Vorwürfe gegen Harvey Weinstein: Netz der Vertuschung
Ein Jahr lang soll der Filmproduzent versucht haben, Missbrauchsvorwürfe gegen sich zu unterdrücken. Seine Rechnung ist nicht aufgegangen.
Am Ende hat es nichts genützt. Ein Jahr lang soll Harvey Weinstein versucht haben, seine Anklägerinnen ausfindig zu machen und ruhig zu stellen. Seit Herbst 2016 soll der Filmproduzent Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs und der Vergewaltigung gegen ihn unterdrückt und Journalisten, die über ihn recherchierten, unter Druck gesetzt haben. Und trotzdem konnte er die Veröffentlichungen nicht aufhalten.
Anhand etlicher Zeugenaussagen und ihm vorliegenden Dokumenten verdeutlicht der Journalist Ronan Farrow im New Yorker, wie viel Einfluss Weinstein anscheinend auf die einzelnen Betroffenen genommen hat. Offenbar dachte er bis zuletzt, dass er die Geschichten seiner vielfachen Belästigungen und körperlichen Gewalt unterdrücken könnte. Stunden bevor die New York Times ihren Artikel am 5. Oktober veröffentlichte, sei Weinstein in Panik ausgebrochen, berichtet seine ehemalige Angestellte Pamela Lubell.
Nach der Veröffentlichung soll sein Team über Fotos gehangen haben, die den fortwährenden Kontakt Weinsteins mit den betroffenen Frauen bewiesen, so Lubell. „Schickt die an die Vorstandsmitglieder“, soll Weinstein geschrien haben. Der nie abgebrochene Kontakt mit den Frauen sollte demnach der Beweis dafür sein, dass die Anschuldigen gegen ihn nicht stimmen.
Schon ein Jahr zuvor soll Weinstein private Sicherheitsagenturen damit beauftragt haben, Informationen über die Frauen und Journalisten zu sammeln, die die Vorwürfe öffentlich machen könnten. Ronan Farrow hat dutzende Dokumente ausgewertet und mit sieben Menschen gesprochen, die direkt in die Vertuschungsoffensive involviert waren. Zu den Firmen, die Weinstein angestellt hat, gehören laut Farrow die Sicherheitsberatungsfirma Kroll Inc. und das Unternehmen Black Cube, bei dem viele ehemalige Agenten des Mossad und anderer israelischer Geheimdienste arbeiten.
Treffen verdeckt mitgeschnitten
Zwei Black-Cube-Angestellte nutzten offenbar gefälschte Identitäten, um näher an die Schauspielerin Rose McGowan zu kommen und ihr Informationen zu entlocken. Eine der beiden soll sich als Frauenrechtlerin mit dem Namen Diana Filip ausgegeben haben. Sie soll sich des Öfteren mit McGowan getroffen haben. Filip sei „sehr liebenswürdig“ gewesen, sagt McGowan später. Laut Farrow schnitt Filip mindestens vier der Treffen versteckt mit.
Filip hatte unter anderem Namen offenbar auch Kontakt mit dem Journalisten Benjamin Wallace, der für das New York-Magazin auch zum Fall Harvey Weinstein recherchierte. Nach zwei Treffen sei er misstrauisch geworden, sagt Wallace. Filip habe viel über seine Recherchen wissen wollen, ohne ihm selbst hilfreiche Hinweise geben zu können. Die Black-Cube-Angestellte soll auch versucht haben, andere Journalisten zu kontaktieren – darunter auch Ronan Farrow selbst.
Das klar gesteckte Ziel des Einsatzes: die Veröffentlichung der Missbrauchsvorwürfe aufzuhalten. So soll es auch in einem Vertrag mit Black Cube gestanden haben, schreibt Ronan Farrow. Weinstein soll die Firmen angewiesen haben, Informationen über dutzende Einzelpersonen zu sammeln und psychologische Profile zu erstellen, die ihm später helfen sollten. Farrow zufolge hat Weinstein den Fortschritt der Operation selbst überwacht.
Ohne Einverständnis aufgezeichnete Gespräche
Auch Weinsteins Anwälte sollen in die Nachforschungen verwickelt gewesen sein. So zum Beispiel David Boies: Am 28. Oktober 2016 soll Boies Anwaltsfirma 300.000 Dollar an Black Cube überwiesen haben, schreibt Farrow nach Auswertung der ihm offenbar vorliegenden Dokumente. Die beiden Firmen sollen verschiedene Verträge unterzeichnet haben.
In einem von Boies unterschriebenen Vertrag vom 7. Juli 2017 sei das Hauptziel der Operation festgelegt worden: die Veröffentlichungen aufzuhalten. Für die erfolgreiche Erfüllung dieses Ziels sollten laut Vertrag zusätzliche Gelder fließen. Black Cube würde weitere 300.000 Dollar erhalten, wenn es „Informationen liefert, die direkt dazu beitragen, dass die Veröffentlichung des Artikels in jedweder Art und Weise komplett verhindert wird“, so Farrow.
Das Unternehmen bekäme zudem zusätzlich 50.000 Dollar, wenn es die zweite Hälfte von Rose McGowans Buch in lesbarer und legaler Weise für ihn zugänglich mache. Dabei ging es wohl um McGowans Autobiografie „Brave“, die im Januar erscheinen soll.
Unter Druck gesetzt oder diskreditiert
Er habe Weinstein von Anfang an gesagt, dass „die Geschichte nicht durch Drohungen oder Beeinflussung gestoppt“ werden könne, sagte Boies zu Farrow. „Der einzige Weg sie zu stoppen, ist die Times davon zu überzeugen, dass es keine Vergewaltigung gab.“ Boies will selbst keine Journalisten unter Druck gesetzt haben. Er gibt gegenüber Farrow aber zu, dass auch er sich nicht richtig verhalten hat: „Rückblickend wusste ich schon 2015 genug, um ein Problem zu erkennen und etwas dagegen zu tun.“ Boies wisse nicht, ob es nach 2015 noch weitere Missbrauchsfälle gab. Aber falls etwas geschehen sei, sei auch er dafür mitverantwortlich.
Das von Ronan Farrow aufgedeckte Netz enthält viele weitere Versuche Weinsteins, die von ihm belästigten und angegriffenen Frauen zum Schweigen zu bringen. Es beinhaltet persönliche Details und ohne Einverständnis aufgezeichnete Gespräche. Für den Fall, dass sie sich nicht unter Druck setzen ließen, sollten die Frauen bestmöglich diskreditiert werden, damit man ihnen keinen Glauben schenkt. So hätte Harvey Weinstein weiter Frauen unterdrücken und missbrauchen können. Seine Rechnung ist nicht aufgegangen.
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