Lebensmittelverschwendung: Con denn tainern Sünde sein?
AktivistInnen demonstrieren gegen den Wegwerfwahn, der Justizsenator unterstützt einen Hamburger Vorstoß zur Legalisierung des „Containerns“.
„Warum muss immer alles verfügbar sein? Warum müssen die Auslagen in den Bäckereien um 18 Uhr noch voll sein? Und nachher sind die Mülleimer voll mit wunderbarem Essen?“ Die Fragen, die die junge Rednerin auf der Demonstration „#StopTheWaste – Stoppt die Lebensmittelverschwendung“ am Sonntagvormittag stellt, sind natürlich rhetorisch gemeint. Mit Johlen und Pfeifen signalisieren ihre ZuhörerInnen volle Zustimmung. Genießbare Lebensmittel wegwerfen? Geht gar nicht, finden die rund 120 jungen Menschen, die mit phantasievoll bemalten Pappschildern und Musik über den heißen Asphalt der Friedrichstadt ziehen.
Das ziemlich homogene Alter der DemonstrantInnen – um die zwanzig – ist kein Zufall: Fast alle leisten gerade irgwendwo in Deutschland ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ), zum sogenannten Bundesaktionstag ihres Jahrgangs haben sie sich an diesem Wochenende in Berlin getroffen. Inhaltlich stand dabei diesmal das Thema Lebensmittelverschwendung auf der Agenda. Mit der kleinen, aber lautstarken Demo wollen sie ihre Positionen in die Öffentlichkeit tragen, dafür laufen sie vom Gendarmenmarkt zum Umweltfestival der Grünen Liga Unter den Linden, das wie immer am Sonntag der ADFC-Sternfahrt stattfindet.
Die massive Vernichtung von Essbarem – die Rede ist von 18 Millionen Tonnen Lebensmitteln, die ErzeugerInnen, Handel oder VerbraucherInnen entsorgen – hat in den vergangenen Jahren immer wieder für heftige Debatten gesorgt. Auslöser sind meist Fälle von „Containern“. Dabei bedienen sich Bedürftige oder AktivistInnen an Abfallbehältern von Supermärkten, deren Inhalt oft kaum verdorben ist. Im Januar erst wurden zwei Frauen in Bayern wegen „gemeinschaftlichen Diebstahls“ verurteilt, das milde Strafmaß ließ aber erkennen, dass auch in den Gerichten die Einschätzung wächst, dass Essenretten vielleicht nicht legal, aber letztlich doch legitim ist. Im März gab es in Hannover einen Freispruch, allerdings hatten die Aktivisten dort Schlüssel für die Behälter und mussten sie nicht aufbrechen.
Ende vergangener Woche meldete sich nun Hamburgs grüner Justizsenator Till Steffen zu Wort: Auf der am Mittwoch und Donnerstag in Travemünde stattfindenden Frühjahrskonferenz der Justizminister der Länder will er eine Legalisierung des Containerns vorschlagen. Steffens Vorstoß: Wenn das Wegwerfen von Lebensmitteln durch Händler als „Eigentumsaufgabe“ umdefiniert würde, bliebe straffrei, wer sich daran bedient. Sollte das nicht konsensfähig sein, wird der Hamburger alternativ ein Wegwerfverbot für Supermärkte nach französischem Vorbild vorschlagen.
„Containern sollte straffrei sein“
Mit Berlin und Brandenburg abgestimmt hat Steffen seine Initiative nicht, aber die Sprecher der jeweiligen Justizressorts haben bereits Unterstützung signalisiert: „Containern sollte straffrei sein“, sagte laut dem Tagesspiegel der stellvertretende Pressesprecher von Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), Michael Reis. Das Blatt zitierte am Samstag auch den Sprecher des Justizministeriums in Potsdam mit der Aussage, Brandenburg werde die Legalisierung des Containerns unterstützen.
Das freut Fatma Modni, die als hessische FÖJ-Landessprecherin an der Kundgebung teilnimmt. „Natürlich wäre es noch viel besser, wenn die riesigen Überschüsse gar nicht entstehen würden, die dann im Müll landen“, sagt sie der taz. Das finden auch die anderen Demonstrierenden, die mittlerweile vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium in der Wilhelmstraße „Stop! The! Waste!“ skandieren. Eine anderen Rednerin betont, dass es auf ein Umdenken aller ankomme. Die KonsumentInnen sollten gegen die Verschwendung der Konzerne und Ketten aktiv werden – aber eben auch mal selbst „das Brötchen von gestern oder den detschigen Apfel essen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies