Fonds für Opfer sexualisierter Gewalt: Wie lange noch, Frau Paus?
Beim Fonds Sexueller Missbrauch klafft ein riesiges Finanzloch – nun droht die Abwicklung. Das Familienministerium weist jede Schuld von sich.
H eute auf den Tag genau vor einem Jahr würdigte Familienministerin Lisa Paus den Fonds Sexueller Missbrauch (FSM). Zumindest sagte sie am 16. Mai 2023 Sätze wie diese: „Kinder und Jugendliche erleben leider immer wieder, dass Erwachsene ihr Vertrauen missbrauchen. Wer in jungen Jahren sexuelle Gewalt erfahren hat, leidet oft sein Leben lang an den Folgen. Das sind keine Einzelfälle. Unsere Verantwortung ist es, konsequent gegen sexuelle Gewalt vorzugehen, umfassende Prävention zu betreiben und vor allem den Betroffenen wirksam zu helfen.“ Auf der Homepage des Familienministeriums kann man das nachlesen. Die Grünen-Politikerin geht noch weiter, sie macht den Betroffenen von sexuellem Missbrauch ein großes Versprechen: „Sie können auch in Zukunft auf den Fonds zählen.“
Doch diese Sätze könnten der Ministerin mittlerweile als Unwahrheit ausgelegt werden. Denn momentan deutet alles darauf hin, dass der Fonds nicht weitergeführt wird. So jedenfalls lässt sich der aktuelle Bericht des Bundesrechnungshofs lesen: „Das BMFSFJ (Bundesfamilienministerium, d.R.) verstößt seit Jahren bei der Verwaltung des Fonds Sexueller Missbrauch im familiären Bereich gegen gesetzliche Vorschriften. Der Fonds hat zudem jetzt schon eine Finanzierungslücke von mehr als 53 Mio. Euro.“ Der Bundesrechnungshof (BRH) kommt zu dem logischen Schluss: Der Fonds muss abgewickelt werden, und zwar zügig.
Das wäre dramatisch. Denn all jene Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend sexuelle Gewalt erfahren und sich seit 2010 nach dem Aufdecken massenhafter Missbrauchsfälle in Kirchen, Heimen, Sportvereinen darauf verlassen haben, dass ihnen wenigstens als Erwachsenen geholfen wird, setzen in den Fonds große Hoffnung. Rund 28.000 Betroffene haben in den vergangenen elf Jahren, seit der Fonds eingerichtet wurde, einen Antrag auf finanzielle Hilfen gestellt, für Therapien, Bildungsmaßnahmen, Mobilitätshilfen. Manche Betroffene bekamen und bekommen einige hundert Euro, andere bis zu mehrere tausend Euro. Insgesamt hat der Fonds laut Paus-Ministerium bis heute 147 Millionen Euro gezahlt, jeden Monat melden sich weitere Betroffene.
Lockeres Verhältnis zum Geld
Doch mittlerweile dürften viele Anträge unbeachtet auf einem Stapel liegen, andere zwar begutachtet worden sein, aber unbeantwortet bleiben. Denn es ist laut Bundesrechnungshof nicht nur kein Geld mehr da, sondern es klafft dieses riesige Finanzloch. Zudem fordert Finanzminister Christian Lindner für den kommenden Haushalt zwar von allen Ministerien straffere Budgets, aber die öffentlichen Kämpfe zwischen der Grünen Paus und dem FDP-Mann Lindner bei der Kindergrundsicherung sind nicht zugunsten der Familienministerin ausgegangen. Wie soll bei diesem Kräfteverhältnis ausgerechnet der finanzgeplagte Fonds, der unberechtigterweise politisch unter Radar flog, weitergeführt werden?
Das Familienministerium scheint ein etwas lockeres Verhältnis zum Geld zu haben. Die monetäre Lücke beim Fonds begründet es jedenfalls so: „Antragstellende nehmen die bewilligten Leistungen oftmals mit zeitlicher Verzögerung und über einen längeren Zeitraum, auch mehrere Jahre, in Anspruch. Dadurch ist es möglich, mehr Bewilligungen auszusprechen, als aktuell Geldmittel im Fonds vorhanden sind.“ Paus’ Haus verweist darauf, dass es sich dabei um „Vorgänge und Absprachen handelt, die in der vorherigen Wahlperiode stattgefunden haben“. Das mag sein, aber Betroffene können sich eben nur an die amtierende Ministerin wenden.
Auf Protest einstellen
Was die Betroffenen indes nicht wissen (können): Aufgrund der prekären Lage hatte die Regierungskoalition offenbar schon vor einiger Zeit beschlossen, den Fonds einzustellen – nachdem der Bundesrechnungshof bereits 2022 und 2023 die „Haushalts- und Wirtschaftsführung des Fonds“ bemängelt hatte. Das sei in den Akten des Familienministeriums hinterlegt, das Ministerium habe zudem „ein Konzept zur Abwicklung des Fonds“ zugesagt. Das bestreitet das Familienministerium und versichert: „Eine Einstellung des FSM ist nicht vereinbart worden.“ Eher werde „über die Fortführung des FSM im Rahmen der aktuellen Haushaltsberatungen gesprochen“. Was ist also los im Hause Paus?
Nun sollte niemand die Betroffenen für eine untätige Masse halten, im Gegenteil, zumindest das Familienministerium darf sich wohl auf ihren Protest einstellen. Und der könnte heftiger als bisher ausfallen. Ingo Fock, seit 20 Jahren Vorsitzender des Vereins „gegen missbrauch“, jedenfalls ist wütend: „Die Einstellung des Fonds Sexueller Missbrauch ist eine Sparmaßnahme der Regierungskoalition auf dem Rücken von Betroffen von sexuellem Kindesmissbrauch. Erschreckend ist zudem, dass das Familienministerium offenbar die eigene Aktenlage nicht zu kennen scheint oder dies nicht zugeben möchte.“
Fock kennt sich zudem bestens beim Opferentschädigungsgesetz (OEG) aus. Er weiß, dass das Gesetz gut gedacht ist, nämlich dass der Staat Opfer nach einer Gewalttat – Überfälle, Missbrauch, Terroranschläge – entschädigt, wenn er sie schon vor den Taten nicht schützen konnte. Er weiß aber auch, wie kompliziert, zermürbend, langwierig ein solcher Prozess ist. Jedes Detail der Tat muss wiedergegeben, ärztliche Atteste müssen vorgelegt werden. Für Betroffene sexueller Gewalt in der Kindheit ist das zum Teil traumatisierend, viele verzichten daher auf einen OEG-Antrag und hatten große Hoffnung in den Fonds gesetzt. Ohnehin werden rund 60 Prozent der OEG-Anträge abgelehnt.
Wie auch immer die Zukunft des Fonds aussieht – das Vertrauen der Betroffenen dürfte das Familienministerium verspielt haben. Der Bundesrechnungshof indes rät dem Paus-Ministerium, „die Rechtsverstöße unverzüglich zu beenden“, und fordert, „haftungs- und disziplinarrechtliche Konsequenzen zu prüfen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau