Obdachlose im Berliner Tiergarten: Der Parkwächter der Grünen
Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, will aggressive Obdachlose aus dem Tiergarten abschieben und erntet scharfe Kritik.
Unter dem Dachvorsprung des Gemeindehauses liegen am Montagmittag zwei Schlafsäcke. Die beiden Menschen darin schlafen tief. Ringsherum Müll. Verpackungen, aufgeweichte Klamotten, Decken, Matratzen.
Der nördliche Bereich des Tiergartens nahe der evangelischen Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche ist zu einem Schlafplatz für Obdachlose geworden. Im Gebüsch auf der einen Seite der Kirche übernachteten Flüchtlinge aus Afghanistan, auf der anderen Seite Osteuropäer, erzählt der ehrenamtliche Küster. Viele seien drogenabhängig, gingen auf den Strich und lebten von Beschaffungskriminalität.
Ist die Lage im Tiergarten tatsächlich außer Kontrolle, wie der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, am Freitag laut Medienberichten sagte? Der Grünen-Politiker hatte Alarm geschlagen: Der Park werde mehr und mehr zur „rechtsfreien Zone“. Um das ändern zu können, brauche der Bezirk Geld vom Senat, etwa für mehr Personal beim Ordnungsamt, so von Dassel. Am problematischsten sei eine Gruppe von überwiegend osteuropäischen Obdachlosen, die sehr aggressiv reagierten. „Diese Menschen haben hier kein Bleiberecht. Berlin muss sich ehrlich machen und die Abschiebung ernsthaft prüfen.“
Die meisten Probleme mit Obdachlosen im Tiergarten habe man im Abschnitt Nord und in dem Gebiet am Schleusenkrug, erzählt am Montag auch ein Mitarbeiter des Grünflächenamts Mitte. In einem Kleinlaster ist er zusammen mit zwei Kollegen unterwegs, um Schäden von Sturm „Xavier“ zu beseitigen. Obdachlose im Tiergarten habe es auch früher gegeben, erzählt ein Jüngerer des Gartenbautrupps.
Aufgeregte Debatte nach dem Mord
Wenn sie ihren Schlafsack auf einer Parkbank ausrollen, dagegen habe keiner was. Aber jetzt sei es so: „Sie nisten sich im Gebüsch ein und vermüllen das ganze Gelände.“ Ein Sofa und einen Sessel habe man schon fortgeschafft. Kaputte Flaschen lägen herum und gebrauchte Spritzen, „mit der Nadel dran“.
Die Obdachlosen im Tiergarten seien mehr geworden, und sie würden schneller aggressiv, berichtet auch ein Mitarbeiter des Schleusenkrugs, der seit bald zwanzig Jahren fast täglich durch den Tiergarten radelt. „Unsicherer fühle ich mich aber nicht.“ Die aufgeregte Debatte führt er auch auf den Mord im Tiergarten vor fünf Wochen zurück: Anfang September war Susanne F. im Tiergarten offenbar erwürgt worden. Der mutmaßliche Täter, ein 18-jähriger Russe, sitzt inzwischen in Berlin in Untersuchungshaft.
61 Fälle von Körperverletzungen hat die Polizei im Großen Tiergarten für 2017 bisher erfasst, 9 Raubüberfälle. Zahlen vom Bereich um den Bremer Weg lassen auch eine Steigerung der Delikte von 2016 auf 2017 erkennen.
Sollten die Behörden also tatsächlich – wie Bezirksbürgermeister von Dassel fordert – radikaler gegen Unruhestifter im Park vorgehen?
Für den Innensenator von der SPD ist die Abschiebung von Obdachlosen jedenfalls keine Option. „Soziale Probleme kann man nicht ausweisen, man muss sie lösen. Mit rein repressiven Maßnahmen wird dies nicht gelingen“, teilt Andreas Geisel am Montag mit. Er unterstütze die Forderung nach mehr Personal für die Ordnungsämter. Sein Sprecher, Martin Pallgen, betont, dass auch die Sozial- und die Gesundheitsverwaltung mit ins Boot geholt werden müssten.
Deutlich schärfere Kritik an von Dassel kommt am Montag von der SPD in Mitte. Julian Zado, stellvertretender Kreisvorsitzender, sagt: „Das sind populistische Töne, die eher rassistische Ressentiments am rechten Rand schüren. Das ist kein Beitrag zur Lösung.“ Auch die sozialpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Fatos Topaç, distanziert sich von ihrem Parteikollegen. Rot-Rot-Grün wolle mehr aufsuchende Sozialarbeit und mehr Mittel für die Wohnungs- und Obdachlosenhilfe, so Topaç. „Ich verstehe die Not der Bezirke, aber abschieben ist keine Antwort.“
So einfach sei das ohnehin nicht, sagt Rechtsanwalt Volker Gerloff, der EU-Bürger bei sozialrechtlichen Streitfragen vertritt. Wenn jemand nicht erwerbstätig ist und seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann, könne er zwar ausgewiesen werden. Allerdings müsste die Ausländerbehörde zunächst alle Daten ermitteln, eine Anhörung durchführen, einen Bescheid zustellen. „Das alles dauert mindestens ein Jahr.“ Dann könnten die Leute dagegen klagen – oder nach einer Abschiebung einfach wiederkommen.
„Alle Menschen, die so lange draußen leben, haben ihre Gründe dafür“, sagt Dieter Puhl, der Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, am Montag der taz. Man könne ihnen helfen, aber dafür brauche man mehr Fachpersonal. Puhl schlägt etwa vor, statt 1.000 Notübernachtungsplätze im Winter 2.000 Übernachtungsplätze ganzjährig einzurichten. Auch eine Krankenstation sei notwendig.
Erst mal geht es im Tiergarten in kleinen Schritten weiter. Die Pfarrerin der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche lädt am kommenden Samstag zu einer großen Putzaktion ein. Man wolle sich die Kirche „zurückerobern“, so die Pfarrerin. Am Bahndamm neben dem Schleusenkrug, wo deutsche und polnische Obdachlose in acht Zelten kampieren, sammelt ein junger Mann die Kippen vom Boden. Er sagt: „Wir haben doch selbst ein Interesse daran, dass es hier sauber ist.“
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