Sozialdemokratin über den Heimatbegriff: „Kein unschuldiges Wort“
Im Bundestag befasst sich Karen Taylor mit Menschenrechten. Ein Gespräch über Kolonialismus, geschützte Räume und die Macht von Quoten.
taz: Frau Taylor, Sie nehmen an diesem Wochenende an der Konferenz „Heimatphantasien“ in Hamburg teil. Wie stehen Sie zu dem Begriff „Heimat“?
Karen Taylor: Ich finde es in Ordnung, wenn das Wort im Privaten gebraucht wird. Wenn Leute zum Beispiel sagen: „Ich fahre am Wochenende in die Heimat“, weil sie nicht aus Berlin stammen. Aber im politischen Kontext ist er problematisch. Ich habe mich sehr geärgert, als ich im Bundestag mitbekommen habe, dass das Innenministerium umbenannt wird in Ministerium des Innern für Bau und Heimat.
Weshalb?
Weil so getan wird, als wäre Heimat ein unschuldiges, unbeflecktes Wort. Und das ist es nicht. Im Idealfall hätte man im Vorfeld erst mal diskutieren können, was der Begriff überhaupt soll. Aber das ist nicht passiert. Erst nachdem die Umbenennung bekannt wurde, hat Horst Seehofer gesagt, unter Heimat verstehe er schöne Landschaften und Vielfalt. Aber wenn wir uns Seehofers Politik im Bezug auf Geflüchtete anschauen, kann von Vielfalt ja nicht die Rede sein.
Geht es bei dem Heimatbegriff also vorrangig um Ausgrenzung?
Ja, das kann man so sagen. Denn Heimat bezeichnet bloß die Rückbesinnung auf ein Deutschland, das es so nie gegeben hat. Es ist ja keine Tatsache, dass Deutschland immer weiß gewesen ist, dass es keine Migration und nur eine Religion gegeben hat. Nur weil es jetzt eine größere Veränderung in der Demografie gibt, entsteht die Sehnsucht nach einem Staat, in dem alle gleich aussehen. Diese Sehnsucht zeigt aber, dass gerade Menschen integriert werden müssten, die in der Integrationsdebatte normalerweise immer auf die anderen Leute zeigen.
Die Frau: Karen Taylor ist Mitarbeiterin des SPD-Abgeordneten Karamba Diaby im Bundestag. Bei Each One Teach One e.V., einem communitybasierten Empowerment-Projekt für Schwarze Menschen in Deutschland, ist sie zuständig für die politische Kommunikation. Außerdem ist Taylor Teil des Koordinationsteams, das sich für die Umsetzung der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung in Deutschland einsetzt.
Die Konferenz: „Heimatphantasien“ findet vom 18. bis 19. 8. auf Kampnagel in Hamburg statt. Auf dem Podium werden neben Karen Taylor unter anderem Diedrich Diederichsen, Naika Foroutan und Mark Terkessidis diskutieren.
Kann es ein alternatives Konzept geben, das Zugehörigkeit für möglichst viele Menschen schafft?
Normalerweise verdrehe ich immer die Augen, wenn sich jemand bei allem auf das Grundgesetz beruft. Aber hier finde ich es tatsächlich sehr passend. Im Grundgesetz steht schwarz auf weiß, dass Deutschland vielfältig ist und jeder Mensch dieselben Grundrechte hat. Diese Werte sollten eine Gesellschaft zusammenhalten.
Und wenn das nicht reicht?
Dann muss die Politik handeln und ehrlich genug sein, den Bürger*innen zu vermitteln, dass Deutschland nicht für immer so bleiben kann, wie es ist. Alles andere wäre eine Lüge.
Sie engagieren sich für postkoloniale Erinnerungskultur in Deutschland. Inwiefern hängt die deutsche Kolonialgeschichte mit dem Heimatbegriff zusammen?
Das eine ist von dem anderen nicht zu trennen. Die Idee von Heimat diente unter anderem dazu, den vermeintlich „edlen“ Deutschen vom „barbarischen, tierähnlichen“ Afrikaner in den deutschen Kolonien abzugrenzen. Dieses Denken, diese Selbstüberhöhung führte zum ersten Völkermord an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia.
Ist auch das fehlende Wissen um deutschen Kolonialismus innerhalb der Bevölkerung Grund dafür, dass der Heimatbegriff einfach so stehen gelassen wird?
Oh ja. Seit über 300 Jahren leben Schwarze Menschen in Deutschland und sind etwa ins Berliner Stadtbild eingeschrieben. Und dennoch behaupten Leute, Deutschland habe nie Kolonien gehabt und habe niemanden versklavt. Es gibt Heimatmuseen in Deutschland, in denen afrikanische Raubkunst ausgestellt wird, vor allem aus Kamerun und Togo. Diese gehören paradoxerweise zur deutschen Kultur und können dementsprechend nicht zurückgegeben werden. Aber den Menschen wiederum, die aus diesen Regionen kommen, wird kein Zutritt zu diesem Land gewährt. Und wenn sie schon lange hier leben, gehören sie eben dennoch nicht zur Heimat.
Neben Ihrer Arbeit als Referentin der SPD im Bundestag sind Sie auch politische Referentin des Vereins Each One Teach One e. V., eines Community-Projekts in Berlin-Wedding von Schwarzen Menschen für Schwarze Menschen. Wie ist dieser Verein entstanden?
Unser Verein ist durch das Engagement Schwarzer, vor allem literaturbegeisterter Frauen entstanden, die uns ihr Archiv an afrodiasporischer Literatur vermacht haben. Neben unserer Bibliothek mit knapp 7.000 Werken gibt es zwar auch Formate, die sich generell an den Kiez richten, aber vor allem machen wir Projekte, die ausschließlich für Schwarze Menschen sind. Dazu zählen etwa Nachhilfe, Jugendsupport und eine Beratungsstelle für Erfahrungen mit Anti-Schwarzen-Rassismus. Wir haben den Bedarf gesehen, weil es zwar einige Angebote für Menschen mit sogenanntem „Migrationshintergrund“ gibt, aber kaum etwas, das sich explizit an Schwarze Menschen richtet.
Gerät der Verein auch in Kritik für diese explizite Ansprache Schwarzer Menschen?
Ja, leider werden wir regelmäßig dafür angegriffen, mit Hassnachrichten und vielen Anrufen. Es gab einen größeren Backlash, als wir ein eigenes Screening des Films „Black Panther“ als Schwarzes Event für die Community angekündigt haben. Viele Leute meinten daraufhin: „Wie könnt ihr mir verbieten, dorthin zu kommen, nur weil ich nicht Schwarz bin? Das ist rassistisch!“
Wie gehen Sie mit diesen Vorwürfen um?
Mit Gesprächen. Zum Beispiel erklären wir, dass es sich bei „Schwarz“ um eine Selbstbezeichnung handelt. Wir würden also niemals an der Tür stehen und sagen: „Du kommst nicht rein, du bist nicht Schwarz genug!“ Darum geht es nicht. Wir wollen nicht Menschen ausgrenzen, sondern einen geschützten Raum für Schwarze Menschen schaffen, den es bisher so nicht gegeben hat. Bei Frauengruppentreffen wird auch akzeptiert, dass Männer da nichts zu suchen haben. Und zwar nicht, weil diese Frauen Männerhasser sind, sondern weil sie einen geschützten Raum brauchen, wo sie ihre Erfahrungen mit Gewalt und Diskriminierung verarbeiten und gemeinsame Visionen für die Zukunft entwickeln können. Und genauso etwas braucht die Schwarze Community eben auch.
Wie haben Sie eigentlich die #MeTwo-Aktion in den sozialen Medien wahrgenommen, wo viele Menschen ihre Rassismuserfahrungen in Deutschland öffentlich machten?
An sich fand ich es sehr gut, dass diese Diskussion so medienwirksam geführt wurde. So ging der Rassismusdiskurs endlich über die üblichen Kreise hinaus und erreichte den Mainstream. Mich hat nur ein bisschen gestört, dass es zu sehr abgekupfert war von der #MeToo-Debatte und somit dem Thema Sexismus Raum geklaut hat. Vielleicht hätte es einen anderen, unabhängigen Hashtag geben müssen.
Aber wäre es nicht ideal, einfach beide Diskurse zusammenzubringen, also intersektional zu betrachten?
Auf jeden Fall. Ich selber kann mich als Schwarze Frau auch gar nicht für das eine oder andere entscheiden. Aber ich fürchte, wir sind in Deutschland noch nicht so weit. Ich sehe häufig die Gefahr, dass das Ganze miteinander vermengt wird, und nicht mehr klar ist: Hier geht es auch um Rassismus. Ich verkenne überhaupt nicht, dass Frauen immer noch einen weiten Weg vor sich haben, was Gleichberechtigung angeht. Aber gegen Sexismus ist bislang viel mehr getan worden als gegen Rassismus.
Meinen Sie auf gesetzlicher Ebene?
Ja. Gerade in Berlin haben wir ein Landesgleichstellungsgesetz, wo es klare Zielmarken gibt für die Gleichberechtigung von Frauen im öffentlichen Dienst. Aber unser Partizipations- und Integrationsgesetz spricht dann eher davon, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich „bemühen“ müssen, um ein gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. Wenn man das in Bezug auf Frauen so formulieren würde, wäre der Aufschrei groß – und zu Recht!
Wären Sie prinzipiell für eine Quote?
Bei diesem Thema spreche ich mit zwei unterschiedlichen Hüten. Als Aktivistin würde ich sagen: Wir brauchen sofort überall eine Quote! Weil es da nicht um Bevorzugung geht, sondern um das Ausgleichen von Nachteilen. Aber als Mensch, die in einer Partei ist, weiß ich: Es geht um Mehrheiten. Und selbst bei der Frauenquote schreien alle auf. Für eine Quote für Menschen of Color und Schwarze Menschen wird so schnell keine Mehrheit zusammenkommen. Leider.
Aber Sie glauben, die Idee wäre praktisch umsetzbar?
Ja, auf jeden Fall. Ich denke, eine Grundvoraussetzung wäre es, eine Zählung vorzunehmen, die zeigen müsste, wie es denn zur Zeit um Minderheiten in Deutschland steht. Gerade im Bezug auf Schwarze Menschen können wir gar nicht genau sagen, wie viele es aktuell sind, wegen der unterschiedlichen Hintergründe. Und dann müsste eine realistische Quote angesetzt werden, um Fakten zu schaffen. Gerade gab es eine Befragung der NGO Citizens For Europe in den Führungsetagen im öffentlichen Dienst in Berlin. Da kam heraus, dass 97 Prozent der Personen dort weiß sind. Auf die Frage, ob fehlende Diversität ein Problem ist, antworteten sie mehrheitlich mit Ja. Auf die Frage wiederum, ob sie sich selbst als Teil des Problems sehen, antworteten die meisten mit Nein – obwohl sie ja letztendlich die Personen sind, die bei Neueinstellungen mitentscheiden. Eine vorgeschriebene Quote könnte also Veränderungen in der Personalstruktur herbeiführen.
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