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Ziviler Ungehorsam bei Ende GeländeKein Abdruck von diesem Finger

Die Strafverfolgung der Braunkohle-Blockierer vom Wochenende wird schwierig. Die AktivistInnen hielten massenhaft ihre Identität geheim.

Fingerkuppe übergeklebt: So werden die Abdrücke unbrauchbar Foto: Malte Kreutzfeldt

Erkelenz/Berlin taz | Es war eine merkwürdige Szene, die sich am Samstagmittag im Klimacamp im Rheinland abspielte: Viele Aktivisten ruderten minutenlang mit gespreizten Fingern ihre Hände durch die Luft. Was aussah wie eine neue Meditationstechnik, war in Wirklichkeit eine Maßnahme zur Verschleierung der eignen Identität: Viele derjenigen, die sich anschließend auf den Weg zur Schienenblockade machten, hatten sich die Fingerkuppen mit Sekundenkleber bestrichen – um zu verhindern, dass die Polizei später Fingerabdrücke von ihnen nehmen kann.

Diese Strategie war offenbar erfolgreich: „Die allermeisten der festgenommenen Personen sind anonym geblieben“, sagt eine Sprecherin des Legal Teams, das die AktivistInnen rechtlich unterstützte, der taz. Sie hatten keine Ausweisdokumente dabei und konnten wegen des Klebstoffs auch nicht auf andere Weise identifiziert werden – etwa durch einen Abgleich ihrer Fingerabdrücke mit solchen aus früheren Verfahren.

Die Aachener Polizei bestätigt das: Ihren Angaben zufolge wurden während der Klimaproteste zwar 1.050 Personen festgenommen. Die Zahl der dabei festgestellten Identitäten lag aber nur „im unteren bis mittleren dreistelligen Bereich“, sagt Sprecherin Petra Wienen. Allerdings liefen die Ermittlungen noch. Der für den Einsatz verantwortliche Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach räumt ein, dass fehlende Ausweise und überklebte Finger ein Problem sind. Für unlösbar hält er es aber nicht. „Es gibt auch andere Möglichkeiten, die Identität von Personen festzustellen“, sagt er zur taz. Details nennt er nicht: „Ich bitte um Verständnis, dass wir unsere ermittlungstaktischen Möglichkeiten und Methoden nicht in der Öffentlichkeit preisgeben.“

Von den meisten anonymen AktivistInnen hat die Polizei zumindest ein Foto angefertigt, mit dessen Hilfe die Identität im Nachhinein festgestellt werden soll. Diesem Zweck dienten offenbar auch Personenkontrollen, die am Sonntag bei der Abreise der AktivistInnen aus dem Camp stattfanden.

Massenhafter ­Kleber-Einsatz für Proteste ist neu. In der Vergangenheit wurde bei politischen Aktionen in Deutschland stets davon abgeraten, die eigene Identität geheim zu halten. Denn in diesem Fall kann ein Gericht Untersuchungshaft anordnen, bis die verdächtigte Person identifiziert ist – auch wenn das beim Verdacht auf kleinere Vorwürfe wie Hausfriedensbruch oder Störung öffentlicher Betriebe vermutlich als unverhältnismäßig bewertet würde. Zudem gehörte es für viele AktivistInnen zum Konzept des zivilen Ungehorsams, für die bewussten, angekündigten Gesetzesübertretungen auch einzustehen – und die Konsequenzen dafür zu tragen.

Ziviler Ungehorsam darf kein Privileg von Reichen sein

Insa Vries, Bündnis Ende Gelände

Vor allem durch ausländische AktivistInnen, die schon bei früheren Klima-Aktionen erfolgreich auf Anonymität gesetzt haben, hat sich das geändert. „Wir haben die Identitätsverweigerung in diesem Jahr als massenhafte Taktik empfohlen“, sagt Insa Vries, Sprecherin des Bündnisses Ende Gelände. Das Bündnis hatte am Wochenende zur Blockade von Schienen aufgerufen, auf denen Braunkohle vom Tagebau Garzweiler in die umliegenden Kraftwerke transportiert wird.

Als Verstoß gegen die Prinzipien des zivilen Ungehorsams sieht sie das nicht. „Unser Anliegen ist so legitim, dass wir dafür nicht kriminalisiert werden dürfen“, sagt Vries. Außerdem könnten sich viele Menschen die Kosten der andernfalls drohenden Verfahren nicht leisten, meint sie. „Ziviler Ungehorsam darf aber kein Privileg von Reichen sein.“

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8 Kommentare

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  • Nein ziviler Ungehorsam darf kein Privileg von Reichen sein bzw. bleiben. Es darf allerdings auch keine „Blasen“ bilden, indem er Dummköpfe oder Feiglinge ermächtigt.

     

    Genau das passiert derzeit. Der zivile Ungehorsam wäre gar nicht nötig, wenn nicht so viele dumme und feige aber eben auch reiche Menschen das Privileg hätten, sich nicht an gewisse – vom Gesetzgeber eigentlich mit aller Macht zu schützende – Regeln zu halten.

     

    Ziviler Ungehorsam braucht Bewusstsein. Auch und gerade das der Konsequenz. Wer sich einreden darf, dass er risikofrei den Helden geben kann, schadet der Sache, weil er nicht nachdenkt. Ich schlage also vor, die Ungehorsamen organisieren sich, bevor sie das nächste Mal „zuschlagen“.

     

    Statt auf Teufel komm raus zu wachsen was die nackte Zahl angeht, könnten sie zum Beispiel – meinetwegen per Crowdfunding – Spenden einwerben, mit denen ihre Helden die Anwaltskosten bezahlen könne. Noch besser wäre es allerdings, es fänden sich ein paar ungehorsame Anwälte, die es gründlich genug satt haben, Unrecht für Recht auszugeben, und die drauf pfeifen, so richtig reich zu werden mit ihrer Kunst.

     

    Ein paar Friseure, hörte ich, machen das gerade vor. Sie schneiden neben ihrem (schlecht bezahlten) Job auch noch in ihrer Freizeit Haare. Die von Obdachlosen. Kostenlos.

     

    Ziviler Ungehorsam ist ja gerade KEIN Krieg. Jede gute Sache wird zu einer schlechten, wenn sie Opfer produziert. Ziviler Ungehorsam darf nicht den selben Gesetzen folgen, die das Militär im Auftrag der Machthaber befolgt. Es kommt nicht darauf an, eine möglichst große Zahl von Menschen möglichst oft auf ein Schlachtfeld der eigenen Wahl zu führen, auf dass sie da den anonymen Feind das Fürchten lehren. Es kommt darauf an, genau die Regeln zu brechen, die Individuen zur Manövriermasse degradiert.

     

    Ziviler Ungehorsam beginnt da, wo der militärische Gehorsam endet. Er ist sonst keiner.

  • Wie verhält es sich wenn man Fingerabdrücke dritter (z.B. Herrn Schäuble) an den Fingerkuppen hat? https://www.heise.de/security/meldung/CCC-publiziert-die-Fingerabdruecke-von-Wolfgang-Schaeuble-Update-193732.html

  • Das Gewaltmonopol des mag im Gesetz stehen, aber niemand aus meiner Generation wurde je gefragt ob er dieses Gesetz will. Ich sehe es als ein Angebot des Staates an den Bürger: Ich der Staat übe in der Gemeinschaft der Bürger das Gewaltmonopol aus, sichere im Gegensatz zu dies nicht zu missbrauchen. Hier kann man aber durchaus der Meinung sein das der Staat genau das tut. G20, gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten - jetzt hier oder vor ein paar Jahren in Stuttgart wo Rentner, Mütter und Kinder von der Polizei regelrecht angegriffen wurden.

    Der Bürger hat das Recht und die Pflicht sich gegen den Missbrauchs des Privilegs das Gewaltmonopol aus zu üben zur Wehr zu setzen.

    Wenn das nicht passiert wissen wir aus unserer Geschichte... Dann treten Autokratien und Diktaturen an die Stelle der Demokratie! Und nicht der Staat hat zu definieren wo seine Grenzen liegen. Letzte Instanz sind die Bürger. Und der kann nicht warten bis mal eine Regierung gewählt wird die wirklich in seinem Sinne handelt...

  • Tja, das ruft nach einer neuen Gesetzesverschärfung, die die DNA Abgabe zur Pflicht macht. Aber dagegen kann dann wieder geschimpft werden. Es geht ja nur um zivilen Ungehorsam von Aktivisten.

    • @yeay:

      Ist wohl einfacher, die Fotos der Aktivisten mit den bei der Bundesdruckerei (garantiert) gespeicherten Fotos ("Lichtbilder") zu vergleichen. Biometrie ist schon toll...