Buchvorstellung in Hamburg: Ein Zittern

Benjamin von Stuckrad-Barre präsentiert seine Selbstbetrachtung „Panikherz“. Sein Lesen ist ähnlich tragisch wie sein Leben.

Struckrad-Barre beim Lesen und angestrengten Rauchen.

Kaum vorstellbar, dass er nicht auf Koks ist. Kaum vorstellbar, dass er auf Koks ist. Foto: dpa

HAMBURG taz | Du erkennst ihn an der Körpersprache. Benjamin von Stuckrad-Barre ist da. Erst, ja gut, Udo Lindenberg, dann, kurz, diese koksige Musik aus Lautsprecherboxen und schließlich rennt Benjamin von Stuckrad-Barre auf die Bühne, springt hinunter, sprintet in den weiten Saal, wieder wie besessen, durch die Stuhlreihen – er: der Geilste -, post und jubelt und lässt sich bejubeln, so als ginge das hier alles um seine Wiederauferstehung und das Traurige an diesem Leseabend ist: So ist es.

Dieser geschundene Benjamin von Stuckrad-Barre. Ein Popstar, durchgekokst, ausgehungert, weltverloren, selbstverliebt, selbstverloren. Leider ist das kein Abend zum In-den-Arm-nehmen, zum In-die-Ecke-Gehen, zum Festhalten, Ihn-streicheln, diese Jungen im alltagswahnlichen Aufreißerkostüm.

Festhalten: Diesen großen Schreiber, der mit diesem Buch doch so sehr versucht, sich zurück ins Leben zu winden. Panikherz - besprochen, überdreht und überhöht, aber: ein äußerst lesenswertes Buch.

45 Sekunden dauert seine Heldenpose an diesem Montagabend, dem Auftaktabend seiner Lesetour, vor hunderten zahlenden Gästen in der Markthalle Hamburg. Dann geht Benjamin von Stuckrad-Barre auf die Bühne und beginnt zu zittern.

Außer Atem

Sein Körper bebt unkontrolliert, er setzt sich dort vorn in die Mitte an den Tisch, wo Sven Regener und Christian Ulmen schon still sitzen und ihm Halt geben durch ihre Ruhe.

Stuckrad-Barre ist außer Atem, er liest jetzt, er liest zu schnell, er haspelt beim Lesen und fängt rasch an zu rauchen. Marlboro Menthol, eine nach der anderen. Kaum vorstellbar, dass er nicht auf Koks ist. Kaum vorstellbar, dass er auf Koks ist.

Die Adern an seinen Schläfen sind geschwollen, die Unterlippe auf diese eigene Art so sehr nach vorn geschoben, sein Kiefer steif. Einmal reibt er seine gespreizte Hand über den rasierten Schädel, drückt sich mit dem Ringfinger auf die Schädelhaut, nochmal. Seine rechte Hand zittert auch noch als er sich nach 55 Minuten zum dritten mal Wasser nachschenkt aus einer Kunststoffmineralwasserflasche.

„Ihm“, heißt es an einer Stelle seines Buches, „macht keiner mehr was vor, nur er sich selbst.“ „Der Hafen“, heißt es an einer anderen Stelle, „war auch mein Sehnsuchtsgebiet, da bekam ich Heimweh der verlässlichsten Sorte, nämlich nach einer Heimat, die es nie gegeben hat.“

In Scherben

Sein Text brilliant, sein Lesen tragisch wie sein Leben. Es gibt an diesem Abend einen Moment, in dem Benjamin von Stuckrad-Barre nicht zittert. Es ist die 65. Minute seiner Lesung, die zwei Stunden dauert. Sein Körper wirkt in dieser Minute etwas ruhender, seine Stimme etwas ruhiger und stabiler und er liest davon, wie er sich einst in den Scherben blauer Mineralwasserflaschen wälzte, ohne sich zu verletzen.

„In einer Nacht konnten wir sogar plötzlich alle Italienisch sprechen, einfach, weil wir es wollten.“ Es ist das einzige Mal an diesem Abend, an dem sein Körper signalisiert, dass er vielleicht zu sich kommt, millimeterweise.

Dann liest er weiter: „Wir waren in meiner Erinnerung eigentlich alle wirklich jeden Abend draußen, angetrunken, aber nie besoffen, zuweilen druff, aber nie drüber, alle fröhlich, liebevoll, lustig, ohne Arg; die einzige Phase meines Lebens, in der ich ‚Wir‘ statt ich sagen konnte.“

Dann schon, nach wenigen Sekunden, zittert er wieder.

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