Ackergifte in der EU: Ignoranz beim Bienenschutz
Allein in Deutschland sind über 224 Wildbienenarten gefährdet. Dennoch wollen viele EU-Länder die Regeln für Pestizidzulassungen verwässern.
In dem Beschlussentwurf ist die Vorgabe der Efsa-Experten gestrichen, ausführlich zu prüfen, wie die Gifte sich auswirken, wenn Honigbienen mit den Chemikalien über längere Zeit oder wiederholt in Kontakt kommen. Wie bisher solle lediglich die akute, nicht die chronische Giftigkeit bei der Zulassung überprüft werden. Auch ob die Mittel Larven von Honigbienen gefährden, soll immer noch keine Rolle spielen. Auswirkungen auf Hummeln und Solitärbienen sollen nur möglicherweise später untersucht werden.
Bienen liefern nicht nur Honig, sondern bestäuben auch die meisten Pflanzen. Zwar leben hierzulande laut Deutschem Imkerbund seit ungefähr zehn Jahren immer mehr Honigbienen, weil es mehr Imker gibt. Auch die Winterverluste – die Zahl der Bienen, die im Winter sterben – nehmen im langjährigen Mittel nicht zu. Aber von den in Deutschland vorkommenden 561 Wildbienenarten sind laut Bundesamt für Naturschutz mehr als 40 Prozent in ihrem Bestand gefährdet. Eine Ursache sind Pestizide, die die Insekten vergiften können.
Ob Ackergifte Bienen schädigen können, müssen in der EU vor der Zulassung die Efsa und die Mitgliedstaaten prüfen. Wie sie dabei vorgehen sollen, empfahlen Efsa-Experten 2013 in ihrer sogenannten Bienenleitlinie, die die alten Regeln von 2002 ersetzen. Die Efsa hat die neuen Kriterien vor allem bei drei ursprünglich erlaubten Insektengiften angewendet: bei den Wirkstoffen Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam aus der Gruppe der Neonikotinoide. Prompt stellte die Behörde fest, dass die in der Praxis vorkommenden Mengen dieser Pestizide Bienen vergiften können. Daraufhin hat die EU im April 2018 beschlossen, die Stoffe im Freiland zu verbieten.
Chemiekonzern Bayer macht Druck
Bauernverbände und allen voran der Chemiekonzern Bayer, der zwei der drei Neonikotinoide herstellt, protestierten vehement. Jetzt will die Lobby verhindern, dass die strengen Bienenleitlinien auch auf andere Pestizide angewendet werden. Bayer brandmarkte die von der Efsa aufgestellten Regeln als „nicht praktikablen Leitlinienentwurf“. „Dieser macht es unmöglich, Freilandstudien durchzuführen, ohne dabei Risiken zu finden“, beklagte sich das Leverkusener Unternehmen und machte wie Konkurrenten Druck bei EU-Regierungen.
Ergebnis: „Das Efsa-Bienenleitliniendokument ist von vielen Mitgliedstaaten kritisiert worden“, wie der zuständige EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis, in einem Brief an 100 Europa-Abgeordnete schreibt. Schon fünf Jahre lang würden sie vor allem die neue Überprüfung der chronischen Gifitigkeit blockieren.
Deshalb habe die Kommission nun vorgeschlagen, erst einmal die unstrittigen Teile der Leitlinie anzuwenden: Demnach soll anders als bisher berücksichtigt werden, wie Bienen auf das Gift reagieren, wenn damit Saatgut ummantelt worden ist. Die Regeln über die chronische Giftigkeit und die Risiken für Hummeln und Solitärbienen aber soll die Efsa den meisten EU-Ländern zufolge überarbeiten, bevor sie in Kraft treten, so der Kommissar weiter. Ein Datum nennt er nicht – diese Punkte sollen also bis auf weiteres verschoben werden.
Alte Leitlinie dominiert weiter
Damit bleibt es im wesentlichen bei den Regeln der alten Leitlinien. Das Ergebnis der jetzt vorgeschlagenen Methode sei „sehr ähnlich“ dem der bisherigen, schreibt der Verband der europäischen Pestizidhersteller (Ecpa) in einer Stellungnahme für die EU. Dabei EU-Kommissar Andriukaitis räumt in einem Brief an Greenpeace ein: „Es ist Konsens unter Forschern, dass die dem früheren Leitliniendokument zugrundeliegende Wissenschaft … veraltet ist.“ Die alten Regeln würden zum Beispiel die nichttödlichen Effekte der Mittel, also etwa langfristige, außer Acht lassen.
„Wir lehnen das Vorgehen der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten ab“, sagt die Politikerin Maria Heubuch, die für die Grünen im Landwirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments sitzt, der taz. „Die EU muss Pestizide nach dem letztem Stand der Wissenschaft beurteilen.“ Deshalb müsse auch die chronische Giftigkeit und die Toxizität für Larven sowie Wildbienen geprüft werden.
Umweltschützer machen neben Bremsern wie Großbritannien oder die Niederlande Deutschland dafür verantwortlich, dass Bienen nicht so gut wie nötig geschützt werden. „Die Bundesregierung hat sich nicht vehement genug für die Bienenleitlinie in ihrer ursprünglichen Fassung eingesetzt“, kritisiert Franziska Achterberg, Lebensmittelexpertin von Greenpeace.
Zwar geben sowohl das Agrarministerium von Julia Klöckner (CDU) als auch das Umweltressort von Svenja Schulze (SPD) an, dass sie die strengeren Prüfvorgaben wollten. Aber mehr als der jetzt angestrebte Kompromiss lasse sich eben bei den meisten anderen EU-Ländern nicht durchsetzen. „Die Aussage, dass man sich hier in EU-Kompromisse schicken müsse, ist ein Armutszeugnis“, sagt Achterberg dazu. „Bei Fragen der Automobilindustrie ist die Bundesregierung ja weit weniger konziliant.“
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