Zukunftsziele der Wissenschaft: Von Argumenten zur Moral?
Drei Forschungsorganisationen verpflichten sich, Nachhaltigkeitskriterien besser zu verankern. Auch an den Unis besteht Nachholbedarf.
Das Prinzip der Nachhaltigkeit hält Einzug in die deutsche Wissenschaft. Drei große Forschungsorganisationen haben sich jetzt gemeinsame Leitlinien gegeben, mit denen sie sich in der Praxis den Fragen „großer gesellschaftlicher Herausforderungen“ stärker zuwenden und zugleich den Betrieb ihrer Institute „klimagerecht“ umstellen wollen. Auf der Ebene der Wissenschaftspolitik ist „Sustainability“ dagegen immer noch ein Thema für theoriegeladene Konfrontationen.
„LeNa“ heißt der Kurztitel des 60-Seiten-Kompendiums, das als „Leitfaden für Nachhaltigkeitsmanagement in außeruniversitären Forschungsorganisationen“ in dreijähriger Arbeit erstellt wurde. Beteiligt waren daran Fraunhofer-, die Helmholtz- und die Leibniz-Gemeinschaft.
„Wir sind damit einen entscheidenden Schritt vorangekommen“, erklärte Ernst Theodor Rietschel, früherer Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, bei der Vorstellung auf dem Symposium „Nachhaltigkeit in der Wissenschaft“ im Oktober in Berlin. „An diesen Empfehlungen wollen wir uns künftig messen lassen“, ergänzte Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Forschungsgemeinschaft.
Kleiner Schönheitsfehler: Nicht alle sind dabei. Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), führende deutsche Nobelpreisschmiede, blieb vornehm außen vor, und auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die die Forschung in den Hochschulen fördert, beteiligte sich nicht.
Ein „verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen“ und eine gute Organisationsführung (Good Governance) sind die beiden Grundprinzipien, an denen sich LeNa orientiert. Realisiert wird die Nachhaltigkeit in fünf Handlungsfeldern: Organisationsführung, Forschung, Personal, Gebäude und Infrastrukturen sowie unterstützende Prozesse. In der Forschung geht es um mehr „wissenschaftsbasierte Lösungsbeiträge zu gesellschaftlichen Herausforderungen“, wobei sich das Papier sowohl an die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu diesem Thema als auch an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) anlehnt. In der Forschungsorganisation sollen Kriterien der Ethik, Nutzerorientierung, Inter- und Transdisziplinarität, Transparenz sowie der „Umgang mit Komplexitäten und Unsicherheiten“ berücksichtigt werden.
Schlechte Bilanz
Beim Gebäudemanagent geht es um die klassischen Maßnahmen der Energieeinsparung und der umweltverträglichen Beschaffung, die von den Pionieren ausgehend jetzt in die Breite getragen werden sollen. Heiße Kandidaten dafür sind aber vor allem die Hochschulen. Forschungsministerin Johanna Wanka verwies bei dem Symposium darauf, dass von den 450 deutschen Hochschulen lediglich 20 gemäß Nachhaltigkeitskriterien zertifiziert seien. „Vier Prozent! Das ist ernüchternd“, mahnte Wanka. Ihr Ministerium fördert mit dem neuen Programm „Hoch N“ seit Kurzem zehn Hochschulen, die auf Nachhaltigkeit umstellen wollen. „Wir streben an, dass es in einigen Jahren 100 Hochschulen sein sollen“, so die Ministerin.
Ist das schon die „nachhaltige Zeitenwende?“ Unter diesem Titel lud die nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina kürzlich zu einer Zwischenbilanz mit den Spitzen der deutschen Wissenschaft, und gelangte zu einem gemischten Ergebnis. Zwar nahmen Max-Planck-Gesellschaft und DFG erstmals teil, äußerten sich aber doch mit spürbarer Reserviertheit zum – aus ihrer Sicht – Modethema Nachhaltigkeit.
DFG-Präsident Peter Strohschneider warnte vor einem „totalisierenden Nachhaltigkeitsutilitarismus“, der Wissenschaft vor allem für die praktische Lösung der großen planetaren und Menschheitsprobleme benutzen wolle. Die Orientierung „Es geht doch um die Rettung der Welt“ mutiere gleichsam zum säkularen „Anathema“, das andere Forschungsrichtungen, wie die Grundlagenfächer, als minderwertig diskreditiere. Auch für die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele sei ein solcher Schwenk „vom Argumentieren zum Moralisieren“ letztlich nachteilig.
„Gut gemeint oder gut gemacht?“, lautete die Frage, mit der sich MPG-Präsident Martin Stratmann der Nachhaltigkeit näherte. Wie wichtig Wissenschaft zur Lösung globaler Umweltprobleme sei, zeige das Beispiel der Ozonschicht, deren Durchlöcherung durch FCKW erst mit Grundlagenarbeiten aus dem MPI für Chemie in Mainz abgestellt werden konnte. Es sei aber verkehrt, so Stratmann, die Nachhaltigkeit zu einem dominierenden Leitbild zu machen. „Das führt zu Überforderung und zu Bevormundung“, befürchtete der MPG-Chef. „Auch eine gut gemeinte Bevormundung beschränkt die Wissenschaftsfreiheit.“
Der Verweigerungshaltung mochte sich der Politiker in der Runde, Staatssekretär Georg Schütte aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), nicht anschließen. Er erinnerte daran, dass im Jahr 2012 der Versuch, eine nationale Nachhaltigkeitscharta für die deutschen Forschungsorganisationen zu etablieren, gescheitert sei.
Martin Stratmann, MPG-Präsident
„Damals sind wir auf den Bauch gefallen“, sagte Schütte. Auch damals wurde die Ablehnung damit begründet, dies schränke die Freiheitsgrade der Wissenschaft ein.
Vier Jahre später müsse er konstatieren: „Allein mit dem Bestehen auf „Freiheit“ kommen wir in Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele nicht schnell genug voran“. Wissenschaftsfreiheit müsse auch die Freiheit beinhalten, „ganz neue Wege zu gehen und neue Fragen zu stellen“, erwiderte Schütte.
Ein neuer Weg wäre etwa gewesen, auch die Kritiker zu der Leopoldina-Runde einzuladen. Seit Jahren schwelt der Theorie-Streit zwischen Strohschneider und dem dem Präsidenten des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Uwe Schneidewind, über die Notwendigkeit oder Gefährlichkeit einer „transformativen Wissenschaft“. Dies wäre eine Chance zur Weiterentwicklung der Positionen gewesen.
Mehr als nur Klimawandel
Dass die frühen Befürworter der Nachhaltigkeits-Wissenschaft zu neuen Positionen bereit sind, war auf der 25-Jahr-Feier des Wuppertal-Instituts im September zu bemerken. Dort mahnte Dirk Messner, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU), dass sich die Nachhaltigkeitsdiskussion nicht nur den ökologischen Problemen wie dem Klimawandel widmen müsse. In Zeiten massiver sozialer Spaltung zwischen Arm und Reich und den daraus entstehenden Flüchtlingsbewegungen müssen jetzt „das Thema Gerechtigkeit in das Zentrum von Nachhaltigkeitspolitik gestellt“ werden.
Wer Nachhaltigkeit wolle, müsse jetzt – da die „Gegentransformation“ längst begonnen habe – verstärkt über Gleichheit, Armut und Ungerechtigkeit sprechen, forderte Messner. „Sonst scheitern wird an der Realität“.
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