Kommentar Wohnungspolitik: Wie früher bei Sabine Christiansen
In der wohnungspolitischen Debatte argumentieren Liberale mit marktradikalen Ideen. Geht es ihnen um eine andere Gesellschaft?
A m Donnerstagvormittag war es im Bundeswirtschaftsministerium, als hätte jemand die Zeitmaschine eingeschaltet. Vorne saßen die Professoren Friedrich Breyer und Hans Gersbach, ein Sprecher des Ministeriums moderierte. Aber niemand wäre überrascht gewesen, wenn im nächsten Moment Sabine Christiansen hereingeschneit wäre und mit den Wirtschaftswissenschaftlern einen jener „Deutschland braucht Reformen“-Talks aus den Schröder-Jahren begonnen hätte.
Breyer und Gersbach, zwei neoklassische Ideologen, schlugen für den Wissenschaftlichen Beirat des Ministeriums radikale Antworten auf die Wohnungskrise in Deutschland vor: Mietpreisbremse weg, sozialen Wohnungsbau einstellen, keinen öffentlichen Wohnungsbau. Der Markt soll es richten.
Krisenzeiten bieten stets Chancen, die Gesellschaft zu verändern. Die hohe Arbeitslosenquote und das Loch in den Rentenkassen wurden in den nuller Jahren genutzt, um das vergleichsweise egalitäre deutsche Sozialmodell zu zerstören. Nun steht der noch immer relativ egalitäre Wohnungsmarkt zur Disposition.
Auch wenn Wohnraumknappheit und Verdrängung Realität sind: Bisher fanden auch Niedrigverdiener in den meisten Städten Wohnungen. Damit könnte es bald endgültig vorbei sein. Die Frage, ob London nicht ein abschreckendes Beispiel für einen ungeregelten Wohnungsmarkt sei, konterte Breyer ungerührt: Die hohen Preise seien eben Ausdruck der Attraktivität der Stadt.
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Die politischen Verhältnisse sind jedoch andere als zu rot-grünen Zeiten. Grüne und Linkspartei haben heute eine Reihe von kreativen mieterfreundlichen Bundes- und Kommunalpolitikern, die SPD lässt sich immerhin zum Jagen Richtung Engagement für Mieter tragen. Selbst die Union sieht sich zu verbalen Bekenntnissen zum Mieterschutz genötigt, auch wenn sie in der Praxis alle wichtigen Regelungen blockiert.
An der Basis engagieren sich inzwischen in vielen Städten Mieter für bezahlbaren Wohnraum. Daher wies denn, neben Politikern von SPD, Linken und Grünen, auch CDU-Wirtschaftsminister Altmaier das Gutachten seines Beirats zurück. Nur die FDP jubelte.
Mieter? „Armselig“
Dennoch ist offen, ob München, Frankfurt und Berlin wie London werden. Anders als zu Agenda-Zeiten muss die Bundesregierung keine neuen Gesetze beschließen, um die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben. Es genügt, dass sie nichts tut – oder Scheinmaßnahmen wie eine Mietpreisbremse beschließt, deren Unwirksamkeit sich erst später zeigt. Bis dahin haben die Investoren die Mietschraube weiter angezogen.
Je mehr das Wohnungsthema in den Fokus gerät, desto deutlicher wird, dass es auch um einen ideologischen Kampf geht: Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht geschafft hat, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt schrieb diese Woche, in den Szenekiezen Berlins liege der Mieteranteil jenseits der 95 Prozent. „Armselig“ nannte Poschardt das.
Dabei könnten gerade Liberale Mietverhältnisse als Ausdruck von Freiheit verstehen – als Möglichkeit, sich relativ schnell nach eigenen Wünschen zu verändern. Das Berlin, das Poschardt so liebt, wäre ohne einen großen Anteil an günstigen Mietwohnungen nicht denkbar. Auch bundesweit hat die Wirtschaft von günstigen Mieten profitiert. Der Umzug für einen neuen Job fiel dadurch wesentlich leichter.
Deshalb bleibt die Frage, ob es den Anhängern eines freien Wohnungsmarkts nicht auch um ein anderes Gesellschaftsmodell geht: Die rot-grünen Reformen haben die Gesellschaft so in Gewinner und Verlierer gespalten, dass es keine linke Mehrheit mehr gibt. Nur im Ärger über Mietsteigerungen sind sich Mittelschicht und das untere Drittel der Gesellschaft noch einig. Wenn es aber gelingt, die Mittelschicht über Mietsteigerungen und Diskreditierungen zu Eigentümern zu machen, ist es auch damit vorbei.
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