Ex-Antifaschistisches Spiel „Wolfenstein“: Heil Heiler!
Aus „Wolfenstein II“ wurden in Deutschland alle Bezüge zu NS-Zeit und Schoah entfernt. Der antifaschistische Charakter des Spiels fehlt nun.
Auf dem Times Square prangt ein Hakenkreuz auf einem der großen Werbedisplays. Die Sterne der US-amerikanischen Flagge werden vom zentralen Symbol des Nationalsozialismus verdrängt. Die Zuschauer*innen können vor ihren Fernsehern dieser Dystopie beiwohnen. Denn es handelt sich um die Amazon-Serie „The Man in the High Castle“, die in Deutschland ohne Probleme verfassungswidrige Symbol zeigen darf.
Einem Videospiel jedoch ist dies nicht möglich. In dem Shooter „Wolfenstein II“ kämpfen die Spieler*innen mit aller Macht gegen den Faschismus. In einer künstlerisch überformten Optik werden der Nationalsozialismus und sein faschistisches Weltbild in der gesamten Präsentation des Spiels verdichtet und zum Abschuss freigegeben. In Deutschland jedoch ist es gar nicht der Nationalsozialismus. Es ist „das Regime“. Hitler gibt es hier nicht, der heißt „Herr Heiler“ – freilich ohne den markanten Schnauzbart. Das Hakenkreuz hat es auch nicht ins Spiel geschafft, es wurde durch ein Dreieck ersetzt.
Der Paragraf 86 StGB, Absatz 1, schreibt vor, dass, wer Propagandamittel verbreitet, „die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen“, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft wird. Absatz 1 gilt nicht, wenn „das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“.
Das galt bislang etwa für Filme wie „Inglourious Basterds“ und Serien wie eben „The Man in the High Castle“. Auch auf Büchern oder in Theatern darf sich mit diesen Symbolen auseinandergesetzt werden. Videospiele sind davon jedoch noch ausgenommen.
Die Shoah wird komplett getilgt
Aus „Wolfenstein II“ wurden nicht nur Hakenkreuze oder SS-Runen entfernt. Hier fehlt auch die Schoah komplett – obwohl sie in der englischen Version ausführlich vorkommt. In Deutschland ist der Protagonist B. J. Blazkowicz kein Jude, sondern Pole. Seine Mutter ist nicht als Jüdin in einem Vernichtungslager ermordet worden, sondern als Polin in Gefangenschaft gestorben. Sämtliche Hinweise auf das nationalsozialistische Terrorregime wurden getilgt – obwohl dies nicht zwingend notwendig gewesen wäre
„Hitler hätte natürlich drinbleiben können“, sagt Marek Brunner in Berlin. Er ist Leiter des Testbereichs der USK – der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle – die Spiele vor der Veröffentlichung auf eine Altersfreigabe hin prüft. Für diese Aufgabe, sagt Brunner, würden die Prüfer durch die Welt reisen, um Entwickler und Publisher zu beraten und ihnen die deutsche Gesetzeslage zu vermitteln.
„Es herrscht eine Grundverunsicherung. Gesetzestexte sind sehr unscharf formuliert.“ Daher gebe es oftmals eine Schere im Kopf. Viele würden denken, dass sie in Deutschland Nazis gar nicht nennen dürfen. Das könnte ein Grund dafür sein, dass aus „Wolfenstein II“ nicht nur alle nationalsozialistischen Symbole, sondern überhaupt jeglicher Bezug zum Nationalsozialismus und zur Schoah entfernt wurden.
Beim Gespräch mit Brunner sitzt auch Jörg Friedrich am Tisch. Er arbeitet gerade mit einem Freund an dem Spiel „Through the Darkest of Times“. Darin geht es um den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Berlin. Auch er wird wohl keine Hakenkreuze zeigen. Zwar bestünde die Möglichkeit, dass sein Spiel unter die sogenannte Sozialadäquanz fiele, die verbotenen Symbole in seinem Spiel also der Aufklärung dienten. Doch sei die Gefahr viel zu groß.
Jüdische Helden: Fehlanzeige
„Wer kann einem denn sagen, dass wir wirklich damit durchkämen?“ Wäre dem nicht so, müssten sie damit rechnen, von digitalen Verkaufsplattformen gelöscht zu werden. „Und dann sind da natürlich noch die Schlagzeilen. „Das sind die, die Hakenkreuz erlauben wollen“, könnte es dann in den Medien heißen.“ Denn in Deutschland, da sind sich Marek Brunner und Jörg Friedrich einig, herrsche ein großer Kulturpessimismus.
Videospielen wird noch immer mit sehr viel Skepsis begegnet. Ein „Ja, dürfen die das?“ herrscht auch in der medialen Berichterstattung noch oft vor. So ist es vielleicht verständlich, dass bei „Wolfenstein II“ entschieden wurde, alles, was explizit an den Nationalsozialismus erinnert, zu entfernen. „Man wollte wahrscheinlich nicht anecken. Lieber die Gesellschaft schonen als die Spieler“, mein Marek Brunner.
„Der Hersteller hätte der deutschen Kultur einen Gefallen tun und mit einer großen Rechtsabteilung ein veraltetes Gesetz zurückweisen können. Stattdessen wurde es nun sogar noch bestärkt.“ Davon ist Shalev Moran überzeugt. Der jüdische Game-Designer unterrichtet narratives Design im Games-Programm des Shenkar College in Israel. Ende November wird er über moderne Spiele aus einer kunstgeschichtlichen Perspektive bei der B3 Biennale des bewegten Bildes in Frankfurt sprechen. Er antwortet auf die Anfrage per E-Mail. Verstehen kann er nicht, wieso aus der deutschen Version auch noch die Juden entfernt wurden. „Das beleidigt doch eher die Juden als alle anderen“, sagt er.
In Israel würde die „Wolfenstein“-Reihe seit der Neuauflage im Jahr 2014 übrigens gar nicht mehr verkauft – obwohl die alten Teile dort viele Fans hätten. Das sei aber eine Entscheidung des Herstellers gewesen. Denn in Israel gibt es kein Gesetz, das Darstellungen des Nationalsozialismus verbietet. Die deutsche Rechtsprechung versteht er nicht. „Kein Medium sollte mehr oder weniger gefährlich als ein anderes eingeschätzt werden.“
Kein Vertrauen in die Kunst des Spiels
Dieser Meinung ist auch Veve Jeffe. Die jüdische Game-Designerin lebt in Deutschland. „Für mich ist jüdische Geschichte und Tradition eine große Inspiration“. Momentan arbeitet sie an einem „Virtual Reality“-Projekt in dem Spieler*innen die Kämpfer*innen des jüdischen Widerstands im Zweiten Weltkriegs begleiten. „Kaum je werden Juden während dieser Zeit als ihre eigenen Retter und als Helden dargestellt“. „Wolfenstein II“ habe ihr diese Erfahrung gegeben. „Ein Jude, eine Person of Color und viele andere Menschen, die vom Nationalsozialismus als Untermenschen angesehen wurden, schlagen in diesem Spiel zurück, sie sind wehrhaft.“
Gerade in der heutigen Zeit wäre eine solche Botschaft wichtig gewesen – auch in Deutschland. Doch stattdessen müssen explizite Symbole entfernt werden und werden jüdische Figuren direkt gestrichen. „Den Deutschen nicht einmal zu erlauben, sich mit der Botschaft des Spiels uneingeschränkt auseinanderzusetzen, das ist doch eine verpasste Chance.“
Der Hersteller von „Wolfenstein II“, ZeniMax, sagt auf Nachfrage, seit 2014 sei das Spiel in Deutschland in einem fiktiven Szenario angesiedelt. Man wolle das nationalsozialistische Regime nicht verharmlosen.
Genau diese Angst wird es dann wohl auch gewesen sein, die dazu führte, das Judentum in dem Spiel zu verschweigen. Das ist schade – und sollte zu einer öffentlichen Debatte führen: Wann endlich trauen wir Videospielen mehr zu?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht