSW (Partei der dänischen Minderheit) hat nur eine einzige Stimme Mehrheit. Sollte einer aus den Koalitionsfraktionen seine Stimme verweigern, könnte es also an den Piraten liegen, ob Albig Ministerpräsident wird. Grundsätzlich können sich die Piraten vorstellen, ihn mitzuwählen. Die Entscheidung erfolge selbstverständlich „auf Grundlage des Basisvotums“, sagt Breyer.
Bis Montagmittag können die Mitglieder online ihre Meinung mitteilen, bis Samstagnachmittag haben mehr als 20 Prozent der Mitglieder das getan. Bindend ist das Votum für die Piraten-Abgeordneten aber nicht. Ohne die Basis geht nichts, das ist das Credo der Piraten. Wie aber die Beteiligung der Mitglieder aussehen soll, da gehen die Meinungen auseinander.
Möglichst oft im „Real Life treffen, sagen die Berliner. Sofort kommt der Einwand aus Schleswig-Holstein: Wie soll das auf Dauer gehen in einem Flächenland, wo sich Piraten an 24 Stammtischen treffen, die im ganzen Land verteilt sind? Man versuche es jetzt mit dezentralen Fraktionssitzungen, abwechselnd an sechs verschiedenen Orten.
Und natürlich soll die Entscheidungsfindung auch im Internet stattfinden. Wie genau, darüber können Piraten stundenlang streiten. Die einen sehen die Liquid-Feedback-Software, die dafür entwickelt wurde, als große Bereicherung. Unumstritten ist sie nicht. Im Saarland etwa wird sie momentan gar nicht benutzt, dort läuft die Diskussion über eine Mailing-Liste.
Hohe Messlatte
In Nordrhein-Westfalen wird die Software zwar eingesetzt. „Die Beteiligung ist aber nicht zufriedenstellend“, beklagt der Abgeordnete Nico Kern. Woanders ist es nicht viel besser, vielleicht liegt es daran, dass die Bedingung zu umständlich ist. In einer neuen Version soll das Programm bald besser laufen.
Für die Piraten ist es eine Herausforderung, die hohen Anforderungen, die sie an sich selbst stellen, zu erfüllen. Das gilt nicht nur für Basisdemokratie, sondern auch für Transparenz, auch in der Rolle als Abgeordnete. Sie hätten da eine hohe Messlatte gelegt, sagt Christopher Lauer, Abgeordneter in Berlin. „Wenn wir das nicht hinkriegen, wird uns das öffentlich aufs Brot geschmiert.“
Manche Sorgen der Neu-Parlamentarier können hingegen recht schnell zerstreut werden. „Ich saufe ab in Anfragen von NGOs und Versicherungen“, beschwert sich Uli König, Abgeordneter aus Schleswig-Holstein. Die Empfehlung der Berliner, die inzwischen ganz gut im Parlamentsbetrieb angekommen sind: gut filtern, unwichtiges gleich wegschmeißen, den Rest digital archivieren.
Nicht unbedingt motivierend
Sonstige Tipps: Freundlich grüßen, nicht zu amateurhaft auftreten, früh mit den anderen Fraktionen reden, in den Ausschüssen ruhig auch vermeintlich dumme Fragen stellen. Was die Berliner sonst berichten, ist nicht unbedingt motivierend. „Ich dachte, in der Legislative werden Gesetze gemacht“, sagt der Abgeordnete Pavel Mayer.
Und gibt sich überrascht: „Das ist die absolute Ausnahme, das meiste kommt aus der Verwaltung.“ Die kommende Sommerpause sei doch ideal, um eigene Themen zu setzen, regt sein Kollege Lauer an. Und erinnert sicherheitshalber gleich an die lästige Debatte um den Begriff „Tittenbonus“, den ein Kollege vor einer Weile an seine Follower schickte.
Alle sollten aufpassen, was sie den Sommer über so twittern: „Dass aus einem Tweet nicht eine Geschichte wird, die das ganze Sommerloch bestimmt.“
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