Extrem rechtes Theater in Sachsen: Inszenierung der „Volksgemeinschaft“
„Widerstandsbewusstsein“ wecken: In Bischofswerda spielte eine rechte Laiengruppe Wilhelm Tell vor großem Publikum und mit Szenezulauf.
Die Bühne liegt idyllisch mitten im Wald nahe Bischofswerda. Auf der Naturbühne in Sachsen führte am vergangenen Freitag und Samstag die „Laienspielgruppe ‚Friedrich Schiller‘“ das Stück „Wilhelm Tell“ – „klassisch inszeniert“ – auf. Ein voller Erfolg, es wurden rund 800 Karten verkauft.
Nicht bloß aus der Region waren Zuschauer gekommen, auch aus anderen Bundesländern, sowie der Schweiz und Österreich. Denn auf der Bühne standen in selbstgemachten mittelalterlichen Kostümen „Jugendliche und Junggebliebene“ aus rechten Strukturen, um das Drama vom Widerstand eines unterdrückten Volkes gegen eine Willkürherrschaft aufzuführen.
Auf der Eintrittskarte zu der Aufführung der Laiengruppe um Baldur Borchardt dürfte so auch nicht zufällig der in extrem rechten Kreisen sehr beliebte „Rütli-Schwur“ als Zitat stehen: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern. Wir wollen frei sein wie die Väter waren. Wir wollen trauen auf den höchsten Gott“. Im Begleitheft zu der Inszenierung wird betont: „Mit dieser Aufführung wird ein wichtiger Beitrag für das Kulturschaffen in Deutschland geleistet. Möge der Schillersche Freiheitsgedanke als edles und hohes Ziel uns Deutschen in der heutigen Zeit wieder bewusst sein!“.
Zu den Gästen an den beiden Tagen gehörten auch Stadträte der Stadt Bischofswerda. Viele Besucher aber kamen aus rechten Strukturen und Organisationen. Sie wollten teilweise Familienmitglieder oder Bekannte live erleben. Mit ihren Kindern reisten sie an, entluden Kleinbusse, bauten Zelte auf einer kleinen Lichtung auf.
Rechtes Familientreffen
Der ehemalige Bundesführer der 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), Sebastian Räbiger, reiste mit dem NPD-Mann aus Lübtheen, Torgej Klingebiel, samt Familien an. Der NSU-Verteidiger Wolfram Nahrath kam mit Angehörigen aus Berlin. Stefan Köster, NPD-Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern war mit Familie und rechten Bewohnern aus Jamel gekommen. Der ehemalige NPD-Ordnungsleiter Frank Klawitter, auch in der HDJ aktiv, reiste mit großer Gruppe an. Seine Kinder besuchen die Lager des Sturmvogel. Ehemalige Mitglieder der HDJ aus Bayern begrüßten fröhlich Bekannte. Anhänger der „Identitären Bewegung“ waren ebenso vertreten wie Kandidaten der AfD aus Mecklenburg und Sachsen.
Über 80 Darsteller, der jüngste neun und der älteste 61 Jahre alt, wirkten aus allen deutschsprachigen Ländern bei der Inszenierung mit, heißt es im Begleitheft. Auffallend: wie bei Theaterheften sonst üblich, wird hier kein einziger Schauspieler mit Rolle und Namen vorgestellt. Zudem zeigen Fotos von den Proben nie ein Gesicht. Stattdessen sind die Rücken der Darsteller zu sehen oder ein Gruppenbild, das von einer solchen Entfernung aufgenommen wurde, dass die Personen darauf nicht erkennbar sind.
Aus dem Familien- Freundes- und Bekanntenkreis will Borchardt die Mitstreiter für die hobbymäßige Inszenierung gewonnen haben. Noch vier Tage danach schwärmt Fabian Rimbach von der Aufführung auf der Waldbühne. Der Familienvater ist der Vorsitzende der „Schlesische Jugend Bundesgruppe e.V. – Jugendorganisation der heimatvertriebenen Deutschen“. Am Samstag sah er mit seiner Frau das Stück. „Die ersten Proben haben bei uns stattgefunden, wir haben auch die Versorgung gemacht“, sagt Rimbach weiter, „da wollten wir mit unserem Besuch auch etwas zurückgeben“.
Die letzten Proben vor der Aufführung fanden aber nicht in dem Landgasthof im thüringischen Marlishausen statt. In der Region hätte die Laiengruppe keine Bühne gefunden, so Rimbach. Sie musste nach Sachsen ausweichen, und da wäre ihr Landgasthof einfach zu weit weg gewesen. Und Rimbach weiß auch, rechts wären diese hoch engagierten Leute nicht. „Mir ist da kein Symbol oder irgendetwas aufgefallen“, sagt er.
Deutsches Brauchtum und deutsche Bildung
2011 trennte sich die „Landsmannschaft Schlesien“ von ihrem Jugendverband, da er rechtsextremistisch unterwandert war. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht Thüringens findet Rimbachs Landgasthof Erwähnung. Die Raumwahl für die Proben dürfte kein Zufall gewesen sein. In diesem Milieu der völkischen Familien kennt man sich, ist vernetzt und unterstützt sich. Vermeintlich deutsches Brauchtum und Bildung werden gepflegt.
Die Wahl des Stückes von Schiller überrascht wenig. Die Figur Wilhelm Tell greift die Szene immer wieder auf: Der Holocaust-Leugner Bernhard Schaub behauptete auf der Holocaust-Leugner-Konferenz in Teheran 2006: „Die Freiheitshelden Arminius und Wilhelm Tell sind nicht tot. In den besten Männern und Frauen aller Nationen leben sie weiter.“
Jürgen Elsässer, Chefredakteur der weit rechten Zeitschrift Compact“ betonte in der „Sonder-Ausgabe Nr. 9“ mit dem Titel „Zensur in der BRD“: „Damals waren es die Dynastien des Adels wie die Windsors, Habsburger und Romanows, heute sind es die Dynastien des Geldes, die Rockefellers und Co. Das Volk blutet, heute wie damals. Aber es kämpft. Wir kennen seine Helden aus den Geschichtsbüchern: Das waren etwa Robin Hood, Klaus Störtebeker, Thomas Müntzer und Wilhelm Tell. Die waren weder links noch rechts, das gab es damals nicht. Sie waren einfach für das Volk: für uns da unten, gegen die da oben“.
Das Event Bischofswerda offenbart nicht bloß die starke Vernetzung der Milieus über parteipolitische Grenzen hinweg. Karten konnten über die Website der Laienspielgruppe bezogen werden, regional bot ein einziger Laden in Bautzen sie an. Das Inhaberehepaar organisierte Demonstrationen von „Wir sind Deutschland – Bautzen“. Diese Verzahnung spiegelt die tief liegenden Kontakte wider, die mithilfe von kulturellen Projekten gepflegt werden. Eine Dimension, die oft nicht wahrgenommen wird, auch weil sie kaum nach außen sichtbar ist.
Nichts aufgefallen
„Die Laienspielgruppe war mir vorher nicht bekannt“, sagt Uwe Hänchen. Er ist der Ansprechpartner für die Waldbühne in Bischofswerda und schließt die Verträge ab. „Der Name des Vertragspartners war mir auch nicht als einschlägig bekannt“, sagt Hänchen weiter. In der rechten Szene kenne er sich nicht so aus, sagt er. Er könne nicht ausschließen, dass da eventuell Rechte mit auf der Bühne gestanden hätten. „Mich überraschte aber schon, dass die Zuschauer aus dem gesamten Bundesgebiet und auch aus Österreich und der Schweiz kamen“. Auf der Bühne sei ihm aber nichts besonderes aufgefallen.
Während die extrem rechte Szene in Chemnitz und Köthen zum Widerstand auf der Straße aufruft, ließ Baldur Borchardt, der Veranstalter des Theaterstücks, Nachfragen der taz unbeantwortet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau