piwik no script img

Selbstabschaltung im Atomkrafwerk DoelBelgien fährt weiter AKW-Achterbahn

Reaktor Doel 1 ist nach neuen Problemen abgeschaltet. Deutsche Umweltverbände fordern, keine Brennelemente mehr nach Belgien zu liefern.

Doel 1 war nur drei Tage am Netz, schaltete sich dann automatisch wieder ab. Foto: dpa

Freiburg taz | Zuletzt ging es drunter und drüber in den belgischen Uralt-AKWs Doel und Tihange – kaum überschaubar, welcher Block gerade am Netz oder wieder abgeschaltet war. Die nationale Atomaufsicht hatte die Reaktoren Doel 1 und 2, die aus Alters- und Sicherheitsgründen seit Monaten keinen Strom erzeugten, plötzlich wieder als sicher eingestuft und hochfahren lassen. Doch Doel 1 schaltete sich bereits am Samstagabend nach nur drei Tagen selbst wieder ab – die genaue Ursache war am Sonntag noch unklar.

Auch Block Doel 3, der wegen Haarrissen im Reaktordruckbehälter mehr als anderthalb Jahre lang außer Betrieb war, wurde kurz gestartet, vier Tage später aufgrund einer Leckage aber schon wieder gestoppt. Mitte der Woche will Betreiber Electrabel die Anlage abermals starten. Unterdessen brannte es am 18. Dezember im AKW Tihange 1 – auch dieses sollte altersbedingt schon stillgelegt sein. Gleichwohl erzeugte es eine Woche später schon wieder Strom. Und auch Tihange 2 wurde ungeachtet von Haarrissen im Druckbehälter im Dezember mal wieder hochgefahren.

Von einer „belgischen AKW-Achterbahnfahrt“ und einem „wilden Wechsel“ sprach die Deutsche Welle, von „Bröckelreaktoren“ Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel (Grüne), von einem „russischen Roulette für Millionen Menschen“ der Grünen-Energieexperte im Bundestag, Oliver Krischer.

Aus Belgien selbst kommen bislang kaum kritische Stimmen. Lediglich der Europaabgeordnete Pascal Arimont aus dem deutschsprachigen Osten des Landes beschwerte sich jetzt bei der EU-Kommission wegen des Weiterbetriebs von Doel 1 und 2. Der christsoziale Politiker weist darauf hin, dass die belgische Föderalregierung dem Betreiber die Übernahme wirtschaftlicher Risiken zusichert, was als Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht angesehen werden könne.

Die Schrottreaktoren sind nah an der Grenze

In Deutschland sorgt man sich mehr über die faktischen Risiken der Meiler. Schließlich sind die Schrottreaktoren nur 70 beziehungsweise 150 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Weil auf die Sicherheitsbedenken bislang in Belgien niemand einging, sind nun mehrere Umweltorganisationen mit einem Vorschlag von Notwehr an die deutsche Politik und Öffentlichkeit herangetreten: Deutschland müsse den Transport von Brennstoff aus der Brennelementefabrik Lingen im Emsland nach Belgien stoppen, fordern der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und regionale Anti-Atom-Initiativen aus Aachen und dem Münsterland in einem offenen Brief an die Umweltministerien in Berlin und Niedersachsen.

Wenn deutsche Politiker belgische AKWs kritisierten, aber zuließen, dass sie mit Brennstoff versorgt werden, ist das laut BBU heuchlerisch

In dem Schreiben weisen die Umweltverbände darauf hin, dass laut der aktuellen Genehmigungsliste des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) das AKW Doel seit 2014 zehn Mal mit Brennelementen aus Lingen beliefert wurde. Bis 2017 sind fünf weitere Lieferungen genehmigt. Daher fordert der BBU nun die zuständigen Bundes- und Landesminister auf, der Fabrik in Lingen „die Genehmigung zur Lieferung weiterer Brennstäbe an belgische Atomkraftwerke zu entziehen“.

Es sei „heuchlerisch“, wenn deutsche Politiker sich um die Sicherheit der belgischen AKWs sorgten, es zugleich aber zuließen, dass die Anlagen aus Deutschland mit Brennstoff versorgt werden. Dasselbe betrifft auch den französischen Reaktor Fessenheim, der ebenfalls von der deutschen Brennelementefabrik beliefert wird.

Dem BfS selbst sind allerdings die Hände gebunden; die Transportfirmen haben einen Anspruch auf Genehmigung, sofern sie die geltenden Gesetze einhalten. Das Thema müsste also auf höchster politischer Ebene angegangen werden, doch von den betroffenen Ministerien war bislang keine Stellungnahme zur Forderung des BBU zu erhalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare