Asylverfahren in Berlin: Herzlich unwillkommen

Flüchtlingsrat kritisiert, mit dem „Ankunftszentrum“ in Hangar 2 betreibe Berlin eine gewollte Abschreckung von Asylbewerbern. Die Linken-Chefin widerspricht.

Flüchtlingskind im November 2016 in Hangar 2 des früheren Flughafen Tempelhof Foto: dpa

Der Flüchtlingsrat erhebt schwere Vorwürfe gegen Sozialsenatorin Elke Breitenbach, weil das sogenannte Ankunftszentrum in Hangar 2 des früheren Flughafens Tempelhof nicht wie die Notunterkunft in den Hangars 6 und 7 geschlossen wird. Mit dem Weiterbetrieb dieses „Sonderlagers“ mache sich die Linke „politisch unglaubwürdig“, erklärte Flüchtlingsrats-Sprecher Georg Classen anlässlich des Umzugs der letzten 170 BewohnerInnen der Notunterkunft in das neue Containerdorf auf dem Feld.

„Das Ankunftszentrum ist ein gewolltes Abschreckungssignal“, so Classen. Es gebe inzwischen genug freie Plätze in regulären Flüchtlingsheimen. Durch die menschenunwürdige Unterbringung im Hangar und die teils in drei Tagen im Schnellverfahren durchgezogenen Asylverfahren würden „die Asylchancen der oft traumatisierten Menschen bewusst gemindert“.

Ankunftszentren für Asylbewerber gibt es in der ganzen Bundesrepublik. In Berlin besteht dieses Zentrum aus zwei Teilen: zum einen der vom Land verantworteten Unterbringung neuer Asylbewerber im ehemaligen Flugzeughangar (seit September 2016), zum anderen dem von Land und Bund gemeinsam betriebenen „Behördenzentrum“ in der Wilmersdorfer Bundesallee. Dort sitzen Landesflüchtlingsamt (LAF), Polizei, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Ausländerbehörde und Jobcenter Tür an Tür.

„Bei Menschen mit sehr guter Bleibeperspektive sowie Antragstellenden aus sicheren Herkunftsländern mit eher geringen Bleibeaussichten kann in der Regel vor Ort innerhalb weniger Tage angehört und über den Asylantrag entschieden werden“, erklärt das BAMF auf seiner Webseite das Konzept der Zentren. Wie aus der Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Abgeordneten Canan Bayram von April hervorgeht, waren das von September 2016 bis März 2017 rund 21 Prozent aller Asylverfahren. Die restlichen Verfahren dauern länger, etwa wenn der Betreffende einen Anwalt hat, erkennbar krank ist oder das BAMF den Fall nicht sofort entscheidet.

Unabhängige Asylberatung nötig

Der Flüchtlingsrat fordert nicht nur, dass Hangar 2 aufgelöst und Flüchtlinge vom ersten Tag an in regulären Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, sondern dass sich Berlin nicht mehr am Schnellverfahren beteiligt. Geflüchtete müssten erst einmal zur Ruhe kommen und eine unabhängige Asylberatung in Anspruch nehmen können, bevor sie zum Interview beim BAMF gebracht würden, so Classen.

Dieses Interview ist entscheidend für jedes Asylverfahren, dort muss der Geflüchtete seine Gründe für die Flucht vorbringen. Während Asylbewerber früher oft Monate auf ihre Anhörung beim BAMF warteten und sich mithilfe staatlich unabhängiger Beratungsstellen oder Anwälte – zumindest theoretisch – darauf vorbereiten konnten, fehlt Geflüchteten im Schnellverfahren, das laut Flüchtlingsrat seit September 2016 für alle neu in Berlin ankommenden Asylsuchenden Standard ist, dazu Zeit und Gelegenheit. „Inzwischen haben alle Asylbewerber ein Interview binnen ein bis fünf Tagen“, kritisiert Classen. Sie bekommen lediglich in einer Kurzberatung durch den LAF-Sozialdienst eine Liste mit Beratungsangeboten – wann sie in der kurzen Zeit dorthin gehen sollen, ist unklar.

Geflüchtete bekommen nur eine Liste mit Beratungsangeboten

Das sei ein Problem, sagt auch Bayram, die noch flüchtlingspolitische Sprecherin der grünen Abgeordnetenhaus-Fraktion ist, aber in den Bundestag gewählt wurde. Wenigstens brauche es dann eine unabhängige Beratung, findet die Anwältin. Bis September kamen immerhin ehrenamtlich arbeitende Anwälte ins „THF-Café“ in Hangar 1. Doch dem Café wurde vom LAF gekündigt. Warum, will Bayram am morgigen Donnerstag im Integrationsausschuss von der Sozialverwaltung erfragen.

Asylverfahren wieder entschleunigen?

Katina Schubert, Landesvorsitzende der Linkspartei und flüchtlingspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, versucht der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ab kommendem Jahr sei im Haushaltsplan, so er denn in der kommenden Woche vom Parlament verabschiedet werde, die Finanzierung einer unabhängigen Asylverfahrensberatung direkt im Ankunftszentrum vorgesehen, sagte sie am Dienstag der taz.

Nach taz-Information sind dafür in 2018 und 2019 jährlich je 200.000 Euro vorgesehen. „Wir wollen, dass die Leute vernünftig beraten werden. Das braucht dann aber genügend Zeit“, so Schubert. Daher werde Berlin auch gegenüber dem Bund darauf hinwirken, dass die Asylverfahren „wieder entschleunigt“ werden. Weil dieser aber genau das Gegenteil wolle, „wird es Konflikte geben“, so Schubert.

Einigkeit sieht sie mit dem Flüchtlingsrat auch in der Frage des Standorts des Ankunftszentrums. „Dass es verlegt werden soll, ist der klare Wille der politischen Führung“, sagte Schubert. Karin Rietz, die Sprecherin von Breitenbach, bestätigte der taz, man sei bereits seit längerer Zeit auf der Suche. „Die bisherigen von uns geprüften Standorte haben sich zerschlagen, wir prüfen aber weitere Optionen“, so Rietz.

Classen gibt sich damit nicht zufrieden: „Hier wird ein Notstand inszeniert, um Leute abzuschrecken.“ Er wisse von Menschen, die lieber untertauchen, als in Hangar 2 um Asyl zu ersuchen.

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