Keine artgerechte Haltung: Auswüchse des Systems
Die Tierrechtsorganisation Peta hat einen Landwirt aus Melle angezeigt. Kranke Tiere sollen unbehandelt geblieben sein.
„Das sind vollkommen beratungsresistente Leute, die systematisch ihre Tiere quälen“, sagt Peta-Sprecher Edmund Haferbeck. Schon 2012 hatte Peta den Landwirt wegen Tierschutzverstößen angezeigt. Die Folge war ein Bußgeld. „Die Tierhaltung hat sich nicht geändert“, sagt Haferbeck über den Betrieb, in dem laut dem Veterinäramt in Osnabrück je nach Mastzyklus rund 770 Schweine und 14.000 Enten leben.
Die aktuellen Videoaufnahmen zeigen weitere Missstände. Einige Enten sind so geschwächt, dass sie auf dem Rücken liegen und nicht allein wieder aufstehen können. Im Schweinestall haben viele Tiere Verletzungen. Ein Schwein hat einen handballgroßen eitrigen Abszess am Hals, der Schwanz eines anderen ist bis auf den Stumpf abgebissen. Die Tiere sind trotzdem mit anderen Schweinen in einem Gehege, statt sich in einer Krankenbucht zu erholen.
„Es gab fast keine Beschäftigungsmaterialien für die Tiere“, sagt Haferbeck. Nicht einmal an die seiner Meinung nach zu laschen Tierschutzgesetze halte sich der Landwirt aus Melle.
Der Vorsitzende der tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, Thomas Blaha, kritisiert die Vorgehensweise von Peta. Statt in die Ställe einzubrechen, sollten die Tierschützer bei einem Verdacht lieber das Veterinäramt informieren, sagt er. Bei der Analyse des Videomaterials kommt der Tierarzt jedoch zum gleichen Schluss wie Peta: „Das ist eine hochgradig mangelhafte Tierbetreuung.“ Ein Landwirt müsse zweimal am Tag durch seinen Stall gehen und schwache oder kranke Tiere separieren.
„Wieso ist ein solches Tier mit einem solchen Abszess noch bei den anderen Tieren in der Bucht und offensichtlich nicht behandelt worden?“, fragt Blaha, als er das Schwein mit dem Abszess im Video sieht. „Das ist die eigentliche Tierschutzwidrigkeit.“
Der Entenstall sehe nach Betrachtung der Bilder und des Videos hingegen „ganz in Ordnung aus“. Dort ist zu sehen, dass der Boden mit Stroh ausgelegt ist. Und auch das Bild des rund zu einem Drittel mit toten Enten gefüllten Mülleimers weise nicht unbedingt auf einen Missstand hin: „Was da drin liegt, ist für einen Bestand dieser Größe normal“, sagt er.
Dennoch hätten laut dem Tierarzt die schwachen Pekingenten vom Landwirt herausgenommen werden müssen, um ihre Mangelernährung zu behandeln.
Der landwirtschaftliche Betrieb ist dem Veterinäramt Osnabrück lange bekannt. Der Landkreis stuft den Betrieb als „verstärkt zu überwachende Haltung“ ein. Seit 2012 sind den Veterinären bei insgesamt 21 teils unangekündigten Kontrollen verschiedene Mängel aufgefallen. Es fehlten Trinkwasserzugänge, kranke Tiere wurden nicht ausreichend versorgt, und es gab Probleme mit der Einstreu. Der Landwirt, der für diesen Artikel telefonisch nicht zu erreichen war, verbesserte einiges, aber nicht genug. Die Behörde verhängte auch 2015 ein Bußgeld gegen ihn.
Sollte sich bestätigen, dass es sich um ein Wiederholungsvergehen handele, dürften Geldbußen allein nicht mehr ausreichen, sagt der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne). „Gegebenenfalls muss dann auch eine Sperrung des Betriebes in Betracht gezogen werden.“
Es sei jedoch zunächst Aufgabe der Gerichte, den Verdacht zu prüfen. Meyer sieht in den Missständen einen Fehler im System: Solche Zustände zeigten die Auswüchse der ungeregelten Verhältnisse in der Massentierhaltung. „Auf Bundesebene muss jetzt endlich ein Tierschutzgesetz entstehen, das seinen Namen verdient“, so der Minister. „Für die Entenhaltung sind zum Beispiel ein permanenter Wasserzugang und klare Vorgaben gegen Qualzucht gesetzlich vorzuschreiben.“
Von den Behörden vor Ort erwarte er, bei Kontrollen konsequent vorzugehen, sagt Meyer. Eben das hat der Landkreis Osnabrück vor: „Es wurden Voraussetzungen geschaffen, dass jährlich rund 600 zusätzliche Tierschutzkontrollen in Nutztierhaltungen durchgeführt werden können“, sagt Burkhard Riepenhoff, der Sprecher des Landkreises. Dafür seien drei zusätzliche Stellen eingerichtet worden. Davon erhoffe man sich auch eine präventive Wirkung bei anderen Haltern.
Im aktuellen Fall muss nun jedoch zunächst die Staatsanwaltschaft ermitteln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml