Rassismus im Theater: "Ein vergiftetes Mittel"
"Blackfacing" auf der Bühne ist in die Kritik geraten. Julia Lemmle und Atif Hussein von "Bühnenwatch" erklären, wie und warum sie diese Praxis bekämpfen.
taz: Frau Lemmle, Herr Hussein, Sie kritisieren, dass sich weiße Schauspieler für eine Rolle schwarz schminken. Wenn sich ein Schwarzer weiß anmalt, ist das auch rassistisch?
Atif Hussein: Kommt drauf an: wenn er einen Weißen stereotyp und klischeehaft darstellt, würde ich das ähnlich bewerten.
Julia Lemmle: Für mich macht das keinen Sinn. Auch Weiße können diskriminiert werden, nur würde ich es nicht Rassismus nennen. Weiße wurden kulturgeschichtlich einfach nicht qua Hautfarbe benachteiligt. Deshalb hat „Whitefacing“ keine retraumatisierende Qualität.
Retraumatisierend?
Julia Lemmle
ist Performerin, Dramaturgin und Dozentin für Rhetorik. Sie gibt Trainings zu Rassismus und Gender.
Atif Hussein
ist Regisseur, Szenograf und Dozent in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Uganda.
Lemmle: Blackfacing ist vergleichbar mit dem N-Wort. Mit jeder Verwendung wird an die Geschichte von Sklaverei und Folter angeknüpft.
Hussein: Bei jedem schwarz geschminkten Othello ekle ich mich. Es ist verletzend, aber ich habe es lange hingenommen, weil ich mich damit allein gefühlt habe. Dass ich jetzt Menschen kennengelernt habe, die das ähnlich empfinden, hat mein Selbstbewusstsein gestärkt, es auch öffentlich zu kritisieren.
Ist es wirklich immer Rassismus, wenn sich jemand das Gesicht schwarz anmalt?
Hussein: Wir werfen niemandem vor, Rassist zu sein. Wir weisen nur darauf hin, dass auf ein rassistisches Mittel zurückgegriffen wird. Blackface ist nicht zu trennen von kolonialen Praktiken der Diskriminierung, Versklavung und Folter. Auch heute grenzt es noch aus und macht schwarze Menschen unsichtbar. Das ist ein vergiftetes Mittel.
Und die Freiheit der Kunst?
Hussein: Das Argument „Es gibt Kunstfreiheit, deshalb dürfen wir alles machen“, das funktioniert so nicht. Bei allem, was auf der Bühne stattfindet, gibt es eine Auseinandersetzung zwischen denen, die es machen, und denen, die es rezipieren. Es gibt ja auch andere Tabus, die nicht gebrochen werden, weil sie historisch verankert sind. Zum Beispiel alles, was antisemitisch aufgefasst werden könnte, und das ist auch richtig so.
Lemmle: Für mich ist Kunstfreiheit kein Argument, sondern ein Denkhindernis. Vorgebracht wird es meist von denen, die bereits viel Freiheit haben, durch ihre Privilegien. Dadurch, dass sie „repräsentativ“ für die sprechen dürfen, deren Stimmen sie ignorieren. Das ist eine Strategie, um Macht zu erhalten. Dass Sexismus heute zumindest teilweise kritisiert wird, musste auch gegen Männer durchgesetzt werden, die fanden, Frauen seien zu dumm zum Studieren.
Wer verbirgt sich eigentlich hinter Bühnenwatch?
Hussein: Zusammengefunden hat sich die Gruppe über Facebook, nach der Blackface-Inszenierung von Dieter Hallervorden am Schlossparktheater.
Lemmle: Wir sind fast alle im Theaterbusiness: DramaturgInnen, Regieführende, TheaterwissenschaftlerInnen, SchauspielerInnen. In der Kerngruppe sind wird rund 50, aber viel mehr Leute unterstützen uns. Der Vorwurf, der schon mal erhoben wird, wir seien eine kleine, anonyme Gruppe, die keine Ahnung von Theater hat, ist falsch.
Aber können Sie als Gruppe denn für alle Schwarzen oder people of color sprechen?
Lemmle: Nein, wollen wir auch nicht. Wir sind eine gemischte Gruppe, bei uns sind weiße und schwarze Menschen sowie people of color. Wir sehen uns nicht als Stellvertreter.
Was genau sind Ihre Ziele?
Hussein: Das erste Ziel ist ganz klar: Blackfacing nicht mehr als Mittel einzusetzen und anzuerkennen, dass es eine diskriminierende Praxis ist. Es gibt derzeit deutschlandweit rund 20 Inszenierungen, in denen Blackfacing angewendet wird.
Was haben Sie konkret vor?
Hussein: Wir wenden uns meist per Brief an die Verantwortlichen. In einigen Fällen entsteht daraus ein produktiver Austausch, wie mit dem Deutschen Theater. Das hat uns in diesem Vorgehen bestärkt.
Und die anderen Theater?
Lemmle: Leider sind viele Verantwortliche sofort in einer Verteidigungshaltung. Das hat damit zu tun, dass sie aus einem ausführlichen Brief nur herauslesen: Du bist ein schlechter Mensch. Aber wir sind nicht das Jüngste Gericht. Es geht darum, sich miteinander so zu verständigen, zu entwickeln und zu verändern, dass wirklich eine Gesellschaft ohne Rassismus möglich wird. Dazu muss ich mein weißes Selbstbild hinterfragen – und das macht vielen so große Angst, dass sie lieber aggressiv um sich schlagen und sich so die Erweiterung der eigenen Perspektive verbieten.
Die schwarzen Figuren in der „Unschuld“-Inszenierung des DT waren ja positiv besetzt.
Lemmle: Rassismus heißt nicht, es böse zu meinen. Es geht immer darum: Wer bestimmt, wie eine Figur ist, welche Funktion sie hat? Und bei „Unschuld“ ging es um die Markierung des Fremden. Da beginnt das Problem: Es gibt viele schwarze Menschen in Deutschland, die sind nicht fremd. Warum ist Hautfarbe für diese Idee so unfassbar wichtig?
Hussein: Alle anderen Figuren der Inszenierung haben Eigenschaften, die sie als Individuum kennzeichnen: „alternd“, „Philosophin“. Nur die Figuren Elisio und Fadoul müssen sich eine Identität teilen: illegale schwarze Immigranten. Sie sind auch die einzigen, die laut Register eine Hautfarbe haben. Sprich: Wir haben eine Norm, und die ist weiß. Und um Fremdheit oder Außenseiter zu markieren, greifen wir in den Farbtopf. Das sind weiße Fantasien und Exotismen.
Wäre es nicht genauso problematisch, hätten schwarze Schauspieler die Rolle übernommen?
Lemmle: Natürlich wird es nicht besser, wenn schwarze SchauspielerInnen durch ihre Präsenz auf der Bühne weiße Fantasien erfüllen. Aber es gibt doch die Möglichkeit, schwarze Figuren wie etwa den Othello von Weißen ohne Farbmaske spielen zu lassen. Das gibt es ja auch.
Hussein: Wir müssen farbenblind werden. Dann kann es auch einen schwarzen Hamlet geben.
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