Anti-Aufklärung im G20-Sonderausschuss: Mantra vom guten Gipfel
Der G20-Ausschuss hat getagt. Aber statt nach Erklärungen zu suchen, weichen die Verantwortlichen aus, sobald es interessant wird.
„Wir haben immer gesagt, es wird eine Herausforderung“, sagt Innensenator Andy Grote (SPD). „Die Bundeskanzlerin hatte den Wunsch, den Gipfel in der Hansestadt zu veranstalten und wir haben das begrüßt“, sagt Staatsrat Wolfgang Schmidt. All das hat man schon tausend Mal gehört. In der Pause kommt ein Pressesprecher herüber und flüstert: „So etwas Langweiliges habe ich noch nie erlebt.“ Nach drei Stunden kommt eine Nachricht aufs Handy: Eine Abgeordnete benutzt jetzt Telegram. Die Ausschussmitglieder langweilen sich offenbar so sehr, dass sie sich Messengerdienste herunterladen.
Die Arbeit des parlamentarischen Sonderausschusses, der kein Untersuchungsausschuss ist, aber bei dem auch Abgeordnete der Opposition Akten einsehen können, soll sich in drei Phasen gliedern: die Vorbereitungen für den Gipfel, die Gipfeltage selbst und zuletzt die Konsequenzen. Bis Sommer 2018 reicht dieser sogenannte Fahrplan.
In den vergangenen Tagen hatte es Unmut unter den Ausschussmitgliedern gegeben, weil die Akten, die sie in einem Lesesaal einsehen können, zu großen Teilen geschwärzt sind. Innensenator Andy Grote (SPD) räumte zu Beginn der Sitzung ein, dass die Polizei bei der Sichtung zu offensiv vorgegangen sei und die Ausschussmitglieder beantragen könnten, Passagen wieder zu entschwärzen. Ein bisschen spät – der Rahmenbefehl für den Polizeieinsatz steht seit Donnerstag auf der Website der Welt zum Download, 40 Seiten, ungeschwärzt. Der Inhalt war allerdings ohnehin schon seit Wochen bekannt.
Der erste Teil der fünfstündigen Ausschusssitzung dreht sich um die Frage „Warum Hamburg?“. Die Abgeordneten aller Oppositionsfraktionen bohren nach, warum nicht bei der UNO in New York, warum nicht auf Helgoland, warum nicht auf Sylt? „Nein, es musste eine Großstadt sein“, beten Staatsrat Schmidt und Senator Grote mantraartig herunter, und „Ja, es mussten die Messehallen sein“, weil die besser zu sichern seien als das Rathaus.
Der zweite Sitzungsteil macht Hoffnung, interessanter zu werden: Es geht um das Sicherheitskonzept. Polizeieinsatzleiter Hartmut Dudde und Polizeichef Ralf Meyer berichten, wann sie den Auftrag bekamen – im Februar 2016 – und dass man damals noch nicht absehen konnte, wie die Mobilisierung der linken Szene anderthalb Jahre später aussehen würde.
Über die Rolle der Roten Flora gibt der Chef des Verfassungsschutzes, Torsten Voß, Auskunft. Detailliert berichtet er, wie viele Aktivist*innen bei den Vollversammlungen vor dem Gipfel in der Flora waren und wer was gesagt hat. Die Flora sei ein maßgeblicher Organisationsraum für den Protest gewesen.
Kritischen Fragen weichen die Verantwortlichen aus: Der CDU-Fraktionsvorsitzende André Trepoll merkt an, dass Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den Einsatzrahmenbefehl offenbar nie gelesen habe und auch nicht vom Polizeieinsatzleiter informiert worden sei.
An Grote gerichtet fragt er: „Als Sie die Äußerung des Bürgermeisters in der Zeitung gelesen haben, dass der Gipfel mit dem Hafengeburtstag vergleichbar sei – warum haben Sie da nicht zum Hörer gegriffen und gesagt ‚Olaf, hör mal, das wird vielleicht gar nicht so einfach?‘“
Grote sagt grummelig, er wisse jetzt nicht genau, was er über welche Äußerung des Bürgermeisters gedacht habe, und jeder habe sich eben so geäußert, wie er es für richtig gehalten habe. Dann wiederholt er ein weiteres Mantra: Zu keiner Zeit sei man zu der Einschätzung gekommen, die Sicherheit der Hamburger*innen sei nicht zu gewährleisten.
Die Linkenabgeordnete Cansu Özdemir sagt, es seien auch bei der Polizei Bedenken über den Austragungsort geäußert worden. Grote tut, als wüsste er davon nichts. Özdemir habe offenbar geheime Quellen bei der Polizei, die sie bitte offenlegen solle, ihm sei so etwas nicht bekannt.
Am Ende des Abends ist deutlich geworden, was sich spätestens mit den geschwärzten Akten abgezeichnet hat: Wie der G20-Einsatz so aus dem Ruder laufen konnte, ob die Gefahrenprognosen danebenlagen, wo die Polizei war, als die Schanze brannte, warum sie Spezialeinheiten mit Maschinenpistolen schickte und welche Schäden in Kauf genommen wurden – darüber soll dieser Ausschuss keine Erkenntnis bringen.
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