„Spiegel“-Verfassungsbeschwerde: Waffengleichheit geschützt
Wegen eines Berichts über Steuertricks von Fußballstar Ronaldo zogen dessen Anwälte vor Gericht. Nun errang der „Spiegel“ einen Teilerfolg.
Im konkreten Fall ging es unter anderem um einen Bericht des Spiegel über steuerliche Machenschaften des Fußballers Cristiano Ronaldo. Dieser soll mit Hilfe einer Briefkastenfirma in der Karibik Steuern vermieden haben, möglicherweise illegal. Der Bericht erschien Anfang Dezember.
Kurze Zeit später beantragten Ronaldos Anwälte eine einstweilige Verfügung gegen den Spiegel. Das Material, das Ronaldo belastet, stamme aus einem illegalen Hackerangriff gegen eine Anwaltskanzlei und dürfe von Medien nicht verwertet werden. Das Landgericht Hamburg erließ die erwünschte einstweilige Verfügung. Teile des Artikels dürfen deshalb nicht mehr verbreitet werden.
Das Landgericht Hamburg spielt in Deutschland eine zentrale Rolle, wenn es um Klagen gegen Medien geht. Da bei bundesweit erscheinenden Publikationen das Gericht frei gewählt werden kann („fliegender Gerichtsstand“), wählen Kläger oft das Hamburger Gericht und seine Pressekammer, weil dort Persönlichkeitsrechte in der Abwägung mit der Pressefreiheit besonders hoch gewichtet werden.
Woran sich der Spiegel in diesem und einem anderen Fall störte: Das Landgericht Hamburg erließ die Verfügungen ohne mündliche Verhandlung, obwohl der Fall vom Gericht ohne besondere Dringlichkeit entschieden wurde. Im konkreten Fall dauerte es fünf Wochen, bis das Landgericht die Verbotsverfügung erließ. „In dieser Zeit hätte man durchaus eine kurzfristig anberaumte mündliche Verhandlung durchführen können“, sagt Spiegel-Anwalt Marc-Oliver Srocke. Stattdessen telefoniere das Gericht einseitig mit den Klägern, ohne dass der Spiegel erfahre, was dort gesprochen wurde.
Die Anwälte dachten sich einen Trick aus
Aus Sicht des Spiegel steckt System dahinter. Das Gericht entschied in den miterlebten Verfahren der letzten fünf Jahre stets ohne mündliche Verhandlung über Anträge auf einstweilige Verfügung. Erst wenn der Spiegel Widerspruch einlege, werde dann eine mündliche Verhandlung durchgeführt, aber erst Wochen später, „nachdem sich das Gericht festgelegt hat und das Verbot vollzogen ist“, so Anwalt Srocke.
Bisher hatte das Landgericht nichts zu befürchten. Gegen den Erlass einer einstweiligen Verfügung konnte noch keine Verfassungsbeschwerde eingelegt werden, weil ja noch ein Widerspruch möglich war. Und im Widerspruchsverfahren wurde die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör „geheilt“, weil nun eine Verhandlung stattfand.
Deshalb dachten sich die Spiegel-Anwälte einen Trick aus und klagten gegen die Zwangsvollstreckung des Verbots. Dort rügten sie den mutmaßlich rechtswidrigen Verzicht auf eine mündliche Verhandlung. Die Klage wurde wie erwartet abgelehnt und dagegen erhob der Spiegel Verfassungsbeschwerde. Mit indirektem Erfolg.
Die Verfassungsrichter erklärten die Spiegel-Klage für unzulässig, aber auch den Trick für unnötig. Denn gegen eine einstweilige Verfügung könne der Spiegel durchaus direkt Verfassungsbeschwerde einlegen – wenn die Waffengleichheit der Streitparteien und das Recht auf ein faires Verfahren verletzt sind. Das könne etwa dann der Fall sein, wenn das Gericht den Klägern „telefonische Hinweise“ gab, deren Inhalt weder offengelegt wird noch rekonstruierbar ist.
In der Sache betrifft der Karlsruher Beschluss auch alle anderen Landgerichte in Deutschland. Ob bereits der sachwidrige Verzicht auf die mündliche Verhandlung eine Verfassungsbeschwerde erlaubt, ist noch unklar. Das werden künftige Verfahren zeigen, wenn der Spiegel und andere Medien von diesem Recht Gebrauch machen.
Aktenzeichen: 1 BvQ 16/17
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind