Sparen am sozialen Ende: Rot-Grün will Billig-Erzieherin
Bremen will die ErzieherInnen-Ausbildung ändern und führt die Sozialassistentin ein. Verbände fordern im Interesse von Frauen und Familien ein anderes Modell.
Wer soll Bremens Kinder in Zukunft betreuen? Rot-Grün hat diese Frage für sich längst beantwortet: Durch gering qualifizierte sozialpädagogische Assistentinnen, ein neu zu schaffender Ausbildungsberuf, der noch schlechter bezahlt ist als der der Erzieherin. Eigentlich sollte dies bereits in der letzten Legislaturperiode geschehen, jetzt steht es im Koalitionsvertrag. Spätestens in einem halben Jahr sollen die Pläne umgesetzt werden, sagt die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Sybille Böschen der taz.
Dennoch hat sie für heute diejenigen eingeladen, die sich vehement gegen das Vorhaben ausgsprochen haben und in einer gemeinsamen Stellungnahme ein alternatives Modell vorschlagen.
In erster Linie sind dies der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Zentralstelle für die Gleichberechtigung der Frau (ZGF). Deren Leiterin Ulrike Hauffe warf Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) am Samstag auf dem taz-Geburtstag vor, Frauen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu drängen. "Von einem Job als Sozialassistentin kann niemand leben, nicht einmal, wenn dieser in Vollzeit angeboten würde." Zwischen 1.400 und 1.700 Euro verdient nach Auskunft der DGB-Vorsitzenden Annette Düring eine Sozialassistentin nach einer zweijährigen Ausbildung, wie sie derzeit geplant ist. Brutto. Dabei müsse es ja nicht bleiben, argumentiert die SPD-Frau Böschen, die auch gleichstellungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist. Schließlich solle die Ausbildung dazu befähigen, sich anschließend in drei Jahren zur Erzieherin weiter zu bilden. Nur Abiturientinnen hätten nach den derzeitigen Plänen noch die Möglichkeit, direkt in die Erzieherinnen-Ausbildung einzusteigen. Alle anderen, wirbt Böschen für das Vorhaben, würden aber mit dem Abschluss als staatlich geprüfte Erzieherin die Hochschulreife erwerben. Damit wäre Erzieherin kein Sackgassen-Beruf mehr - eine Forderung, die Düring und Hauffe teilen.
Doch beide halten Böschens Vorstellungen für realitätsfern. "Wer einmal im System drin ist, kommt da so schnell nicht mehr heraus", warnt DGB-Chefin Düring. "Eine junge Frau, die endlich ihr erstes Geld verdient, setzt keine dreijährige Weiterbildung drauf." Dies zeigten Erfahrungen aus anderen Branchen, etwa dem Einzelhandel. Und ein Studium komme nach einer fünfjährigen Ausbildung zur Erzieherin für die wenigsten in Frage, so Düring. "Wie sollen die das denn noch bezahlen?" Die geplante Neuordnung der ErzieherInnen-Ausbildung sei auch bildungspolitisch eine Verschlechterung, sagen DGB und ZGF, deren Position von der Arbeitnehmerkammer gestützt wird. "Wir organisieren uns die nächste Pisa-Katastrophe", sagt die ZGF-Chefin Hauffe.
Statt wie die südlichen Bundesländer in die frühkindliche Bildung zu investieren und die ErzieherInnen-Ausbildung zu akademisieren, produziere Bremen eine Billiglösung, um die Betreuungslücke zu schließen. Der Hintergrund: Ab 2013 haben auch Eltern von Kindern unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Platz.
Die SPD-Frau Böschen bestätigt, dass von einer Verlagerung der Ausbildung an die Hochschulen keine Rede mehr sei. Sie plädiert für einen "Personalmix" in den Kindergruppen, also ErzieherInnen mit unterschiedlichen Qualifikationen.
Die gibt es aber bereits jetzt. Unterschiedlich ist die Bezahlung - für dieselbe Arbeit. Eine Trennung in Bildungs- und Betreuungsarbeit würde bedeuten: Eine wickelt, die andere liest vor.
Für die beste Lösung - das sehen die Kritikerinnen genau so - hält Böschen eine Ausbildung im dualen System. Wenn also eine angehende Erzieherin wie ein Tischler eine Ausbildung in der Praxis machen würde mit theoretischen Anteilen in der Berufsschule. Und dafür auch bezahlt würde. Doch das müsste bundeseinheitlich geregelt werden.
Bisher bekommen Bremens angehende Erzieherinnen nur das dritte Ausbildungsjahr im Anerkennungspraktikum bezahlt. Nach den rot-grünen Plänen fällt auch das weg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient