Demo gegen Rechts in Neukölln: Da, wo auch die Nazis wohnen
Tausend Menschen demonstrierten am Samstag gegen rechte Anschläge in Neukölln. 30 verschiedene Initiativen hatten dazu mobilisiert.
Demonstrationen wie diese gibt es nicht jeden Tag. Irmgard Wurdack schaut zufrieden über die Menschenmenge: „Dass sich so viele unterschiedliche Akteur*innen an der Mobilisierung und der Demonstration beteiligen, ist hier im Süden Neuköllns, wo auch viele Nazis in der Nachbarschaft leben, keine Selbstverständlichkeit.“ Wurdack nimmt für das Bündnis Neukölln an der Demonstration „Gegen rechten Terror in Neukölln“ teil, die am Samstagnachmittag stattgefunden hat. Gemeinsam mit 29 weiteren Initiativen hat das Bündnis aufgerufen.
Von Anwohner*innen über Gewerkschaften, Kirchenvertretungen bis hin zur außerparlamentarischen Opposition: Sie kommen zusammen, weil in Neukölln in den vergangenen Jahren vermehrt rechte Anschläge stattfanden. 125 rechtsextrem motivierte Straftaten zählt die Polizei allein für das Jahr 2017. Dazu gehörten Gewalttaten, Sachbeschädigungen und Propagandadelikte.
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) spricht von einer Anschlagserie, die im Mai 2016 erneut begonnen hat. Zuletzt wurde vor einigen Tagen der neue Gedenkort für den in Neukölln erschossenen Burak Bektaş beschädigt. Das Denkmal wurde mit Chemikalien übergossen.
„Seit über zwei Jahren gibt es keine sichtbaren Ermittlungserfolge“, ruft Ferat Kocak durch das Mikrofon über den Bat-Yam-Platz, wo die Demonstration beginnt. 1.000 Menschen sind laut Veranstalter*innen zum Protest gekommen; die Polizei zählt 900. Kocak ist Lokalpolitiker der Linken in Neukölln. Anfang Februar ging sein eigenes Auto in Flammen auf. Fast zeitgleich wurde auf das Auto von Heinz Ostermann, Inhaber der Buchhandlung Leporello, ein Brandanschlag verübt. Beide engagieren sich gegen rechts. Bereits 2011 und 2012 gab es vergleichbare Brandanschläge.
„Rechten Terror aufklären“ steht in dicken Großbuchstaben auf einem Schild, das eine Demonstrantin auf dem Bat-Yam-Platz in die Höhe hält. Es müsse mehr in Richtung rassistischer Tatmotivation ermittelt werden, fordert ein Demonstrant. Der Vorwurf, rassistische Motive würden zu wenig untersucht, ist bekannt.
Hikel: „Es war Terror“
Die Frage, ob Abhilfe geschaffen werden kann, indem die Anschläge als terroristisch eingestuft werden, bleibt offen. Ende Februar forderten Neuköllner Linke, Grüne und SPD die Berliner Polizei jedenfalls dazu auf, sich bei der Staatsanwaltschaft dafür einzusetzen. Auch der neue Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) unterstützt das: „Ich finde es gut, die Taten der letzten zwei Jahre als Terror einzustufen.“
Der Demonstrationszug verläuft durch den Süden Neuköllns bis zum Gedenkort Burak Bektaş nahe der U7 Britz-Süd. Auch Hikels Vorgängerin und jetzige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) nimmt teil. „Als ich erfahren habe, dass das Denkmal beschädigt wurde, war es mir ein großes Anliegen, dabei zu sein“, sagt Giffey.
Erst vor zwei Wochen wurde das aus Spendengeldern finanzierte Denkmal eingeweiht. Es erinnert an den 22-jährigen Burak Bektaş, der im April 2012 in Neukölln auf offener Straße erschossen wurde. Der Täter ist bis heute nicht gefasst. Die „Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş“, die auch zur Demonstration aufruft, vermutet rassistische Motive.
„Heute wurde die politische Breite des Bündnisses gegen die rechten Anschläge in Neukölln sichtbar“, sagt Sebastian, der nur mit Vornamen genannt werden will, von der Interventionistischen Linken (IL), die ebenfalls die Demonstration organisiert hatte. „Das freut uns natürlich.“ Die rechte Anschlagserie brauche aber mehr Ermittlungserfolge – und mehr Öffentlichkeit.
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