Die „Blaue Wende“ in Sachsen: Frauke Petrys Alternative
Zur ersten Veranstaltung in Meißen kommen gerade mal 50 Interessierte. Trotzdem will die ehemalige AfD-Chefin in Sachsen künftig mitregieren.
Es ist Freitagabend, Petrys „Blaue Wende“ hat im sächsischen Meißen zum Bürgerforum ins Waldschlösschen geladen. Der Saal im ersten Stock hat am Boden Parkett, an der Decke einen großen Kronleuchter, ein Kreamikbild des Meißener Schlosses hängt an der Wand. Nur knapp die Hälfte der gut hundert Stühle ist besetzt. Petrys engste Mitstreiter sind dabei, Uwe Wurlitzer und Kirsten Muster, die mit Petry und zwei weiteren Abgeordneten gemeinsam die sächsische Landtagsfraktion der AfD verlassen haben. Ein paar AfD-Anhänger sind gekommen, aber auch Leute, die früher mit der Partei sympathisiert und sich inzwischen abgewendet haben, einzelne sind extra aus Berlin und Brandenburg angereist. Vorn steht Petry in hellblauer Bluse und dunkelblauem Jackett, hinten im Saal trägt ihr Mann Marcus Pretzell, der ehemalige AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, jetzt ihr Baby herum.
Gemeinsam mit Pretzell hat Petry kurz nach der Bundestagswahl die AfD verlassen, auch, weil ihnen die Partei nach eigenen Angaben zu weit nach rechts gerückt ist. Ihre Mandate wollen die Eheleute behalten. Jeder von ihnen hat zwei: Pretzell im Europaparlament und im Düsseldorfer Landtag, Petry im Dresdener Landtag – und seit Ende September auch im Bundestag. Das ist formal zulässig, ausfüllen aber lassen sich zwei Mandate von einer Person nicht.
„Ich werde mein Mandat nicht zurückgeben“, sagt Petry im Waldschlösschen, „weil ich in meinem Wahlkreis direkt gewählt worden bin.“ Sie werde sich dort für das Programm engagieren, mit dem sie angetreten sei. Einige applaudieren engagiert. Petry sagt: „Weitere Fragen?“
Es ist die erste Veranstaltung der „Blauen Wende“ in Sachsen, eine gab es bereits vor einer Woche in Frankfurt am Main. Wie Bernd Lucke, der ehemalige AfD-Chef, der 2015 ebenfalls wegen eines Rechtsrucks kombiniert mit persönlichem Machtverlust die AfD verließ, will Petry mit einer neuen Partei ihr Glück versuchen. Bei Lucke hat das ins Nichts geführt.
Alle Karten auf Sachsen
Petry setzt vor allem auf Sachsen, wo sie bis vor wenigen Wochen Landes- und Fraktionschefin war und wo die Lage der CDU besonders desolat ist. Bei der Bundestagswahl hat die AfD hier mit 27 Prozent der Stimmen die Christdemokraten von Platz 1 verdrängt. CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich tritt ab, sein Nachfolger wird ausgerechnet Michael Kretschmer, der sein Direktmandat an einen No-Name der AfD verlor.
In gut anderthalb Jahren wollen Petry und ihre Mitstreiter zur Landtagswahl antreten – und nach eigener Vorstellung gleich in die Regierung einziehen. Für eine „konservative und liberale Politik“, wie sie die „Blaue Wende“ und die „Blaue Partei“ wolle, seien noch weit größere Teile der Bevölkerung zu gewinnen als bei der Bundestagswahl für die AfD, glaubt Petry. Ihre Hoffnung: „Wir sind jetzt ansprechbar für Menschen, die vorher nie mit uns geredet hätten.“ Vorher, das soll heißen: als der Makel der rechtslastigen AfD ihr noch anhaftete. Dabei war sie es zum Beispiel, die Kontakte der AfD mit dem rechtsextremen Front National aus Frankreich anbahnte und sich stolz mit deren Chefin fotografieren ließ.
Um kurz nach sieben, zu Beginn des Abends, steht Pretzell vorn im Saal des Waldschlösschens, er soll die Struktur der „Blauen Wende“ erklären. Die „Blaue Partei“ soll demnach nur das notwendige Vehikel für Wahlen sein. Zentral sei zunächst das Bürgerforum, wo politische Probleme diskutiert und Lösungen gefunden werden sollen. Diese Fähigkeit hätten Parteien verloren, auch könnten sie Wähler nicht mehr an sich binden. In Parteien entstehen, so sieht es Pretzell, quasi zwangsläufig Abhängigkeiten und persönliche Netzwerke, wichtige Entscheidungen werden in kleinen Zirkeln ausgekungelt und alles ausgebremst, was den Konsens stört. „Wenn Sie politische Debatten führen wollen, dann sollten Sie sich dafür zuletzt eine Partei aussuchen“, sagt Pretzell. Der allerdings steht selbst in dem Ruf, in NRW kräftig gekungelt zu haben.
So sei die Idee entstanden, fährt Pretzell fort, „die Partei auf ein Minimum zu begrenzen und ein Bürgerforum vorzuschalten“. Das habe einen weiteren Vorteil: Es wirke wie „eine Firewall vor der Partei“. Mit Hilfe des Bürgerforums sollen also all die Querulanten, die Verschwörungstheoretiker und Glücksritter aus der Partei gehalten werden. „Es sind ja nicht die rechten Tendenzen, die eine junge Partei kaputt machen“, sagt Pretzell. „Es sind die Irren. Und von denen gibt es viele.“ Der Applaus für Pretzell ist mäßig. „Wir wollen die Fähigen finden und vernetzen, um mit uns an politischen Zielen zu arbeiten“, sagt auch Petry später. „Viele von denen wollen nicht in eine Partei eintreten.“
Wie AfD, nur weichgespült
Die politischen Positionen, die Frontfrau Petry dann vorstellt, entsprechen in vielen Punkten jenen der AfD. Der Unterschied: Sie werden weichgespült präsentiert. „Mit der AfD wird niemand koalieren“, sagt die ehemalige Parteichefin ganz offen. „Wir müssen das Programm so formulieren, dass es für mehr Bürger zustimmungsfähig ist.“ Das könne man an keinem Punkt deutlicher sehen als an der Diskussion über den Islam. „Wir können nicht sagen, dass alle Muslime in Deutschland mit dem Grundgesetz nicht kompatibel sind“, sagt Petry im Waldschlösschen. Das aber sei bei den Leuten angekommen. „Wir müssen sagen: Die Mehrheit derjenigen, die diese Religion lebt, hat in der Tat mit dem Grundgesetz ein Problem. Wir sollten ihnen aber nicht die Fähigkeit absprechen, sich Grundgesetz-kompatibel zu verhalten.“ Ihre Formulierung verhindere, dass man viele verliere, die die Kritik am Islam eigentlich teilen.
Es geht Petry und ihren Mitstreitern also weniger um eine Abgrenzung von den Inhalten der AfD, als um eine andere Rhetorik. Und: Man will sich von den Rechtsaußen der Partei die eigenen Machtoptionen nicht verbauen lassen. Ein Problem ihrer alten Partei sei, sagt Petry nach der Veranstaltung im Gespräch mit der taz, „dass Leute wie Björn Höcke oder Jens Maier nicht aus der Partei gewiesen wurden, obwohl sie praktische Politik am Parteiprogramm vorbei gemacht haben. Am Wahlkampfstand ging es dann um die Rechtfertigung dessen, was Herr Höcke oder Herr Maier wieder losgelassen haben und nicht um unsere Politik. Wir wurden von diesen Personen letztlich politisch vergewaltigt. Ich bin nicht mehr bereit, das zu decken.“
An einem Punkt aber setzt Petry sich auch inhaltlich von ihrer Ex-Partei ab. „Die AfD ist wirtschaftspolitisch auf dem Weg nach links und ansonsten eine nationale Partei, man kann das sozialpatriotisch nennen“, sagt Petry. Dafür stehe sie nicht.
Spiel auf Zeit
Aus dem Publikum im Meißener Waldschlösschen kommt viel Zustimmung, doch es gibt auch Zweifel an den Erfolgsaussichten des Projekts. „Bis zur nächsten Wahl ist relativ wenig Zeit“, sagt ein Mann, der aus Berlin angereist ist. Ob man das überhaupt schaffen könne? Im Sommer 2019 wird in Sachsen gewählt.
Uwe Wurlitzer, der ehemalige Geschäftsführer der sächsischen AfD und ein treuer Mitstreiter Petrys, versucht jetzt Zuversicht zu verbreiten. Vor der letzten Landtagswahl sei die Ausgangslage schlechter gewesen. Damals hätte man weniger Zeit und keine Erfahrung gehabt, man habe Fehler gemacht. Jetzt hätten sich in Sachsen bereits 300 Leute für die blaue Wende registriert, mehr als damals bei der AfD. „Hinzu komm fünf Landtagsabgeordnete, die sich voll einbringen werden und die Gehör im Landtag haben.“
Damals aber, könnte man entgegen, gab es auch noch keine AfD, die im Landtag mit neun Abgeordneten noch immer eine Fraktion bildet, während die Blauen es gerade zu einer Gruppe mit weit weniger Rechten geschafft haben. Ohnehin sind Petry bundesweit bislang weit weniger Abgeordnete gefolgt, als sie wohl gehofft hatte. Die sächsische AfD ist nach ihrem Abgang zwar personell geschwächt, der Landesverband wird derzeit von einem Notvorstand geführt, doch strukturell ist die AfD in Sachsen gut verankert. Und viele Anhänger nehmen Petry ihren Abgang übel.
Im Waldschlösschen sitzen zwei Männer und eine Frau in der letzten Reihe, sie verfolgen den ganzen Abend ohne eine Gefühlsregung. Doch gegen Ende meldet sich die Frau. Sie habe den ganzen Wahlkampf über das Plakat von Petry mit ihrem Baby an ihrem Gartenzaun gehabt, sagt sie, weil sie die AfD unterstütze. Doch jetzt sei sie sehr enttäuscht. „Die Schicksalsfrage ist doch: Werden wir die Invasion überleben?“ sagt sie und meint wohl den Einreise der Flüchtlinge damit. „Das letzte was wir brauchen, ist noch mehr Spaltung.“ Das dürften viele in der AfD ähnlich sehen.
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