Vorkaufsrecht in Kreuzberg ausgeübt: Spekulatives Signal
Der Bezirk schnappt einer Briefkastenfirma ein Haus vor der Nase weg. Eine Wohnungsbaugesellschaft ist bereit, einen hohen Preis zu zahlen.
„Wir haben es erstmals geschafft, das Vorkaufsrecht im Zusammenspiel mit der Senatsverwaltung für Finanzen und einer Wohnungsbaugesellschaft auszuüben“, freute sich Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne). Der Kaufpreis für das Vorderhaus mit zehn Wohnungen sowie einem Restaurant und einem Café beträgt 2,8 Millionen Euro – und entspricht damit der Summe, die auch der Privatinvestor an den Voreigentümer gezahlt hätte.
Weil in dem Preis laut Schmidt ein „spekulatives Element“ steckt, konnte die WBM nicht einfach zugreifen, sondern musste sich mit der Finanzverwaltung von Senator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) abstimmen. Ob die Bezirke auch zu einem von ihnen selbst ermittelten Verkehrswert kaufen dürfen, ist rechtlich umstritten.
Das Haus in der Falckensteinstraße ist das sechste in Berlin, für das ein Vorkaufsrecht ausgeübt wurde, davon drei in diesem Jahr – der rot-rot-grüne Senat und die Bezirke machen also Ernst. Das Instrument kann greifen, wenn Immobilien in einem Milieuschutzgebiet veräußert werden.
Wie üblich wurde dem Käufer auch in diesem Fall angeboten, eine Abwendungsvereinbarung zu unterschreiben, wodurch die Umwandlung in Eigentumswohnungen ausgeschlossen wird – doch das wollte der Investor nicht. Der nun von der WBM gestemmte Zuschlag, also der Teil des Kaufpreises, den das aktuelle Mietniveau von fünf bis sechs Euro pro Quadratmeter nicht deckt, sei „nicht astronomisch“, so Schmidt.
Die Stadt nimmt Geld in die Hand
Wichtig ist dem Stadtrat vor allem das Signal: „Niemand aus der Immobilienbranche soll glauben, wenn er auf den Preis noch eins drauflegt, ziehen Bezirk und Senat nicht mit.“ Um auch künftig bei spekulativen Kaufpreisen konkurrenzfähig zu sein, müssten die Verfahren „eingeübt werden“. Denn wirklich vorbereitet waren Bezirk, Senat und WBM nicht, so Schmidt.
Florian Schmidt, Baustadtrat
Allein die WBM prüft gerade drei weitere Fälle für die Ausübung des Vorkaufsrechts, der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg weitere sechs. Inzwischen werden verkaufsbereite Eigentümer sogar präventiv angeschrieben, um ihnen die Risiken zu vermitteln.
Katharina Böhm, die in der Falckensteinstraße 33 wohnt, sagte der taz, wie „machtlos“ sie sich gefühlt habe, nachdem sie von dem Verkauf ihres Hauses erfahren habe. Bei ihrer Miete von 5,50 Euro wäre noch „ordentlich Spielraum“ gewesen. „Ich war so angespannt, aber jetzt bin ich richtig gelöst.“
Berichtigung: In einer ersten Version hieß es, der Kaufpreis habe 4,5 Millionen Euro betragen. Florian Schmidt hat diese Aussage revidiert. Der Preis beträgt 2,8 Millionen Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen