Kolumne Schlagloch: Das Spiel mit den Bildern
Frankreich und Italien haben seit Wochen Zwist. Kunst hat die beiden Nationen zusammengebracht – sie kann sie aber ebenso gut entzweien.
W er meint, dass Demokratie unbedingt mit Streit zu tun haben müsse, je mehr, desto demokratischer, kann sich freuen, dass Frankreichs Präsident Macron mit den italienischen Vizes Salvini und Di Maio seit Monaten im erbitterten Zwist liegt, so, als wären sie voneinander enttäuschte Liebende, die sich nicht einmal mehr das Schwarz unter den Fingernägeln gönnen.
Während Di Maio sich an die Gelbwesten ankuschelt, dabei auch nicht vor Radikalen wie Christophe Chalençon zurückschreckt, der sich bereits auf den militärischen Staatsputsch in Frankreich freut, übt sich Salvini darin, Häfen für Migranten zu schließen und im Übrigen Frankreich die Schuld an der Massenmigration vom afrikanischen Kontinent zu geben.
Nun lohnt es sich zwar durchaus, über das französische Investitionssystem in afrikanischen Ländern kritisch zu diskutieren, ebenso wie ein Rückblick auf die während der Präsidentschaft de Gaulles (vorsichtig gesagt) nicht unproblematisch verlaufene Dekolonisierung hilfreich ist zum Verständnis einiger grundlegender Probleme der Gegenwart, doch darum geht es den beiden Politikern in Rom gar nicht so sehr. Eher warten sie wohl noch auf einen Marie-Antoinette-haften Ausruf Macrons: „Wenn die Armen kein Geld für Benzin haben, dann sollen sie doch Taxi fahren!“ Stattdessen hat Macron erst einmal den französischen Botschafter in Rom abberufen.
Dabei haben sich die beiden Länder auch mal gut verstanden, vermittelt durch die Kunst etwa. Nehmen wir 1666, als die Académie de France à Rome gegründet wurde, um nicht etwa Kunst nach Frankreich zu bringen, sondern die französischen Künstler mitten in die Ästhetik Roms. Einer der Grundsteine für das, was heute Rom ist, war damit gelegt, nämlich ein kulturpolitisches Studienzentrum und Freilichtmuseum, in dem ganz Europa seine Akademien hat und noch einige Anwohner als Staffage frei herumlaufen dürfen.
Kritisch-ironische Liebeserklärung
Italien zu besuchen bedeutete, Europa zu entdecken, erklärte der liberale Belgier Guy Verhofstadt vergangene Woche im EU-Parlament eingedenk all der Künstler und Intellektuellen auf Italienreise. In einer kritisch-ironischen Liebeserklärung an Italien warf er im Anschluss an diese historische Wertschätzung der aktuellen Regierung gravierendes Versagen vor, eine Entwicklung, die mit der Misswirtschaft Berlusconis vor zwanzig Jahren begonnen habe.
Vielleicht benennt Verhofstadt in seinem Bonmot aber auch ein Problem, das dieses Land seit Langem hat, nicht erst seit Berlusconis malgoverno: Es ist vor allem besucht worden, gern von Künstlern, die dann doch etwas Größeres, Ganzes, Ewigzeitliches sehen wollten und darüber die aktuellen Probleme Roms übergingen. Auch Rom sehen und sterben ist problematisch – die Crux an dieser radikalen Gebrauchsanweisung für die Ewige Stadt ist, dass all jene, die sich aufrichtig für die Stadt begeistern, gleich wieder abtreten, oder, will man davon ausgehen, dass es sich hier nur um eine metaphorische Überhöhung handelt, immerhin so überwältigt sind, dass sie zum Handeln nicht mehr in der Lage sind.
Kunst kann Nationen zusammenbringen, sie kann sie aber ebenso gut entzweien, und dass Bilder mit Macht und Einfluss ein stetiges Wechselspiel treiben, kann sich manchmal ganz konkret und kunstgeschichtlich zeigen. Während sich unter anderem die Pariser Museen du quai Branley und Louvre seit einiger Zeit Gedanken über Restitution machen, gibt es auch einen innereuropäischen Streit um Kunstprovenienz ganz anderer Art, nämlich zwischen den beiden Ex-Freunden Italien und Frankreich.
Es geht dabei um einen Maler mit Migrationshintergrund, könnte man sagen, um niemand Geringeren als den im toskanischen Ort Vinci geborenen Leonardo, der seinen Alterssitz allerdings in Frankreich hatte, auch sein berühmtestes Gemälde hängt heute dort im Louvre und ist der Star unter allen Publikumsmagneten. Das Lachen der oberen Zehntausend hat schließlich schon in vielen Epochen mehr bewegt als das Leiden all jener darunter. Leonardo aber wurde vom italienischen Staatssekretär für Kultur im Dezember kurzerhand der Reisepass entzogen beziehungsweise die Leihgabe der in Italien hängenden Bilder infrage gestellt, damit der Künstlergigant seinen 500. Todestag in Italien und nicht etwa im französischen Louvre feiert, wo alles längst geplant war.
„Die Freiheit führt das Volk an“
Der Freiheit der Kunst werden immer wieder neue Grenzen gesetzt, und wer meint, ihr Potenzial läge vor allem darin, eine gesellschaftskritische Intervention zu sein, übersieht, dass sie ebenso sehr immer auch Macht stützte und erhielt; Repräsentation einer höheren Wirklichkeit, die, sobald sie in direkte Nähe der Regierungsgewalt gestellt wurde, auf diese abstrahlte und uns so auch nach dem Abdanken Gottes als Legitimationsquelle irdischer Macht weiterhin einen Registerwechsel unterjubelte.
Die, je nach Ästhetik, von tieferer Erkenntnis, höherer Schönheit oder reinerer Harmonie berichtete als ein Regierungsalltag etwa zwischen Hartz-IV-Bürokratie, Gutes-Kita-Gesetz und Parlamentsdebatten. So ist der Streit um die Mona Lisa natürlich auch einer darum, welcher Regierungschef sich mit dem berühmtesten Lächeln der Kunstgeschichte schmücken darf, neben dieser Darstellung höchster Harmonie. Dass dieses Lächeln geheimnisvoll ist, mag sein, aber es erzählt nicht von Aufstand oder Umsturz.
Das Bild der Revolution, prominent in die Ewigkeit gesetzt, gibt es auch im Louvre, es ist von Eugène Delacroix gemalt, „Die Freiheit führt das Volk an“, und zeigt die Pariser Bürger auf den Barrikaden der 1830er Revolution, die Freiheit mit entblößter Brust und Jakobinermütze. Derzeit ist sie fast beliebter als die Mona Lisa, ihr wird gern in verfremdender Kopie eine Gelbweste übergezogen. Macht und Einfluss haben immer mit Bildern und idealisierenden Leihgaben zu tun, das weiß auch diese Bewegung.
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