Sonderverkaufstag bei Alibaba: 22 Milliarden gegen die Einsamkeit
Mit Rabatten wollte die chinesische Handelsplattform Alibaba ursprünglich die vielen Singles im Land über ihr Alleinsein hinwegtrösten.
Trotzdem fiebert sie mit. „Der Countdown gehört doch zum Singles’ Day dazu“, sagt sie. Und wenn dann nach Mitternacht bei der Live-Übertragung gezeigt wird, wie viel Umsatz der chinesische Internetgigant Alibaba über seine Handelsplattformen wie Tmall und Taobao in den ersten Stunden gemacht hat, wird auch ihre Bestellung darin enthalten sein. „Das gibt einem das Gefühl, dabei zu sein, wenn ein neuer Rekord gebrochen wird“, sagt Li Mei.
Mit einer Riesenparty auf dem Schanghaier Expo-Gelände stimmt der chinesische Internetgigant Alibaba in der Nacht zum gestrigen Sonnabend auf Chinas wichtigsten Onlineverkaufstag ein. US-Sänger Pharrell Williams gibt sein Debüt im Reich der Mitte. Hollywood-Star Nicole Kidman ist dabei. Sie und viele chinesische Stars treten gemeinsam mit Alibaba-Gründer Jack Ma in einer Fernsehgala auf, die die chinesischen Staatssender landesweit übertragen.
Die Feier ist eine gigantische Verkaufsshow. Alle paar Minuten wird Werbung eingeblendet. Pünktlich ab Mitternacht rast auf einer riesigen Leinwand eine digitale Uhr mit neun Ziffern los, so schnell, dass die letzten vier Zahlen nicht mehr zu erkennen sind (Foto). Der Rekord wird gebrochen.
20 Jahre alte Tradition
Nach den ersten zwei Stunden hat Chinas Internetgigant Alibaba über seine diversen Handelsplattformen Waren im Wert von umgerechnet mehr als 10 Milliarden Euro umgesetzt. Bis zur Mittagszeit am Samstag liegen die Verkäufe bei 15,7 Milliarden Euro – mehr als am gesamten 11. November 2016. Am Ende sind es 22,86 Milliarden Euro. „Ein absoluter Rekord“, sagt Alibaba-Präsident Daniel Zhang. Und 92 Prozent der Kunden hätten per Smartphone eingekauft.
Den „Tag der Singles“ am 11. 11. gibt es in China schon seit mehr als 20 Jahren. Weil das Datum an diesem Tag nur aus Einsen besteht, hatten chinesische Studenten ihn in den späten neunziger Jahre zu einer Art Anti-Valentinstag erkoren, um mit Single-Partys oder Blind Dates aus der Not eine Tugend zu machen. Denn Singles gibt es in der Volksrepublik eine Menge. Über 143 Millionen Chinesen gelten offiziell als alleinstehend. Sie machen 11 Prozent der chinesischen Gesamtbevölkerung aus.
Und das in einem Land, in dem Ehe und Familie einen hohen Stellenwert haben. Vor allem Männer zwischen 30 und 40 haben es heutzutage schwer, eine Partnerin fürs Leben zu finden. Die erst vor zwei Jahren abgeschaffte Einkindpolitik lässt grüßen. Ihre Einführung vor knapp 35 Jahren hat zu einem erheblichen Männerüberschuss geführt. Auf 100 Frauen kommen 117 Männer.
Alibaba-Gründer Jack Ma griff die Idee auf und machte sich Gedanken, wie er aus dem Tag der einsamen Herzen Profit schlagen könnte. Und was kann im modernen China besser über Einsamkeit hinwegtrösten? Ausgiebiges shoppen.
Die Vorbilder verblassen
Alibaba bat vor acht Jahren zum ersten Mal sämtliche Anbieter auf seinen Handelsplattformen darum, für exakt 24 Stunden den Kunden hohe Preisnachlässe zu gewähren. Ein Jahr später stiegen auch andere Internethändler und selbst herkömmliche Kaufhäuser ein – die Rabattschlacht war geboren.
2014 gaben die chinesischen Konsumenten erstmals mehr aus, als an den US-Vorbildern Black Friday und Cyber Monday zusammen umgesetzt wird. Händler in den USA läuten an diesen beiden Tagen rund um das Thanksgiving-Wochenende mit Rabatten das Weihnachtsgeschäft ein.
In China hat Weihnachten keine Bedeutung. Dennoch lag der Wert der verkauften Waren im vergangenen Jahr bereits bei über 15 Milliarden Euro – und damit fast dreimal so hoch wie beim Black Friday und Cyber Monday in den USA. In diesem Jahr werden es am Ende des Tages in China über fünfmal so viel sein.
Alibaba selbst ist in China vor allem mit seinen Diensten wie Taobao und Tmall groß geworden. Taobao ist eine Art riesiges Internetkaufhaus für Kleinanbieter. Darauf findet sich so ziemlich jeder Konsumartikel, den es auf der Welt gibt. Tmall bietet Unternehmenskunden eine Plattform. Auch ohne Single Day sind diese beiden Handelsplattformen im ganzen Land äußerst beliebt und machen im Heimatland mehr Umsatz als Amazon und Ebay weltweit zusammen. Amazon und Ebay selbst spielen in China kaum eine Rolle. Amazon rangiert unter den Onlinehandeldienstleistern weit abgeschlagen auf dem fünften Platz. Ebay ist schon lange nicht mehr in China präsent.
Drei Millionen Paketboten
Der 11. November steht in China denn auch nicht mehr länger nur für ungezügelten Konsum, sondern hat sich zu einem Tag der Superlativen gemausert – zur Freude der Konsumindustrie weltweit. Mehr als 150.000 verkaufte Rasierer innerhalb der ersten Stunde dürften in diesem Jahr Philips, Braun und Panasonic begeistern. Haier, Midea, Sharp, Bosch-Siemens und andere Hausgerätehersteller verkauften in derselben Zeit mehr als 100.000 Mikrowellen. Die Umsätze von Smartphones stiegen in der ersten Stunde um über 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die von Lebensmitteln um 350 Prozent. Über seine eigenen Lebensmittelanbieter hat Alibaba eigenen Angaben zufolge bis Samstagnachmittag allein zwei Millionen Krabben an seine Kunden verschickt.
Mehr als 140.000 Marken machen in diesem Jahr allein auf den Alibaba-Plattformen mit, darunter 60.000 Marken aus dem Ausland. Die chinesische Post rechnet damit, dass in den nächsten Tagen das Personal von Logistikunternehmen auf mehr als drei Millionen Mitarbeiter aufgestockt werden muss, um die wahrscheinlich über eine Milliarde verschickten Pakete zum Kunden zu bringen.
Alibaba gibt zu, dass diese hohen Zahlen nicht zuletzt deswegen zustande kommen, weil viele Verbraucher ihre seit Monaten geplanten Einkäufe bewusst auf den 11. November geschoben haben, um die Rabatte des Singles’ Day mitzunehmen. So auch Li Mei. Sie hat in ihrem Warenkorb unter anderem eine Nintendo Switch, einen Thermomix, jede Menge Kleidung, einen Jahresvorrat an Gesichtscreme sowie eine Flugreise nach Amsterdam. Denn auch internationale Fluggesellschaften machen beim Singles’ Day mit und haben ihre Preise gesenkt.
Gigantisches Eigenlob
Alibaba berichtet über einen Bauer aus der Provinz Jiangxi, der in seinem Heimatdorf gesalzene Enteneier herstellt und sie lange Zeit nur im eigenen Dorf verkauft hatte. Alibaba gewährte ihm einen Kredit. Mit dem Geld konnte er sich eine Verpackungsmaschine anschaffen, die den Onlineversand ihrer Enteneier ermöglichte. Er machte am Samstag einen Umsatz von 1,4 Millionen Yuan, rund 180.000 Euro.
Für großes Aufsehen wiederum sorgte in den sozialen Medien das Angebot eines chinesischen Schnapsherstellers, der für 11.111 Yuan (umgerechnet etwa 1.500 Euro) den ersten 99 Käufern einen lebenslangen Vorrat seines Baijius verspricht. Wer es unter die Auswahl schafft, darf sich über monatliche Lieferungen von jeweils zwölf Kisten à zwölf Flaschen dieses hochprozentigen Reisschnapses freuen. Und sollten sie in den nächsten fünf Jahren sterben, werde das Lieferrecht automatisch an ein Familienmitglied übertragen. Der Hersteller versicherte: Single muss der Käufer nicht sein.
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