Coming-of-Age-Film „Der Nachtmahr“: Ein Gnom mit Glubschaugen
Eine Jugendliche wird mit ihren Ängsten in Gestalt eines grünen Wesens konfrontiert. Der Horrorfilm „Der Nachtmahr“ ist feinstes Affektkino.
Zart besaitete Gemüter sollten den Film „Der Nachtmahr“ von Achim Bornhak, der in den Credits unter dem Namen Akiz auftaucht (klingt mehr nach Punk, soll aber wohl auch vermeiden, dass Erinnerungen an seine Uschi-Obermaier-Kolportage „Das Wilde Leben“ den positiven Gesamteindruck trüben), mit Vorsicht genießen. Das liegt weniger an der Titelfigur, die sich aus einem Zwischenreich des Unbewussten manifestiert, als am offensiven Ton- und Lichtkonzept des Films.
Vorsichtshalber ist dem Film eine angeberische Warnung vorangestellt (exzessiver Stroboskopgebrauch!), inklusive der Instruktion, die Lautstärke ordentlich aufzudrehen. Es dauert nicht lange, bis der Film sein Versprechen einlöst: illegale Poolparty irgendwo am Stadtrand von Berlin, die Kids verlieren sich in stampfenden Beats, soundtechnisch eine brachiale Acid-Säge mit Industrial Charme, dazu Leuchtstäbe und eben dieses elektrifizierende Strobogewitter, das einen beim Zuschauen ganz kirre macht.
„Der Nachtmahr“ fängt also schon mal gut an, ähnlich konsequent wie „Victoria“, dem es mit seiner ruhelosen Kamera ja auch gelang, ein jugendliches Feiergefühl, das die Schwerelosigkeit des Basses mit der Euphorie des Raves verbindet, im Kino einzufangen. Mitten im Getümmel lässt sich die 17-jährige Tina treiben, bis sie im Halbdunkel plötzlich ihren heimlichen Schwarm Adam entdeckt (Wilson Gonzalez Ochsenknecht, in einem Aufzug zwischen Meat Loaf und Bill Kaulitz, aber diesmal sogar erträglich).
Irgendwann setzt ihr das Geballer doch ganz schön zu, der viele Alkohol, dann auch noch Adam – voll peinlich. Es ist nicht ganz klar, was passiert, als sie sich kurz zum Pinkeln in die Büsche schlägt: Etwas kreucht durchs Unterholz, Entsetzen, Panik, überstürzt muss die Mädchenclique mit der völlig aufgelösten Tina im Schlepptau die Party verlassen. Und hier hat „Der Nachtmahr“ seinen ersten David-Lynch-Moment: Zwischen Drogennebel und Wachtraumzuständen wiederholt sich vor den Augen der Kids eine Szene, die sie sich kurz zuvor auf ihren Handys angesehen haben. Krass, Alter!
„Der Nachtmahr“. Regie: Akiz. Mit Carolyn Genzkow, Wilson Gonzalez Ochsenknecht u. a. Deutschland 2015, 92 Min.
Die Krassheit gehört gewissermaßen zum Programm von Akiz. Visuell und akustisch ist „Der Nachtmahr“ feinstes Affektkino, das in seinem bewussten Angriff auf die Sinne (Licht- und Soundeffekte stammen von Atari-Teenage-Riot-Kompagnon Philip Virus) den Filmen von Gaspar Noé ähnelt. Mit dem Unterschied, dass „Der Nachtmahr“ nicht auch noch die Intelligenz seiner Zuschauer beleidigt, denn unter den auf Shock and Awe abzielenden Reizen verbirgt sich eine zarte Coming-of-Age-Geschichte.
Mit Tina stimmt etwas nicht
Tina ist mit ihren widersprüchlichen Gefühlen ziemlich alleingelassen. Ihre beste Freundin Babs hört ihr nur mit einem Ohr zu, während sie auf der Clubtoilette eine Line zieht, und ihre Eltern, mit denen Tina in einer schicken Vorstadtvilla lebt, sind mit sich selbst beschäftigt. Ihre Englischlehrerin (das ewige Indie-Rock-It-Girl Kim Gordon) bemerkt zuerst, dass mit Tina etwas nicht stimmt.
Das Ding, das sich eines Nachts in der Küche am Kühlschrank zu schaffen macht, ein grüner Gnom mit blinden Glubschaugen und Watschelgang (Gollum meets E.T.), entpuppt sich, obwohl es zunächst Ekel erregt, nicht als das unaussprechliche „Andere“, sondern als eine in schönster Cronenberg-Manier (sein unterschätztes Meisterwerk „Die Brut“) realisierte Manifestation von Tinas Ängsten.
Wenn sie das possierliche Wesen anfasst, fühlt es sich an, als berühre sie ihre Seele. Natürlich ist sie die Einzige, die den Nachtmahr sehen kann. Die Eltern glauben, ihre Tochter sei auf Drogen, ihre Freundinnen denken, Tina wolle sich nur wichtig machen. So eskaliert die jugendliche Identitätskrise.
No-Budget-Guerillafilmemachen
Nach einer erfolgreichen Tour durch die internationalen Filmfestivals wird „Der Nachtmahr“ seit einer Weile als Hoffnung des deutschen Genrekinos gefeiert: No-Budget-Guerillafilmemachen ohne Filmförderung. Hartgesottene Horrorfans sollten gewarnt sein, dass „Der Nachtmahr“ die Ansprüche an das Genre nicht leichtfertig bedient.
Zugleich hat Akiz auch ein Problem mit dem Begriff „Coming of Age“, den eigentlich nur verwerflich finden kann, wer nicht versteht, dass Horrorklassiker wie „Halloween“ oder „Nightmare on Elm Street“ nichts anderes als verkappte Coming-of-Age-Filme sind.
„Der Nachtmahr“ nähert sich dem Sujet einfach nur von seinem anderen, dem nichtrepressiven, nichtreaktionären Ende her. Der Hedonismus der Jugend – die Lust, der Sex, die Drogen – ist keine moralische No-go-Area, sondern ermöglicht Freiheiten zur Selbstverwirklichung. „Freak“, sagt die Mutter einmal in einem ihrer seltenen lichten Momente, „ist ein ganz blödes, diffamierendes Wort.“
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