piwik no script img

Taser für die Berliner SchutzpolizeiFrank Henkels letzter Schuss

Premiere auf Länderebene: Der Innensenator will die Polizei mit der Elektrowaffe ausrüsten – ohne Beschluss des Parlaments. Das riecht nach Wahlkampf.

Innensenator Frank Henkel (CDU) und sein neues Spielzeug Foto: dpa

BERLIN taz | Auf dem Bildschirm läuft ein Kurzvideo der australischen Polizei. Polizeipräsident Klaus Kandt hat es im Juni von seiner Dienstreise mitgebracht. Australien hat das Elektroschockgerät flächendeckend bei seiner Polizei eingesetzt. Mit dem Film soll den Medienvertretern an diesem Mittwoch die Harmlosigkeit des Geräts demonstriert werden. Die Bilder sind verwackelt. Außer, dass ständig Männer umfallen, einige bewaffnet, ist nicht viel zu erkennen. „Zack“, sagt Kandt, immer wenn die Männer zu Boden gehen.

Richtig begeistert wirkt der Polizeipräsident nicht. Neben ihm sitzt sein Chef, Frank Henkel (CDU). Der, noch Innensenator in Berlin, macht an diesem Tag im Polizeipräsidium Wahlkampf. 18 Tage vor der Wahl hat Henkel einen Modellversuch für die Schutzpolizei zur Erprobung des sogenannten Distanz-Elektroimpulsgeräts, Taser, ausgerufen. Durchgeführt werden soll dieser in den Abschnitten 53 in der Friedrichstraße in Berlin-Kreuzberg und 32 am Alexanderplatz in Mitte. Die Teilnahme bei der Schutzpolizei läuft auf freiwilliger Basis. 20 Geräte sollen angeschafft werden, eins pro Funkwagen.

Das Spezialeinsatzkommando (SEK) hat ganze drei. Das SEK ist die einzige Einheit, die in Berlin den Taser benutzen darf. Seit 2001 wurde er 23-mal angewendet: in 18 Fällen, um Menschen mit suizidaler Absicht widerstandsunfähig zu machen, fünfmal in Bedrohungslagen. 2005 kam es zu einem Todesfall. Der Versuch des SEK, einen Mann mit der Elektroschockpistole außer Gefecht zu setzen, schlug fehl. Die auf den Körper abgeschossenen Häkchen mit den Elektroden sendeten keine Impulse aus. Reaktion soll eigentlich eine sofortige Muskelverkrampfung sein. Der Mann rannte zum Fenster und stürzte sich hinaus.

Der Taser ist umstritten. Der Linken-Fraktionschef Udo Wolf ist nicht der Einzige, der von einer hoch gefährlichen Waffe spricht. In der Polizei indes gibt es mittlerweile viele Befürworter. Aber dass Henkel so kurz vor der Wahl damit kommt? „Das macht man nicht“, sagt ein Beamter. Er sei fassungslos. „Henkel missbraucht die Polizei für den Wahlkampf und schadet damit dem Anliegen.“

Schockierende Hochspannung

Mit Elektroschockwaffen, mit denen die Berliner Polizei ausgestattet werden soll, können kleine Metallpfeile über mehrere Meter Entfernung auf Menschen geschossen werden. Die Pfeile hängen an Drähten, über die elektrische Hochspannung übertragen wird. Durch elektrische Schläge werden Menschen kurzzeitig außer Gefecht gesetzt.

Die Spezialeinsatzkommandos (SEK) in vielen Bundesländern verwenden die sogenannten und mehr als tausend Euro teuren Taser schon länger. Streifenpolizisten in Deutschland sind damit aber üblicherweise nicht ausgestattet. (dpa)

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht das ähnlich. Schon lange fordere man den Taser auch für die Schutzpolizei, so GdP-Sprecher Benjamin Jendro zur taz. Er sei ein milderes Einsatzmittel als die Schusswaffe, ermögliche aber, den Angreifer, anders als mit Pfefferspray oder dem Schlagstock, aus der Distanz lahmzulegen. Allerdings brauche es dafür eine klare gesetzliche Regelung, also einen Parlamentsbeschluss. Den Taser einfach im Berliner UZwG – dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte – wie eine Schusswaffe zu behandeln sei der falsche Weg. Genau das aber ist geplant. Henkel habe fünf Jahre Zeit für die Umsetzung des Projekts gehabt, kritisiert Jendro. „Das wirkt jetzt alles wie Wahlkampf.“

Inspiration durch Australien-Reise

Wann der Probelauf beginnt, steht noch nicht fest. Er rechne nicht vor Ende des Jahres damit, sagte Kandt. „Das Ganze ist noch sehr frisch.“ Erst am 19. August habe seine Behörde den Einsatzfahrplan erstellt. „Der ist noch druckfrisch.“ Der Auftrag an die Polizei zur Erarbeitung eines Konzepts erging von der Innenverwaltung erst am 3. August 2016. Auf die Frage, ob er sich vom Innensenator für den Wahlkampf missbraucht fühle, wiegelte der Polizeipräsident ab. Er sei ein Befürworter der Ausweitung, „aber das Thema stand auf meiner Agenda nicht ganz oben“.

Seine Australienreise habe ihn dann „neu inspiriert“, sagte Kandt. Bei 1.400 Einsätzen habe es dort seit 2012 weder Verletzte noch Tote gegeben. Eingesetzt werde der Taser nicht bei Schwangeren, sondern bei aggressiv auftretenden Personen. Diese seien deutlich eingeschränkt, aber nicht gelähmt, wenn sie auf den Boden fallen. Das Gerät werde von den Kritikern „dämonisiert“, so der Polizeipräsident.

Innensenator Henkel dementierte bei der Pressekonferenz vollmundig, mit dem Taser Wahlkampf machen zu wollen. Er sei schon immer ein großer Verfechter des Geräts, aber mit dem Koalitionspartner SPD sei die Einführung nicht zu machen gewesen. Darum habe er sich entschlossen, nunmehr nicht den parlamentarischen Weg – der eine Gesetzesänderung impliziert – zu gehen. Im Juni 2016 habe er deshalb die Ausführungsvorschriften zum UZwG geändert, um den Probelauf zu ermöglichen. Das kann seine Verwaltung allein.

Der innenpolitische Sprecher der SPD, Frank Zimmermann, verwies am Mittwoch darauf, dass sich seine Partei einen Probelauf durchaus hätte vorstellen können. Aber es hätte zuvor eine vernüftige politische und parlamentarische Befassung mit dem Thema geben müssen. Dazu hätte gehört, die bisherigen Erfahrungen mit dem Taser auszuwerten. Auch eine umfassende Ausbildung an dem Gerät wäre zu sichern gewesen, so Zimmermann. Der CDU- Innensenator habe der Regierungskoalition diesbezüglich aber „nie einen Vorschlag gemacht“. Wer in so einer Hektik vorpresche und das zweieinhalb Wochen vor einer Landtagswahl, so Zimmermann „der handelt nicht seriös“.

Henkel wies das bei der Pressekonferenz zurück. „Für die Erinnerungslücken der SPD kann ich nichts.“

Berlin wäre damit das erste Bundesland, das den Taser für Schutzpolizisten einführt. Bundesweit verfügen bisher nur Spezialkräfte der Polizei über das Einsatzmittel. Laut Kandt wird in Bayern und Rheinland Pfalz eine Ausweitung geprüft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare