Kommentar Angriff auf Obdachlosen: Perfide Anteilnahme

Der Übergriff auf einen Obdachlosen sei „nicht normal“, beklagt die AfD. Unsinn. In der Rechten sind Angriffe auf die Schwächsten genau das: Normalität.

Obdachlose in Schlafsäcken

Obdachlose in der Frankfurter Hauptwache (Symbolbild) Foto: dpa

Nach Schlägen mit einem Holzpflock und Tritten gegen den Kopf war der Obdachlose Andreas Pietrzak bereits bewusstlos. Doch der Täter hörte nicht auf. Er überschüttete sein wehrloses Opfer mit Spiritus, dann zündete er es an. Pietrzak starb im Alter von 41 Jahren. Dieses Verbrechen im bayerischen Plattling liegt bereits mehr als zehn Jahre zurück. Die Hemmungslosigkeit und Menschenverachtung, mit der es ausgeübt wurde, ist vergleichbar mit dem Fall, der sich am frühen Sonntagmorgen am Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße ereignete – hier glücklicherweise mit einem glimpflichen Ausgang.

Bei den Tätern in Berlin handelt es sich um heranwachsende Flüchtlinge. Sechs stammen aus Syrien, einer aus Libyen. Für die Bewertung ihrer Tat ist das völlig irrelevant, könnte man meinen – doch die nächste Debatte um Gewalt von Flüchtlingen hat bereits begonnen. Der AfD-Politiker Marc Vallender, Mitglied des Abgeordnetenhauses, sieht die Sache so: Man möge ihm nicht mit der Aussage kommen, „das hätte genausogut ein Deutscher machen können“. Stattdessen gäbe es „schlicht und einfach fundamentale kulturelle Unterschiede zwischen Europa und dem Nahen Osten“.

Vallenders Argumentation, genauso wie die der NPD-Jugend, die sich ebenfalls via Facebook echauffiert, und all der anderen rechten Rattenfänger ist so falsch wie perfide. Sich an Obdachlosen, also den Schwächsten der Gesellschaft zu vergehen, ist in Deutschland vor allem ein Privileg von Rechtsextremen. So war der Täter in Plattling ein 19-Jähriger Neonazi. Und nicht nur dort: Die Liste der Opfer rechter Gewalt weist seit 1990 mindestens 28 ermordete Obdachlose aus.

„Wir haben nicht genug Sozialarbeiter um jeden dieser Tausenden von ‚Einzelfällen‘ an die Hand zu nehmen und ihm beizubringen, dass solch ein Verhalten hier nicht ‚normal‘ ist“, schreibt Vallender im Bezug auf die Flüchtlinge. Doch für die extreme Rechte ist die Abwertung Obdachloser, sind Angriffe auf sie seit jeher „normal“, trotz aller Versuche von Sozialarbeitern.

Das fatale Zusammenspiel von genereller Menschenverachtung und Aufstachelung von Rechtsaußen zeigt einer der letzten dokumentierten Fälle von 2008. Nachdem ein Leipziger Neonazi eine Mahnwache unter dem Motto „Todesstrafe für Kinderschänder“ besucht hatte, trat und schlug er auf seinem Heimweg den Obdachlosen Karl-Heinz Teichmann tot. Dahinter steht die Ideologie von „lebensunwertem Leben“ und „Sozialhygiene“, in historischer Kontinuität vom deutschen Faschismus bis in die Gegenwart.

Dass in jüngster Zeit die extreme Rechte immer mal wieder mit „Hilfsaktionen“ für Obdachlose in Erscheinung getreten ist, ändert daran nichts. Tatsächlich beruht der „Sinneswandel“ einzig auf dem Motiv, noch erbarmungsloser gegen Flüchtlinge hetzen zu können. So lange Deutsche auf der Straße landen, dürfe man keinen Fremden helfen, so die simple Botschaft. Versuche von rechts, den Angriff von Berlin nun für sich zu missbrauchen, sind daher infam. Getauscht wird eine Opfer-Zielgruppe gegen eine andere.

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Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".

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