Debatte Rassismus in Deutschland: Ohne Sicherheit ist alles nichts
Die Exzesse von Köln haben viele Menschen schockiert. Ohne Aufklärung gibt es keine Prävention – und die hat nichts mit Rassismus zu tun.
S icherheit ist ein hohes Gut. Sich frei bewegen zu können – sei es zur Arbeit oder zur Schule, zur Kirche oder zur Moschee, zum Streik oder zur Demo, zum Badesee oder zur Party – das ist die Basis einer offenen Gesellschaft.
Ohne die Sicherheit, dass Leib und Leben aller Bürgerinnen und Bürger prinzipiell nicht bedroht sind, ist alles, was Linken wichtig ist, nicht denkbar: keine demokratische Teilhabe, keine Bildung für alle, keine soziale Gerechtigkeit, keine Geschlechterpolitik, kein Umweltschutz, nichts.
Deshalb gehen Linke zu Recht auf die Straße, wenn Nazis Minderheiten bedrohen: etwa Alternative wie in Leipzig-Connewitz oder Flüchtlinge. Wenn die Polizei beim Schutz von Minderheiten versagt, sparen Linke nicht mit Kritik. Und den Opfern gilt ihre Empathie.
Man sollte meinen, die beispiellosen sexuellen und kriminellen Übergriffe von Köln, Hamburg und anderswo würden ebensolche Reaktionen hervorrufen. Allein in Köln haben sich mittlerweile mehr als 700 Opfer bei den Strafverfolgungsbehörden gemeldet (Stand Mitte Januar), die in der Silvesternacht angegriffen, bestohlen oder bedrängt worden sind. Einen linken Aufschrei, gar eine Großdemonstration gegen Gewalt, gibt es bislang aber nicht.
Selbst die Demonstration gegen Gewalt und Rassismus, die erfreulicherweise Mitte Januar 7.000 Menschen nach Stuttgart mobiliserte, taugt nicht als Gegenbeweis – sie war lange vor Köln vom DGB initiiert worden.
Verständliche Angst
Woran liegt die geringe linke Demonstrationsbereitschaft gegen die Kölner Gewalt? Liegt es daran, dass diesmal offenbar vor allem Menschen aus der Mitte der Gesellschaft zu Opfern wurden, obwohl auch diese selbstverständlich ein Recht auf körperliche Unversehrtheit genießen? Vielleicht.
Sicher aber hat es etwas mit den Tätern zu tun, die laut Polizei und Zeugenaussagen vor allem aus dem nordafrikanischen Raum stammen. Wer die Gewaltnacht von Köln, bei der ganz normale Passanten und umsteigende Bahnkunden Opfer eines entfesselten Mobs wurden, als solche benennt und mit angemessenem Protest reagiert, könnte, so die Befürchtung, den Rechten und Rassisten in die Hände spielen.
Die Angst ist verständlich, aber sie hilft nicht weiter. Wer solche Gewalttaten künftig verhindern will, muss das, was geschehen ist, schonungslos aufklären. Und dazu gehören ganz sicher Herkunft, Lebensumstände und Motive der Täter, Mittäter und Sympathisanten. Wären die Täter rechte Hooligans gewesen, wäre eine solche Herangehensweise ja auch selbstverständlich, gerade auch in der taz.
Taten von Köln relativiert
Nötig ist darüberhinaus eine Analyse der neuen Dimension der sexuellen Gewalt in Deutschland. Hier machen manche Linke und junge Feministinnen keine besonders gute Figur, den Opfern damit eine merkwürdige Gefühlskälte entgegenbringend. Sexuelle Gewalt sei doch alltäglich, wird argumentiert; und wer sich jetzt darüber aufrege, so ein Vorwurf, tue dies nur, um seinen oder ihren latenten Rassismus endlich ausleben zu können.
So werden die Taten von Köln relativiert, so werden aus Opfern sexueller Gewalt plötzlich rassistische Täterinnen. Ja, es stimmt, sexuelle Gewalt ist alltäglich. Aber solch massive Übergriffe wie in Kön hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben, weder auf dem Oktoberfest noch beim Karneval. Wer etwas anderes behauptet, sollte endlich mal Beispiele nennen.
Und was geschah in Köln, wo mittlerweile mehr als 330 Anzeigen wegen Sexualdelikten eingingen? Innerhalb weniger Stunden wurden an einem Ort in aller Öffentlichkeit zahlreiche Frauen Opfer von Männern, von denen sie oft in Gruppen umringt, beleidigt, belästigt, betatscht, bedroht, bestohlen und zum Teil vergewaltigt. Taten, die die Opfer an Leib und Seele nachhaltig verletzen; Taten, die bislang vom Tahir-Platz in Kairo bekannt waren, nicht aber von Plätzen in europäischen Städten.
Mangelnde Hilfe
Gern wird eingeworfen, die genaue Zahl der Täter von Köln kenne man noch nicht, und nur wenige Tatverdächtige – mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus – seien gefasst; man könne also nichts Bewertendes sagen, und vielleicht sei es nur eine kleine Gruppe gewesen. Gegen letztere Vermutung sprechen die hohe Zahl der Taten und Zeugenaussagen.
Außerdem gilt: Juristisch mag es relevant sein, wer genau welche Tat begannen hat – und leider wird sich das in vielen Fällen nicht gerichtsfest beweisen lassen. Moralisch aber hat sich jeder mitschuldig gemacht, der dabei war und nicht eingegriffen oder versucht hat, Hilfe zu holen. Völlig unglaubwürdig ist, dass nur wenige der rund 1.000 anwesenden Männer etwas von den Taten mitbekommen haben sollen.
Die Taten von Köln haben die allermeisten Menschen in Deutschland – mit und ohne Migrationshintergrund – schockiert. Sie fragen sich, wie es dazu kommen konnte und warum die Kölner Polizeit versagt hat. Weder konnte sie Opfer schützen noch Täter dingfest machen. Und noch am Tag nach den Exzessen hat sie versucht, alles zu vertuschen.
Mangelnde Transparenz
Das ist höchst bedenklich, denn die verantwortlichen Polizisten mussten sich gute Chancen ausgerechnet haben, die Taten trotz der monströsen Zahl verheimlichen zu können – so wie es der schwedischen Polizei gelungen war, zahlreiche sexuelle Übergriffe nach dem Kölner Muster auf einem Technofestival unter den Teppich zu kehren. Das war im Sommer 2014. Und die Folge dieses Vertuschens war, dass beim folgenden Festival in diesem Jahr die Besucher völlig ahnungslos anreisten – und wieder zahlreiche Frauen und Mädchen Opfer wurden. Ein ungeheuerlicher Vorgang.
Er zeigt, dass mangelnde Transparenz eine wirksame Prävention verhindert. Darum muss es nun gehen: zu verhindern, dass Köln jemals wieder geschieht. Erfreulicherweise stehen die Chancen dafür gut, auch wenn im Gedränge kleine entschlossene Gruppen nie ganz unter Kontrolle zu bekommen sind. Aber jetzt sind die Menschen und die Polizei alarmiert; sie werden solchen Tätern nie wieder so einen riesigen Raum lassen wie in Köln.
Ohne Transparenz wäre dies nicht möglich – eine offene Gesellschaft braucht eine offene Diskussion, gerade auch über Fehlentwicklungen und Gefahren. Und natürlich braucht sie wirksame Gegenwehr gegen jede Form von menschenverachtender Gewalt: egal ob gegen Flüchtlinge oder Einheimische, Homo- oder Hetereosexuelle, Juden, Moslems oder Christen. Ein Recht auf Sicherheit haben alle.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten