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Friedensprozess in KolumbienSonderjustiz ohne Biss

Ein spezielles Gericht soll Menschenrechtsverbrechen aus mehr als fünf Jahrzehnten aufklären und ahnden. Doch seine Kompetenzen sind begrenzt.

Was wird aus ihr? Eine Farc-Kämpferin in Kolumbien, Archivbild vom Januar 2016 Foto: ap

Bogotá taz | Drei Buchstaben haben in den letzten Wochen Kolumbien in Atem gehalten: JEP. Jurisdicción especial para la Paz, so viel wie Sonderjustiz für den Frieden, heißt das Gesetzesprojekt, welches den Opfern des mehr als fünfzig Jahre währenden Konflikts in Kolumbien endlich Aufklärung und ein Minimum an Rechtsprechung bringen sollte. Sollte – denn Menschenrechts- und Opferorganisationen fürchten, dass die hehren Ziele der Sonderjustiz behindert werden.

Internationale Rechtsexperten zwischen Bogotá, London, New York und Guatemala-Stadt hatten das Konzept der Sonderjustiz entwickelt. Sie wurde in das Friedensabkommen zwischen der Farc-Guerilla und der kolumbianischen Regierung aufgenommen.

Im Kern besteht die JEP aus einem Sondertribunal für den Frieden, dessen 51 Richter bereits ernannt wurden. Das Verfahren ist erprobt, es basiert auf den Erfahrungen anderer Friedens- und Versöhnungsprozesse. Es beinhaltet eine Kombination aus Strafverfolgung schwerer Verbrechen und Anreizen, bei der Aufklärung aktiv mitzuwirken – im Austausch für Straffreiheit bei minder schweren Vergehen.

So weit, so gut. Doch mit der Umsetzung in nationales Recht tat sich die kolumbianische Regierung extrem schwer. Erst kam es zu Verzögerungen – wie bei nahezu allen wichtigen Vereinbarungen zwischen der 1964 gegründeten Guerilla und der Regierung des kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos, dem Träger des Friedensnobelpreises 2016. Dann intervenierte auch das Verfassungsgericht und stutzte die Autonomie der 51 bereits Ende September ernannten Richter.

Verfassungsgericht mischt sich ein

Das kritisieren Menschenrechtsorganisationen scharf. „Seit ihrer Ernennung in einem überaus transparenten Prozess sind die Richter zum Nichtstun verdammt“, erklärt der Direktor der Organisation Fasol, Carlos Ojeda Sierra. Fasol kümmert sich um verfolgte Richter, Staatsanwälte und Ermittler der Staatsanwaltschaft: Werden sie bedroht, bringt die Organisation sie in Sicherheit und betreut die Familien.

Der kolumbianische Friedensprozess

Friedensvertrag 2016 ging in Kolumbien mit dem Abkommen ein rund 50 Jahre währender Bürgerkrieg zwischen Armee und Farc-Guerilla zu Ende.

Fortschritt Schon zum 1. Jahrestag des Friedensabkommens im November 2017 räumte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos Probleme ein: Zwar habe das Schweigen der Waffen Tausende Menschenleben gerettet. In ehemaligen Guerilla-Gebieten gab es jedoch zunehmend Mordanschläge auf Aktivisten. (epd)

Ojeda Sierra, selbst Sohn eines von der Farc ermordeten Richters, hat auch Bedenken, wenn es um den Implementierungsprozess der JEP geht. „Der mutet manchmal wie Sabotage an, denn der Institution, die unserer nicht funktionierenden Justiz zeigen soll, wie es geht, werden die Kompetenzen beschnitten“, so der 36-Jährige.

Damit spricht er einen Punkt an, der Konsens unter den Opferorganisationen Kolumbiens ist: Sie hatten gehofft, dass die JEP im Paket abgestimmt werden würde und so ohne Änderungen die beiden Kammern des Parlaments passieren könnte. Doch das Gegenteil ist der Fall – das Verfassungsgericht hat nicht nur angeordnet, dass jeder einzelne Artikel der JEP in Senat und Kongress diskutiert werden muss, womit auch Abwandlungen möglich werden. Die Richter legten auch fest, dass gegen Urteile der Sonderjustiz vor ebenjenem Verfassungsgericht Berufung eingereicht werden kann.

Konkurrenz zwischen den Gerichten

Alirio Uribe Muñoz, Abgeordneter der linken Polo Democrático Alternativo, führt diese Entscheidung auf zwei Faktoren zurück: Zum einen auf die Konkurrenz zwischen den Gerichten – zum anderen auf diejenigen, die durch den Friedensprozess etwas zu verlieren haben. „Wir wussten, dass einflussreiche Politiker, aber auch Unternehmer und Militärs zu den Drahtziehern der paramilitärischen Gewalt gehören“, sagt der 56-jährige Kongressabgeordnete. „Dass ihr Ziel die Straffreiheit ist, kann nicht überraschen, und da sind sie ein Stück weit vorangekommen.“

In der Kritik stehen Veränderungen wie etwa die, dass Zivilisten nur noch mit ihrer Einwilligung vor die JEP geladen werden dürfen. Wenn die normale Justiz funktionieren würde, wäre das kein Problem, so Alirio Uribe Muñoz. „Dann müssten sich Unternehmer, einschlägig bekannte Politiker, Militärs und Großgrundbesitzer eben dort verantworten und höhere Haftstrafen akzeptieren, weil sie mit den Paramilitärs kooperiert haben. Aber sie funktioniert eben nicht.“

Die Richter sind zum Nichtstun verdammt

Menschenrechtler C. O. Sierra

Das belegen auch die Statistiken. Demnach werden zwischen 95 und 99 Prozent der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kolumbien nicht geahndet. Genau deshalb lockt die JEP aussagewillige Täter mit einer Maximalstrafe von acht Jahren, um verwertbare Aussagen zu erhalten und die Aufklärung der zahllosen Menschenrechtsverbrechen anzukurbeln.

Mehr als Straflosigkeit, immerhin

Zahlreichen Politikern im kolumbianischen Senat ist das aber ein Dorn im Auge. So brachten sie eine Diffamierungskampagne gegen die JEP-Richter in den Umlauf. Die wurden zwar in einem transparenten Verfahren nominiert. Doch die Gegner dieser Sonderjustiz erklärten, die Richter seien nur nominiert worden, um gegen den Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez und seine rechten Partei Centro Democrático zu ermitteln.

Recherchefonds Ausland e.V.

Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.

Jeder der 51 Richter, der schon einmal in einem Menschenrechtsfall aktiv gewesen sei, müsse abgelehnt werden, lautet die Forderung. „Ein entsprechendes Gesetz wurde im Senat formuliert und man kann nur hoffen, dass es vom Verfassungsgericht kassiert wird“, sagt Iván Cepeda, Senator des Polo Democrático Alternativo.

„Für die Opfer sind diese Eingriffe in die Struktur der JEP ein massiver Dämpfer ihrer Hoffnungen auf Aufklärung“, sagt Cepeda. Trotzdem hat er Hoffnung: „Klar ist, man schafft diesen Justizapparat. Dadurch werden die Opfer endlich die Möglichkeit haben, ihr Recht einzuklagen.“ Ein Fortschritt in dem von Straflosigkeit geprägten Land.

UN fordern Reintegrationsprogramme

Etwas zuversichtlicher stimmt Kritiker auch, dass es neben der JEP noch die Wahrheitskommission und die „Einheit für die Suche nach gewaltsam Verschwundenen“ gibt, die ihre Arbeit alsbald aufnehmen werden und ebenfalls Licht in die Verbrechen von mehr als fünf Dekaden des Konflikts bringen soll.

„Das macht mir Hoffnung“, sagt Gustavo Gallón von der kolumbianischen Juristenkommission. Allerdings wünscht sich Gallón auch mehr Auf­merksamkeit und Kritik vonseiten internationaler Organisationen und der Staaten, die den Friedensprozess begleitet haben.

Die Vereinten Nationen zumindest haben die Regierung Santos gerade nachdrücklich aufgefordert, die Reintegrationsprogramme für die ehemaligen Farc-Guerilleros endlich aufzulegen – ein weiteres Versäumnis in der schleppenden Umsetzung des Friedensabkommens.

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