Debatte über Männermacht an der Uni: Schule für Schreiben und Sexismus
Am Hildesheimer Literaturinstitut lehrt nur eine Frau. Eine studentische Polemik hat eine Debatte über männliche Machtstrukturen angestoßen.
Auf dem Literaturfestival Prosanova, das dieses Jahr durch seine diverse – sprich: nicht männlich dominierte – Kuration auffiel, formierte sich eine Gruppe von von Sexismus betroffenen Studierenden und AbsolventInnen aus Hildesheim, Leipzig, Wien und Biel. Ihre ernüchternden Erfahrungsberichte sind auf dem Blog der Zeitschrift Merkur erschienen.
So schreibt etwa die Autorin Anke Stelling, wie wenig sich seit ihrer Zeit als Studentin bis 2013, als sie als Gastdozentin zurückkehrte, am Deutschen Literaturinstitut Leipzig verändert hat: nicht das strukturelle Abhängigkeitsverhältnis der mehrheitlich weiblichen Studierenden von den mehrheitlich männlichen Lehrenden, auch nicht das Reflexionsvermögen der Studierenden selbst.
Es ist kein Zufall, dass in Hildesheim neben derzeit sechs Männern mit Jenifer Becker nur eine Frau Literatur und Schreiben unterrichtet – als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die Studentinnen am Institut sind dagegen mit achtzig Prozent in der Mehrheit. Hieran einzelnen Figuren wie Christian Schärf oder Hanns-Josef Ortheil, dem Gründervater des Instituts, die Schuld zu geben, würde das Thema verfehlen.
Die Benachteiligung von Frauen ist vielmehr auch im Literaturbetrieb ein strukturelles Problem, das alle betrifft: Während die LeserInnenschaft von Belletristik zum größten Teil weiblich ist, wird es Frauen in Schreibschulen, Verlagen und bei Literaturpreisen noch immer schwer gemacht, wenn nicht aktiv und bewusst durch Einzelne, so doch zumindest durch Etiketten wie „Frauenliteratur“ oder „Fräuleinwunder“.
In den letzten zwanzig Jahren ging etwa der Georg-Büchner-Preis nur fünfmal an eine Frau, die Gender Pay Gap im Kulturbereich beträgt 28 Prozent: Und nur jedes vierte Buch, das im Feuilleton (in drei von vier Fällen von einem Mann) besprochen wird, ist von einer Autorin.
Bei der aktuellen Debatte geht es allerdings mehr um die alltäglichen und konkreten Diskriminierungserfahrungen, etwa in Textwerkstätten. Es scheint, als produziere Hildesheim alle paar Jahre eine selbstreflexive Debatte über Strukturen, die die Universität zu überwinden sich schwer tut.
Die Stoßrichtung hat sich dabei freilich geändert: Kritisierte der Verleger Florian Kessler, vormals selbst Veranstalter des Hildesheimer Junge-Literatur-Festivals „Prosanova“, mit seinem Artikel „Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn“ vor drei Jahren noch den Klassismus seiner ehemaligen Schreibschule, wird jetzt die Forderung laut, dass auch die Arzttochter vorbehaltlos gefördert und gefordert wird, ohne dabei auf ihr Frausein oder gar ihren Körper reduziert zu werden.
Auch wenn Sexismus mittlerweile zumeist subtiler daherkommt, ist es für Studentinnen nicht immer einfach, auf einem männlich dominierten Campus zu bestehen: „Während ‚die Jungs‘ mit den jüngeren Dozenten Fußball spielen oder gucken, lege ich viel Wert darauf, wenigstens beim Biertrinken danach dabei zu sein“, so Alina Herbing auf dem Merkur-Blog: „Außerdem bin ich Hiwi der Institutsleitung und so halte ich mich in den kommenden Jahren fast nur noch in Männergruppen auf, als einzige oder eine von wenigen Frauen, was ich natürlich bemerke, aber lange nicht reflektiere.“
Die Faltblatt-Redaktion hat mittlerweile ein geradezu demütiges Schreiben veröffentlicht, in dem sie sich dafür entschuldigen, dass Vorwürfe weder „explizit ausgeführt, kontextualisiert noch in irgendeiner Art und Weise begründet werden“. Nachdem die Institutsleitung der studentischen Redaktion des Magazins zunächst das Gespräch verweigerte, ihr kurzfristig sogar mit einer Klage wegen Beleidigung drohte, setzten sich die Lehrenden am 4. Juli zu einer Podiumsdiskussion mit der Studierendenschaft zusammen.
Der erste Schritt zu einem offenen Dialog ist also getan. Studierende formulierten konkrete Forderungen an die Institutsleitung wie etwa die Öffnung der Literaturlisten, die in den meisten Seminaren von weißen, männlichen Autoren dominiert wird, hin zu einer vielfältigeren AutorInnenschaft.
Auch die Vergabe von hilfswissenschaftlichen Stellen an Studierende wurde diskutiert, die bislang nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern intransparent über individuelle Anfragen besetzt wurden: „Ich habe noch nie einen männlichen Hiwi gehabt, weil ich lieber mit Frauen zusammenarbeite“, rechtfertigt sich Christian Schärf, der Institutsleiter.
Die Sensibilität für Machtstrukturen, die sich die Studierenden wünschen, ist nicht bei allen Lehrenden zu spüren, immer wieder wird die Relevanz der Diskussion infrage gestellt. Ein Bewusstsein für die Macht des Sprechenden scheint bei manchen Beteiligten noch nicht angekommen zu sein, was bei LiteraturwissenschaftlerInnen bedenklich ist.
Dadurch, dass die Debatte längst über Hildesheim hinausgewachsen ist, wird eine andere, personelle Frage der Schreibschule politisiert: Eine Professur für „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ soll besetzt werden, zu den Berufungsvorträgen Ende Juni waren vier Frauen und zwei Männer geladen. Eine weiblich besetzte Stelle wäre natürlich vor allem ein Signal an die Studierendenschaft und nach außen, dass Geschlechtersensibilität in der Ausbildung von Autorinnen und Autoren sehr wohl eine Rolle spielt.
Den Dialog im Sande verlaufen zu lassen und weiterhin auf den Erfolg der geförderten männlichen Absolventen zu setzen, kann aber auch für die aktuelle Institutsleitung in Hildesheim keine Option sein. Es wäre schade um fünfzig Prozent der Literatur, die wir lesen sollten.
Der Autor studierte bis 2016 am Hildesheimer Literaturinstitut.
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